Süddeutsche Zeitung

Internationale Umfrage:Die Kultur des Schimpfens

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Was haben Sie denn schon wieder angestellt? In manchen Ländern üben Führungskräfte Kritik ziemlich direkt. Die geografischen Unterschiede sind teils verblüffend.

Von Sibylle Haas, München

Konfliktgespräche im Büro laufen nicht überall gleich ab, zeigt eine neue Umfrage. Die Wirtschaftsuniversität Wien hat die "sprachlich-kulturellen" Unterschiede im Umgang mit Konflikten am Arbeitsplatz untersucht. Nadine Thielemann leitet das Institut für Slawische Sprachen an der Wirtschaftsuniversität und hat die Studie federführend betreut.

Befragt wurden wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an Universitäten in Deutschland, Österreich, Frankreich, Russland und Polen. Es handele sich nicht um eine repräsentative Umfrage, erklärt Thielemann, sondern um eine qualitative Studie anhand einer Klumpenstichprobe.

"Dieses Wissen kann helfen, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf eine Tätigkeit im Ausland vorzubereiten", so Thielemann. Damit könnten Missverständnisse im Arbeitsumfeld vermieden werden. Die Studie zeigt etwa, dass in Frankreich Macht- und Statusbewusstsein in den Kritikgesprächen eine wichtige Rolle spielen und Führungskräfte sich nicht auf Diskussionen einlassen. Deutsche Führungskräfte seien dagegen konstruktiv und kooperativ. In Deutschland versuchten Chefs und Chefinnen zudem, das Beschwerdegespräch durch Humor in seiner sozialen Wirkung abzufedern. Auch in Russland sei dies ähnlich, betont die Wissenschaftlerin. Insgesamt seien Vorgesetzte in den untersuchten Ländern lösungsorientiert.

Die Deutschen beschweren sich gerne

Doch in der Art und Weise gebe es große Unterschiede. In Frankreich gehe man zumeist direkt vor. Den Mitarbeitern werde die Verantwortung für ihre Fehler direkt zugeschrieben. Erst dann werde eine Lösung gefordert. In Deutschland und den slawischen Ländern sei dies anders. Dort spiele die Verfehlung und die Schuldzuweisung keine zentrale Rolle. In Russland und Polen werde der Lösungsvorschlag unmittelbar als Aufforderung formuliert. In Deutschland und Österreich gingen Vorgesetzte eher analytisch an die Lösung des Problems und böten zudem ihre Unterstützung an.

Außerdem lassen sie ihren Beschäftigten laut Studie auch in kritischen Situationen noch relativ viel Handlungsspielraum. Interessant ist, wie in den Ländern mit "kleinen Verfehlungen" umgegangen wird, zum Beispiel mit der Verschmutzung der Gemeinschaftsküche. Hier zeigt sich laut Studie, dass die Kulturen unterschiedlich bereit sind, das "soziale Risiko" einer Beschwerde einzugehen. Bei den deutschen Probanden zeigte sich demnach eine besonders ausgeprägte Neigung, sich zu beschweren, dicht gefolgt von den österreichischen, polnischen und russischen Teilnehmern.

Dagegen habe mehr als die Hälfte der Teilnehmer der Umfrage in Frankreich gesagt, in solchen Fällen auf eine Beschwerde zu verzichten.

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SZ vom 09.05.2020
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