Boom von Gemeinschaftspraxen:Arzt sucht Anschluss

Streit ums Geld für Deutschlands Ärzte

Junge Ärzte arbeiten lieber im Team - und scheuen das unternehmerische Risiko einer Einzelpraxis.

(Foto: dpa)

Die klassische Arztpraxis wird zum Auslaufmodell: Junge Mediziner wollen lieber im Team arbeiten und scheuen das finanzielle Risiko der Selbstständigkeit. Experten zeigen dafür wenig Verständnis - als niedergelassener Arzt seien 100 000 Euro Jahresgewinn und mehr möglich.

Von Miriam Hoffmeyer

Es gibt viele Dinge, die niedergelassenen Ärzten den Tag vermiesen können: Der Computer streikt, die Sprechstundenhilfe meldet sich krank, der Kinobesuch fällt flach, weil noch Verwaltungsarbeit zu erledigen ist. Andreas Wiescher kennt solche Sorgen nicht. Seine Praxis im bayerischen Münchberg gehört nicht ihm, sondern seinem Arbeitgeber: der Ober-Scharrer Gruppe, die zwei Privatkliniken und zahlreiche Augenarztpraxen in Bayern und Baden-Württemberg betreibt. Den Großteil der Verwaltungsarbeit nimmt ihm die Zentrale in Fürth ab.

"Als Selbständiger müsste ich mich abends noch um alles Mögliche kümmern", sagt Wiescher. "Als Angestellter habe ich meine Ruhe." Als weiteren Vorteil sieht er den Kontakt zu anderen Ärzten des Unternehmens. "Für junge Fachärzte ist es am Anfang sinnvoll, auch mal eine Zweitmeinung von Kollegen einzuholen, in einem großen Team ist das kein Problem."

Der 33 Jahre alte Augenarzt kann sich durchaus vorstellen, später mal eine eigene Praxis zu betreiben. Vor dem unternehmerischen Risiko scheut er aber noch zurück: "Augenheilkunde ist Gerätemedizin, da sind hohe Anfangsinvestitionen nötig. Und man kann nicht sicher sein, dass die Praxis dann auch gut läuft."

Unattraktiver Alltag als Einzelkämpfer

Solche Bedenken sind beim Ärztenachwuchs weit verbreitet, wie unter anderem eine Umfrage der Universität Trier unter deutschen Medizinstudenten gezeigt hat. Knapp zwei Drittel der Befragten fürchteten sich vor den finanziellen Risiken der Selbständigkeit. Auch der Alltag als Einzelkämpfer in der eigenen Praxis gilt als wenig attraktiv. "Die Mehrheit der jungen Mediziner wünscht sich Teamarbeit. Diese Generation will nicht mehr arbeiten bis zum Umfallen, sondern auch Zeit für die Familie haben", sagt Roland Stahl von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Dieser Wandel dürfte auch damit zusammenhängen, dass inzwischen fast zwei Drittel der Studienanfänger in Medizin weiblich sind. In der Befragung äußerten vor allem Studentinnen den Wunsch, später in Teilzeit zu arbeiten.

Team- und Teilzeitarbeit lassen sich am ehesten in Kooperationen verwirklichen. Noch sind 70 000 der bundesweit 90 000 Arztpraxen klassische Einzelpraxen. Doch seit mehr als 15 Jahren geht deren Zahl langsam, aber sicher zurück. Nach KBV-Angaben werden bis 2021 mehr als 50 000 niedergelassene Ärzte, meist Inhaber von Einzelpraxen, in den Ruhestand gehen. Dadurch wird sich der Strukturwandel in der ambulanten Versorgung voraussichtlich stark beschleunigen, Kooperationen werden künftig eine noch größere Rolle spielen. Seit der Änderung des Vertragsarztrechtes 2007 ist vieles möglich, was früher nicht erlaubt war.

So dürfen niedergelassene Kassenärzte bis zu drei andere Ärzte anstellen und bis zu zwei Filialen betreiben. Neben der klassischen Gemeinschaftspraxis unter einem Dach ist heute auch die sogenannte "überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft" möglich. Darin können sich auch Ärzte aus verschiedenen Städten zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammenschließen, meist als Personengesellschaft.

Ein Hauszahnarzt, eine Paradontologin, ein Implantologe

Das bringt gleich mehrere Vorteile: Zum einen sinken die Fixkosten, etwa durch die Zusammenlegung von Verwaltungsaufgaben und gemeinsamen Einkauf. Zum anderen erweitert sich der Patientenstamm, wenn sich Ärzte mit unterschiedlichen Spezialisierungen zusammentun: Ein Hauszahnarzt, der zum Beispiel mit einer Paradontologin und einem Implantologen kooperiert, überweist Patienten mit den entsprechenden Zahnproblemen an seine Mitgesellschafter, kein Kunde geht verloren. In solchen Strukturen können junge Ärzte erst einmal als Angestellte die Arbeit im ambulanten Bereich kennenlernen. Später können sie eventuell zum Partner aufsteigen.

Die größten Akteure in der ambulanten Versorgung sind Medizinische Versorgungszentren (MVZ). Sie dürfen unbegrenzt viele Kassensitze kaufen und Ärzte dafür anstellen. Durchschnittlich arbeiten sechs Ärzte in einem MVZ, doppelt so viele wie in einer typischen Berufsausübungsgemeinschaft. Die Zahl der MVZ wächst zwar nicht mehr so schnell wie nach ihrer Einführung vor zehn Jahren. Pro Quartal werden aber immer noch 25 bis 30 neue Zentren zugelassen, die Gesamtzahl liegt zurzeit bei 2100. Die meisten MVZ werden von Krankenhäusern betrieben, viele damit indirekt von großen Gesundheitskonzernen.

Schiere Größe ist keine Erfolgsgarantie

Wolfgang Merk, Sachverständiger für die Bewertung von Arztpraxen und Unternehmen im Gesundheitswesen, beobachtet den Strukturwandel im ambulanten Bereich seit Jahren. "Das Spektrum reicht heute vom Psychotherapeuten mit Ikea-Couch bis zum multinational aufgestellten Labor mit hundert Millionen Euro Umsatz im Jahr", erklärt er. Schiere Größe sei allerdings keine Erfolgsgarantie. Nicht wenige Großpraxen rutschten schon in die Insolvenz, weil sich die Investoren verhoben hatten oder weil Patienten wegblieben, die bei drei Terminen von drei verschiedenen Ärzten behandelt worden waren.

"In der Medizin gelten eigene Regeln, Ärzte verkaufen Vertrauensdienstleistungen", sagt Merk. Nach seiner Erfahrung funktionieren Kooperationen nicht, die nur von kaufmännischem Kalkül geleitet sind. "Wer auf bunte Bilder setzt statt auf gute ärztliche Leistung, kann sehr schnell pleitegehen. Für den langfristigen Erfolg ist es wichtig, dass ein Unternehmen nicht zu schnell wächst und dass Ärzte die Strategie mitbestimmen."

Für die Risikoscheu des Mediziner-Nachwuchses hat der Experte übrigens nicht viel Verständnis. Seiner Meinung nach ist sie auch dadurch entstanden, "dass die ärztlichen Standesorganisationen den Verdienst niedergelassener Ärzte seit Jahren schlechtreden. Dabei gibt es keinen anderen Bereich, in dem man als Freiberufler mit so geringem Risiko und so hohen Erfolgserwartungen tätig sein kann."

Finanziell sei eine eigene Praxis auch heute noch allemal lohnender als die Angestelltentätigkeit: "Wer als niedergelassener Arzt in Vollzeit nicht deutlich mehr als 100 000 Euro Jahresgewinn macht, hat etwas falsch gemacht."

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