Süddeutsche Zeitung

Boom der Coaching-Branche:Ein Coach für alle Fälle

Lesezeit: 3 min

Im Job, in der Liebe, im Sport: Coaches wollen unsere Leistung optimieren. In jedem Lebensbereich. Autor Erik Lindner hat ein Jahr lang hinter die Kulissen der Branche geblickt - und weiß jetzt, wie seriös die Angebote wirklich sind.

Maria Holzmüller

Ob im Job, in der Liebe oder im Sport - wer über sich hinauswachsen und erfolgreicher durchs Leben schreiten will, kann inzwischen sicher sein, dass es für genau sein Problem ein spezielles Coaching-Angebot gibt. Autor Erik Lindner hat ein Jahr lang hinter die Fassade der Berater- und Lebenshilfe-Branche geblickt, um herauszufinden, wie seriös und hilfreich verschiedene Coachings wirklich sind. In seinem Buch Coaching Wahn - Wie wir uns hemmungslos optimieren lassen klärt er auf über Geldmacherei, Scharlatane und wirklich gute Angebote.

sueddeutsche.de: Herr Lindner, wie seriös ist die Coaching-Branche eigentlich?

Erik Lindner: Es gibt eine große Grauzone. Theoretisch kann sich jeder Coach nennen, es gibt kein Verzeichnis, in das man sich eintragen lassen muss, keine geregelte Ausbildung. Es gibt etwa 20 verbandsartige Zusammenschlüsse, die zwischen 50 und mehrere hundert Mitglieder zählen. Wie kompetent und fundiert die arbeiten, lässt sich auf den ersten Blick nicht erkennen. Das ist für die Kunden ein Risiko - aber auch für die Coaches selbst. Die Scharlatane unter ihnen beeinträchtigen den Ruf der Branche. Viele Coaches versuchen sich zwar schick anzuziehen und überzeugend aufzutreten, aber ihr Image ist nicht das Beste. Das schadet natürlich dem Geschäft.

sueddeutsche.de: Wie finde ich einen guten Coach?

Lindner: Leider kann man vorher nicht erkennen, wie gut ein Coach wirklich ist, schätzungsweise nur jeder sechste oder siebte ist wirklich fundiert ausgebildet und praxiserfahren. Am besten hört man auf die Empfehlung von Bekannten oder Freunden.

sueddeutsche.de: Worauf sollte ich bei einem Coach achten?

Lindner: Die arrivierten Verbände, wie der Deutsche Bundesverband Coaching und die International Coach Federation, bewerten und zertifizieren die Ausbilder nach nachvollziehbaren Standards. Und sie nehmen nicht jeden Coach auf. So können die Kriterien der Verbände ein Hinweis auf die Qualität des Coaches sein.

sueddeutsche.de: Was muss ein guter Coach kosten?

Lindner: Das ist völlig unterschiedlich. In Berlin etwa ist die Anbieterdichte relativ groß, da bekommt man eine Stunde schon für 50 Euro. In Frankfurt oder München würde das mehr kosten. Über den Preis differenziert sich die Branche. Wenn ein Coach 2000 Euro am Tag verlangt, dann ist der Preis durchaus ein Statussymbol. Ob sich das für den Kunden lohnt, ist trotzdem nicht klar. Ein guter Coach muss nicht immer teuer sein.

sueddeutsche.de: In welchen Bereichen ist Coaching überhaupt sinnvoll?

Lindner: In beruflichen Angelegenheiten kann ein Coaching einen in die richtige Spur bringen, es kann Orientierung liefern, gerade wenn man selbst überlastet ist. Denn ein Coach hat den Blick von außen, er ist unabhängig und unbefangen. Auch im persönlichen Bereich kann Coaching weiterhelfen. Wenn jemand mit Mitte 30 Probleme in der Beziehung zu seinen Eltern hat und zu einem Life-Coach geht, stellt sich aber auch die Frage, ob da nicht der Psychologe der richtige Ansprechpartner wäre.

suedduetsche.de: In welchen Bereichen ergibt Coaching keinen Sinn?

Lindner: Wenn ich sehe, dass ein "Art-Coach" bei der Ausstattung der Wohnung berät und einem sagt, welche Farbe die Vorhänge haben sollten, dann zweifle ich schon an dem Label. Das ist dann einfach ein Innenausstatter, aber kein Coach. Auch Flirt- oder Charisma-Coaching erscheint mir dubios. Insgesamt ist Coaching im beruflichen Kontext am besten aufgehoben, doch in den letzten Jahren ufert die Szene völlig aus.

sueddeutsche.de: Woher kommt diese Coach-Schwemme eigentlich?

Lindner: Coaching klingt einfach gut und modern, es hat nichts von Therapie und ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Zudem suchen zahllose Menschen nach Orientierung oder Optimierung jeder Art. Dafür zahlen sie bereitwillig zum Teil stattliche Honorare. Daher gibt es jede Menge pseudo-qualifizierte Dienstleister und Trittbrettfahrer, die ihr Stück vom Kuchen wollen.

sueddeutsche.de: Jeder, der irgendeine Beratung anbietet, nennt sich inzwischen Coach. Wie gut sind die Karrierechancen in diesem Markt wirklich?

Lindner: Der Markt ist mittlerweile völlig überlaufen. Die Branche bildet in teuren Kursen am Bedarf vorbei aus. Jetzt als Neueinsteiger anzufangen, halte ich für keine gute Idee. Es ist eine Illusion, dass man als neuer Coach schnell gutes Geld verdient.

sueddeutsche.de: Wie sehen Sie die Zukunft der Coaching-Branche?

Lindner: Im Moment hat eine Coaching-Firma im Durchschnitt 1,4 Mitarbeiter. Das wird nicht so bleiben. Es werden sich große Anbieter entwickeln, deren Name für etwas steht - nach dem Prinzip "Roland Berger". Diese Unternehmen stehen dann für ein charakteristisches Leistungsprofil und sind bekannt. Dort werden Coaches im Gegensatz zu heute in großer Zahl nicht als Selbständige, sondern als Angestellte arbeiten. So könnte sich die Branche konsolidieren.

sueddeutsche.de: Sie haben sich ein Jahr lang mit dem Thema Coaching beschäftigt. Würden Sie sich noch selbst coachen lassen?

Lindner: Ja! Während meiner Recherche habe ich drei Coaches getroffen, von denen auch ich mich coachen lassen würde: Einer bietet Coaching mit Box-Handschuhen. So beschäftigt er sich erst reflektierend-psychologisch mit seinem Klienten und schickt ihn dann in den Boxring, wo er testen kann, ob sein Selbstbewusstsein gewachsen ist. Der zweite ist Buddhist und lehrt eine sanfte Art der Wirtschaftsethik - ihm geht es um Vermittlung von Achtsamkeit in Geschäftsdingen. Den fand ich ansprechend, weil er nicht einer von den typischen Business-Typen war. Und der dritte Coach, zu dem ich gehen würde, ist ein Autodidakt aus der Personalerszene, über 60 und mit viel Berufserfahrung. Aber ich würde mich nicht von einem dieser Nachwuchs-Coaches betreuen lassen, die von sich behaupten alles zu erfassen und doch keinen Schimmer von der Welt haben, in der ihr Klient lebt und arbeitet, oder wohin er will.

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