Bologna-Reform:Studieren im Auslaufmodell

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Bachelor und Master gehört die Zukunft, doch noch streben viele nach dem traditionellen Diplom - unter erschwerten Bedingungen: Das Angebot für die Altstudenten ist auf ein Minimum geschrumpft.

B. Taffertshofer

Wenn Timo Köpp am Mittwoch seine Übung in Betriebswirtschaftslehre besucht, drängen mit ihm jedes Mal mindestens 150 Studenten in die Sitzreihen des Hörsaals. Seine jüngeren Kommilitonen an der Universität Hamburg haben es da deutlich besser: Bachelorstudenten, die eine inhaltsgleiche Übung besuchen, sitzen nur mit 40 Kommilitonen im Kurs. Doch Timo Köpp lernt noch für das Diplom, und da gelten Übungen mit mehr als 100 Studenten als zumutbar.

Studieren im Auslaufmodell: Das Angebot für die Altstudenten ist auf ein Minimum geschrumpft, Termine orientieren sich am Plan der Bachelorstudenten. (Foto: Foto: dpa)

"Wir zahlen zwar Studiengebühren wie jeder andere, bekommen aber immer weniger dafür", sagt der 25-Jährige. Vor etwa drei Jahren haben sich in Hamburg die letzten Diplomstudenten in der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät eingeschrieben. Seitdem hat sich viel verändert: Das Angebot für die Altstudenten ist auf ein Minimum geschrumpft, Termine orientieren sich am Plan der Bachelorstudenten, Informationen fließen nur spärlich. Bis 2012 sollen die alten Studiengänge endgültig auslaufen, doch noch strebt ungefähr die Hälfte der BWL-Studenten in Hamburg das Diplom an.

Studiengänge werden abgewickelt

Vor zehn Jahren vereinbarten die Bildungsminister in Bologna, bis 2010 einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu schaffen, seitdem stellen die Hochschulen ihre Angebote auf die Abschlüsse Bachelor und Master um. Für Studienanfänger sind, abgesehen von Jura und Medizin, die Studiengänge schon weitgehend reformiert. Aber noch immer befinden sich bundesweit fast 70 Prozent aller Studenten in den traditionellen Studiengängen. Es wird noch Jahre dauern, bis es gar keine Magister- und Diplomstudenten mehr an den Unis gibt.

"Es herrscht eine komische Atmosphäre", beschreibt Martin Nell, Professor an der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät in Hamburg das Nebeneinander der alten und neuen Studentengeneration. Die Diplom-Kandidaten blickten neidisch auf die bessere Betreuung, die Kleingruppen und das vielfältige Angebot ihrer jungen Kommilitonen. Diese wiederum würden über zu starre und dichte Lehrpläne klagen. Doch auch die Freiräume der Diplom- und Magisterstudenten schrumpfen nun. Nicht nur wegen der Studiengebühren und der Sorgen um einen Job schielen sie verstärkt auf die Regelstudienzeit. Weil ihre Studiengänge abgewickelt werden, fehlt ihnen für Sonderwege und zeitintensives Forschen die Zeit.

Ausgedünntes Angebot

Wegen des ausgedünnten Angebots an Lehrveranstaltungen fragen sich viele, ob sie es rechtzeitig schaffen, alle nötigen Scheine zu sammeln. Einige Hamburger Studenten pendeln bereits zur Uni nach Kiel, um mehr Pflichtseminare in einem Semester abarbeiten zu können.

Zwar gewähren die Hochschulen in der Regel eine Art Vertrauensschutz: Innerhalb der Regelstudienzeit plus vier Semester soll jeder sein Studium beenden können. Doch was anschließend folgt, ist ungewiss. Auch Timo Köpp, der im elften Semester studiert, will keine Zeit mehr verlieren, obwohl er sich auch bisher alles andere als ein Bummelstudium geleistet hat. Er studiert BWL, VWL und Jura gleichzeitig, bereits nächstes Jahr will er in die Prüfungen gehen.

Auf der nächsten Seite: Warum Universitäten befürchten, zum Auffangbecken für Langzeitstudenten zu werden - und wie sie das verhindern wollen.

Kein Auffangbecken für Langzeitstudenten

Andere Studenten überlegen hingegen, die Hochschule zu wechseln, um zusätzliche Zeit zu gewinnen. Denn manche Universitäten haben ihre Studiengänge gerade erst umgestellt. Während die Ruhr-Universität in Bochum unter den ersten war, die auf die neue Bachelor-Master-Struktur setzten, zogen beispielsweise die Universitäten in Bayern erst Jahre später nach. An der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität studieren immer noch mehr als ein Drittel im alten System. Die Uni beobachtet nun penibel, ob die Zahl neuer Studenten in den höheren Semestern zunimmt. Keine Hochschule will zum Auffangbecken für Langzeitstudenten werden.

Ein Wechsel kurz vor dem Studienabschluss ist aber auch für Studenten oft wenig attraktiv. "Die Schwierigkeit ist, geeignete Studienangebote und Professoren zu finden", sagt Alexander Vasil, der an der Universität Gießen in Philosophie und Politik eingeschrieben ist. Für den 31-Jährigen steht fest: Viele Magister- und Diplomstudenten werden sich künftig mit Bastellösungen zufriedengeben müssen. Statt Scheine für Seminare zu erhalten, werden sie daheim Hausarbeiten schreiben, weil es keine Veranstaltungen mehr für sie gibt. Viele Unis setzen spezielle Berater ein, um den Altstudenten den Weg zum Abschluss zu weisen.

Nicht mehr Geld, nur mehr Anforderungen

Wie sich die Situation bundesweit entwickeln könnte, zeigt das Beispiel Berlin. Die Hochschulen dort gehören zu den Pionieren der Studienreform. Vor allem für Lehramtsstudenten könnte das nun zum Problem werden: Wer sich bis zum 1. September 2010 nicht zum Staatsexamen angemeldet hat, kann die Prüfung nicht mehr ablegen. Denn das Berliner Landesprüfungsamt soll schon in einem Jahr endgültig seine Türen schließen. Studentenvertreter der FU Berlin befürchten, dass danach der Wechsel ins Bachelorstudium erzwungen werden könnte, ohne dass dabei alle Leistungen der Studenten anerkannt werden. So wäre der Studienabschluss erstmal wieder in die Ferne gerückt.

"Wir bemühen uns, die Reibungsverluste so gering wie möglich zu halten", verspricht Karl-Dieter Grüske, stellvertretender Vorsitzender der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und Sprecher der bayerischen Uni-Chefs. Der Rektor der Universität Erlangen-Nürnberg ist sich durchaus bewusst, dass die letzten Studenten im alten System Nachteile hinnehmen müssen und nun zunehmend unter Zeitdruck geraten. Die Hochschulen hätten durch die Reform eine Doppelbelastung zu bewältigen, wirbt Grüske um Verständnis. Mehr Geld habe es von der Politik nicht gegeben, lediglich mehr Anforderungen. Nur mit mehr Personal könnten die Hochschulen ihren Ausbildungsauftrag besser erfüllen.

Ob solche Appelle den Altstudenten noch helfen, ist fraglich. Timo Köpp und seine Kommilitonen glauben nicht mehr daran. Ihnen bleibt nur, weiter um Kursplätze zu bangen und ihr Studium möglichst schnell zu beenden.

© SZ vom 18.5.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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