Bologna-Reform:Gefangen im Bachelor

Wunsch und Wirklichkeit: Die Ideen hinter der Bologna-Reform sind gut, doch die Umsetzung macht das Studium in Deutschland beinahe unerträglich - und nicht finanzierbar.

Isabelle Schehl

Es ist wieder einmal die alte Geschichte von Wunsch und Wirklichkeit. Es ist die Geschichte von Bachelorstudiengängen, die das alte Studiensystem ablösen und verbessern sollten. Eine Geschichte, die mit guten Zielen begann und an deren Ende nun ein Scherbenhaufen bleibt.

Bologna-Reform: Die Bologna-Reform ist gar nicht so schlecht wie ihr Ruf - an der Umsetzung hapert es.

Die Bologna-Reform ist gar nicht so schlecht wie ihr Ruf - an der Umsetzung hapert es.

(Foto: Foto: dpa)

Vorweg muss gesagt werden, dass die Grundidee des Bologna-Prozesses eine gute war. Der Reformprozess, der 1999 startete, war notwendig und zukunftsweisend, das Hauptziel, die Mobilität der Studenten sowie den internationalen Wettbewerb in Hochschule und Beruf zu fördern, wichtig.

Heere Ziele, schöne Ideen. Doch leider hapert es gewaltig an der Umsetzung. Die Praxis entlarvt die Theorie. Der Alltag eines Bachelorstudenten erweist sich als direkter Kontrast zu den Beschlüssen von Bologna. Leider.

Erst kürzlich forderten die Kultusminister von den Hochschulen, den wöchentlichen Arbeitsaufwand - oder, wie wir ihn inzwischen nennen: den Workload - in den nächsten zwei Jahren auf maximal 39 Stunden zu begrenzen. Das entspricht dem wöchentlichen Arbeitspensum eines Vollzeitbeschäftigten - doch die studentische Realität hält andere Zahlen bereit: 60 Stunden Arbeitsaufwand im laufenden Semester sind keine Seltenheit.

Selbstfinanzierung? Unmöglich

Neben den Vorbereitungen für bis zu acht Klausuren am Semesterende, zahlreichen Referaten sowie wissenschaftlichen Hausarbeiten stellt sich dann noch für viele die Frage: Wie verdiene ich da noch ganz "nebenbei" meinen Lebensunterhalt für den kommenden Monat? Zwischen den täglich mehrstündigen Pflichtveranstaltungen bleibt kaum noch Zeit, die vielgepriesene Berufserfahrung zu sammeln. Selbst Dozenten und Professoren räumen ein, dass die Selbstfinanzierung neben dem Bachelor-Studium unmöglich ist, weil die Strukturen hierauf gar nicht erst ausgerichtet seien.

Wie also studiert ein junger ambitionierter Mensch innerhalb dieses Systems, in dem jede einzelne Note - von Beginn des Studiums bis zum Abschluss - zählt, wenn er sich selbst finanzieren möchte oder gar muss?

Arbeitsaufwand eines Managers

Es ist nicht möglich. In der Realität heißt das für viele: Ohne finanzielle Unterstützung von außen - seien es die Eltern oder staatliche Förderung - könnten sie nicht studieren. Das Klischee vom arbeitsfaulen Studenten hat mit dem Bologna-Prozess ausgedient. Jetzt gilt das Bild des Bildungshungrigen, der gerne arbeiten möchte, aber oft einfach nicht kann.

Der wöchentliche Arbeitsaufwand, der teilweise an das Pensum eines Managers erinnert, und die starren Strukturen der Prüfungsordnungen verhindern eines der Hauptziele der Bologna-Reform: mehr Flexibilität und Mobilität.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Änderungen im Studiensystem nötig sind.

Skepsis in der Wirtschaft

Die Vereinheitlichung der Abschlüsse im europäischen Hochschulraum sollte dazu führen, mehr Studenten für die wichtige Erfahrung eines Auslandssemesters zu motivieren. Tatsächlich gestaltet sich inzwischen sogar ein innerdeutscher Hochschulwechsel aufgrund völlig unterschiedlicher Anforderungsprofile mehr als schwierig. Ein Auslandssemester, das auch an der heimischen Uni angerechnet wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt weitestgehend unmöglich.

Ziele klingen zynisch

Die Wirtschaft zeigt sich dem Bachelorabschluss gegenüber eher skeptisch. Die klassischen Studienabschlüsse werden noch immer bevorzugt, lediglich der Masterabschluss wird nach aktuellen Umfragen von den Vorgesetzten als adäquater Ersatz akzeptiert.

Die beiden Oberziele der Bologna-Reform - Wettbewerbs- und Beschäftigungsfähigkeit - klingen angesichts dieser Erfahrungen in den Ohren der meisten Bachelor-Studenten nur noch zynisch. Denn die begehrten und für die berufliche Zukunft bedeutenden Masterplätze stehen kaum zur Verfügung.

Nicht die Bologna-Reform hat zu diesen drastischen Missständen an den deutschen Universitäten geführt, sondern das Versagen der politisch Verantwortlichen und der völlig überforderten und unterfinanzierten Hochschulen.

Zeit für Kurskorrekturen

Die Kurskorrekturen müssen jetzt kommen; unmittelbar. Doch statt zu handeln, schieben sich die Verantwortlichen in Politik und Bildung den schwarzen Peter gegenseitig zu - und rücken damit eine notwendige und zukunftsweisende Reform in ein unverdient schlechtes Licht.

Es ist höchste Zeit zu handeln. Der wöchentliche Arbeitsaufwand muss sofort auf maximal 39 Stunden reduziert, die Regelstudienzeit von sechs auf acht Semester erweitert werden. Die Prüfungsdichte muss entzerrt werden, um nachhaltiges Lernen wieder sicherzustellen. Studenten müssen ihre Lehrpläne wieder flexibler und eigenverantwortlicher gestalten können. Und die Hochschulen müssen eine adäquate Anzahl an Masterplätzen in Relation zu den Bachelorabsolventen bereitstellen. Nur durch diese föderal einheitlich umgesetzten Sofortmaßnahmen wird das Studium in Deutschland der eigentlichen Bologna-Idee gerecht werden.

All das kostet Geld. Doch nur so kann aus dem Wunsch auch Wirklichkeit werden.

Die Autorin, 32, studiert im dritten Semester Psychologie an der LMU München. Bevor sie ihr Studium begann, war sie elf Jahre im Verlagswesen tätig.

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