Bildungstourismus in Finnland:Zum Spicken nach Helsinki

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120 Gruppen aus 80 Ländern: Pisa-Star Finnland müht sich seit Jahren mit Bildungstouristen ab - und wundert sich, dass andere Länder nicht schneller aufholen.

Karin Prummer

Wieder nur ein befristeter Job, dachte Hanna Laakso, als sie vor mehr als sieben Jahren beim finnischen "Zentralinstitut für Unterrichtswesen" anfing. Finnlands Schüler hatten einige Monate zuvor dem Rest der Welt in der ersten Pisa-Studie etwas vorgerechnet und vorgelesen. Sie bescherten ihrem Land in der internationalen Vergleichsstudie Spitzenplätze in allen Kategorien.

Vor allem in den Naturwissenschaften schneiden Finnlands Schüler sehr gut ab. Daher kommen die Gäste scharenweise - um zu ergründen, warum. (Foto: dapd)

Also wollte die Welt wissen, was die Finnen anders machen. Bildungsminister, Schulrektoren, Professoren, Journalisten wollten anreisen. Darauf war niemand vorbereitet. Man schuf eine neue Stelle, die Soziologin Laakso bekam sie: "Internationale Besuche", lautet ihr Auftrag. Auf drei Monate war der Vertrag befristet. Dann würde der Ansturm wohl wieder vorbei sein, dachten die Finnen.

Hanna Laakso ist immer noch da, und sie ist im Stress. 120 Gruppen waren es im vergangenen Jahr, etwa 1000 "Bildungstouristen". So geht das seit der ersten Studie, mittlerweile ist die vierte veröffentlicht. Die Besucher sind nur unwesentlich weniger geworden. "Es hört einfach nicht auf", sagt Laakso. Sie kamen über die Jahre aus 80 Ländern. Dabei ist Laakso nur zuständig für Besuche von Hochschulen, Kommunen und Schulen.

Im finnischen Bildungsministerium sitzt noch ihre Kollegin, Helena Lalu-Toivio. Bei ihr klopfen Minister und Staatschefs an - das macht noch einmal 100 weitere Delegationen im Jahr. "Es ist gar nicht einfach, die alle über das Schuljahr zu verteilen", sagt sie. Ohne Ferien bleiben nur acht Monate Unterricht. Außerdem haben mittlerweile viele Schulen eigene internationale Partner.

Wie viele Bildungstouristen es insgesamt sind, weiß niemand, sagt Hanna Laakso. Aber, das steht fest, es sind zu viele: Zu Beginn organisierte sie alles noch gratis. Doch als der Flut keine Ebbe folgte, beschlossen ihre Chefs, dass jetzt jeder eine kleine Gebühr zahlen muss, ganz individuell, je nach Wünschen. Sonst fehle dem Institut das Geld für seine eigentliche Aufgaben: das finnische Bildungssystem weiterzuentwickeln und zum Beispiel Lehrziele festzulegen.

Den Touristen bieten die Finnen mittlerweile alles vom besonders beliebten Grundlagenvortrag über ihr Bildungssystem bis hin zum einwöchigen Komplettpaket mit Schulführung und Gespräch mit der Bildungsministerin. Im vergangenen Jahr kamen vor allem Neugierige aus China, Japan, immer mehr auch aus arabischen Ländern, vergangene Woche zum Beispiel der Unterrichtsminister aus Oman. Deutsche sind seltener geworden. "Die waren alle gleich nach der ersten Studie da", sagt Laakso.

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Die Deutschen hätten wohl nicht glauben können, dass sie verloren haben und wollten es sofort überprüfen, glaubt man in Finnland. Es könnte freilich auch daran liegen, dass sich Deutschland von Studie zu Studie immer ein wenig verbessert hat und bei der jüngsten Erhebung vor allem in den Naturwissenschaften zulegen konnte.

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Die Finnen sind konstant gut. "Ich habe gedacht, dass die anderen Länder etwas mehr aufholen würden. Ein wenig überrascht war ich also doch, dass wir so weit vorne lagen", sagte Bildungsministerin Henna Virkkunen nach der Veröffentlichung der jüngsten Studie. Die Finnen seien "von sich überzeugt, ohne überheblich zu sein", sie gingen entspannt mit ihren guten Ergebnissen um, sagt Ulrich Peitz, Botschaftsrat der Deutschen Botschaft in Helsinki, die bald Bildungstouristen aus dem Brandenburger Landtag empfangen wird.

Besonders interessiert die Deutschen, wie es die Finnen schaffen, dass die besten Schulabsolventen Lehrer werden wollen - während in Deutschland der Berufsstand teils mit Imageproblemen zu kämpfen hat und einige Abiturienten auch nur aus Verlegenheit auf Lehramt studieren; und wie jede finnische Schule mit so viel Eigenverantwortung bei den Lehrplänen klarkommt, wie sie ihnen das Unterrichtsinstitut gestattet.

Hanna Laakso sucht für alle Fragen passende Experten. Sie mag ihren Job und verdankt der Pisa-Studie viel: endlich eine feste Stelle. Und dazu ein paar unvergessliche Erlebnisse mit den Bildungstouristen. Es herrschte der finnische Winter, als eine Delegation aus Afrika anreiste. Sie führte sie durch Helsinki und erklärte, dass diese weiß schimmernde Fläche in der Stadt eigentlich ein See ist, nur jetzt eben zugefroren. Die Afrikaner staunten und wollten darauf spazieren. Es klappte tatsächlich. Begeistert breitete einer die Arme aus und rief: "Ich bin wie Jesus."

© SZ vom 28.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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