Bildungsreform in Deutschland:Wissens-Soli für alle

Lesezeit: 3 min

In der Schul- und Hochschulpolitik haben sich die Parteien angenähert - selten zuvor herrschte so viel Einigkeit darüber, was beim Thema Bildung in Deutschland geändert werden soll. Wie aber können Reformen angepackt werden? Und wer bezahlt sie? Eine Idee betrifft den Solidaritätszuschlag - was für den Aufbau Ost nicht mehr gebraucht wird, könnte zu einem Bildungs-Soli für alle umgewandelt werden.

Andreas Pinkwart

Selten zuvor gab es zwischen den Parteien in Deutschland eine so große Annäherung in wesentlichen Strukturfragen des Bildungssystems wie heute. Sozial- und Christdemokraten, die FDP wie die Grünen fordern unisono eine bessere frühkindliche Bildung und ein verpflichtendes Vorschuljahr, sie wünschen kleinere Klassen und besser ausgebildete Lehrer bis hin zu bundesweit vorgegebenen Bildungsstandards und der Aufhebung des Kooperationsverbots im Grundgesetz.

Deutschland ist Europas Schlusslicht wenn es um Bildung geht. Reformen sind dringend nötig - bislang fehlte es an Einigkeit und Geld. (Foto: dapd)

Auf dem Bundesparteitag der CDU, der am Montag in Leipzig beginnt, werden die Delegierten entsprechende Vorschläge diskutieren, ebenso beim Parteitag der FDP an diesem Wochenende - und so ist es auch bei der SPD für den Dezember geplant. Selbst in der lange hart umkämpften Schulstrukturfrage zeichnet sich in immer mehr Bundesländern auch unter Verantwortung grüner Schulminister eine ähnlich gelagerte Entwicklung ab.

Nach dem gescheiterten Versuch, in Hamburg eine sechsstufige Primarschule einzuführen, haben alle offenbar dazugelernt. Weder gibt es in Deutschland stabile Mehrheiten für die Forderung nach einem gemeinsamen Lernen bis zur 10. Klasse, noch sehen die Menschen im unbedingten Festhalten an der Hauptschule eine zeitgemäße Antwort auf die künftigen Herausforderungen. Vorbei scheint auch die Zeit zu sein, in der Verfechter einer leistungsorientierten Schule jenen unversöhnlich gegenüberstanden, die nach mehr Chancengerechtigkeit für alle am Start streben und keinen zurücklassen wollen. Dies gilt erfreulicherweise zunehmend auch umgekehrt.

Man könnte deshalb schlussfolgern, dass Deutschland endlich die Chance erhält, auch im Bildungsbereich in die internationale Spitzengruppe vorzustoßen. Denn dort ist die Bundesrepublik noch längst nicht angekommen, wie jüngste Studien belegen, die Deutschland bei der Innovation weltweit mittlerweile auf Platz vier sehen, bei der Bildung aber erst auf Platz 17 von 26 untersuchten Industrieländern.

Deutschland hinkt mit seinen Bildungsangeboten gerade im vorschulischen und im Elementarbereich im Vergleich zum Ausland hinterher. Jahr für Jahr fallen Unterrichtsstunden millionenfach aus, und rund 60.000 Schüler verlassen Deutschlands Schulen ohne Abschluss. Die Lehrerweiterbildung fristet im Vergleich zu allen anderen Berufsgruppen ein Schattendasein.

Ohne beste Bildung gibt es aber auf Dauer keine starke Forschung und Innovation und damit letztlich auch keine Wohlstandssicherung. Der in den kommenden Jahren sich weiter verschärfende Fachkräftemangel erweist sich schon heute als Wachstumsbremse. Es besteht also dringender Handlungsbedarf.

Um zu echten Fortschritten zu gelangen, ist das Ende ideologischer Grabenkämpfe ein wichtiger Anfang, aber noch kein Garant für den Erfolg. Es müssen vielmehr konkrete Schritte für bessere Angebote von Kinderkrippen und Kindertagesstätten bis zur Universität folgen. Und dafür braucht es auch mehr Geld. Das ist der eigentliche Lackmustest, an dem die deutsche Bildungspolitik in der Vergangenheit schon viel zu oft gescheitert ist. Dies droht erneut, wenn die Länder weiterhin die alleinige Finanzierungshoheit in der Bildungspolitik behalten.

Der Bevölkerungsrückgang und die Schuldenbremse bei gleichzeitig immer stärkeren Schwankungen der Steuereinnahmen zwingen die Länder dazu, ihre Bildungsangebote nicht am langfristig Notwendigen, sondern am kurzfristig gerade noch Finanzierbaren auszurichten.

Eine solche Bildungspolitik nach Kassenlage führt aber dazu, dass aufgrund geringerer Geburtenzahlen erwartete Minderausgaben für Bildung bereits aus den Haushalten abgeschöpft werden, bevor die relativ stärkeren Jahrgänge die Schulen und Hochschulen durchlaufen haben. Ganz zu schweigen von den erheblichen Mehrausgaben, die für die frühkindliche Bildung, verlässlichere Ganztagsangebote an Schulen und eine international wettbewerbsfähige Betreuungsrelation in Schulen und Hochschulen benötigt werden.

Den Weg zu besserer Bildung über einen höheren Anteil privater Bildungsfinanzierung haben sich die Länder ohne Not selbst wieder versperrt, indem sozialverträgliche Studienbeiträge trotz der damit erzielten Fortschritte abgeschafft wurden, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. An Rhein und Ruhr hatte sich die Anzahl der Studierenden zwischen 2005 und 2010 trotz (vielleicht sogar wegen) der Studienbeiträge um 12,4 Prozent erhöht. Gleichzeitig wurde das akademische Personal um ein gutes Drittel ausgebaut - und die Absolventenquote pro Jahrgang um rund fünfzig Prozent gesteigert.

Sicherlich gibt es in jedem Land noch Einsparmöglichkeiten an anderer Stelle sowie Vorschläge für einen wirksameren Mitteleinsatz im Bildungsbereich. So könnten zum Beispiel Lehrer von vielen zeitraubenden Verwaltungsaufgaben entlastet werden, wenn der Verordnungsdschungel gelichtet und sie von in anderen Bereichen freigesetzten Verwaltungskräften unterstützt würden.

Dies hat sich bereits an vielen Stellen bewährt und muss auch künftig intelligent genutzt werden. Aber allein reicht es nicht. Zumal dann nicht, wenn die steigenden Qualitätsanforderungen im vorschulischen Bereich, im Bereich der Mathematik und Informatik, Naturwissenschaften und Technik sowie bei der lebenslangen Weiterbildung des Lehrpersonals auch nur annähernd erreicht werden sollen.

Länder müssen sich einigen

Es braucht daher jetzt über die bisherigen Programme und Ankündigungen hinaus politischen Mut, die Prioritäten richtig zu setzen. Der krisenbedingt ohnehin eng begrenzte Finanzspielraum sollte auf das große Zukunftsthema Bildung konzentriert werden. So könnte der Bund den Solidaritätszuschlag in dem Umfange, in dem er nicht mehr für den Aufbau Ost benötigt wird, in einen Bildungs-Soli umwandeln. Nach einer entsprechenden Anpassung des Grundgesetzes könnte der Bund die Mittel im Rahmen einer neuen Gemeinschaftsaufgabe gemeinsam mit Ländern und Kommunen in Bildung investieren.

Im Gegenzug könnten sich die Länder dazu verpflichten, für bundesweit einheitliche Bildungsstandards ebenso zu sorgen wie für einen barrierefreien Schulwechsel zwischen den Bundesländern. Denn keiner versteht, wieso das Schulsystem des Nachbar-Bundeslandes manchmal fremder erscheint als das des Nachbarstaates.

Andreas Pinkwart, 51, ist Rektor und Professor für Innovationsmanagement an der Handelshochschule Leipzig. Er war stellvertretender FDP-Vorsitzender und Wissenschaftsminister in NRW.

© SZ vom 12.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: