Bildungspolitik:Die Kommunen können's besser

Keine Lust auf Befehle von den Länderregierungen: Zahlreiche Kommunen versuchen, lernschwache Kinder mit eigenen Mitteln zu fördern. Es soll Alternativen zu kommerzieller Nachhilfe geben.

Tanjev Schultz

Peter Kurz hat genug von den föderalen Machtspielen in der Bildungspolitik, er will die Sache jetzt selbst in die Hand nehmen. Kurz ist Oberbürgermeister von Mannheim, früher war er Bildungsdezernent, Schulabbrecher und perspektivlose Jugendliche sind für ihn mehr als nur ein statistisches Problem. In Vierteln wie Schönau oder in der Neckarstadt-West leben viele Menschen in Armut, es fehlt an Bildung und Deutschkenntnissen. Mehr als zwei Drittel der Schüler hier sind Kinder von Einwanderern, nur wenige schaffen es auf eine Realschule oder ein Gymnasium.

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Viele Städte und Gemeinden wollen die Schulpolitik nicht den Ländern überlassen und werden selbst aktiv.

(Foto: dpa)

Als Kommunalpolitiker ist man direkt konfrontiert mit allem, was bei der Bildung schiefgeht, sagt Kurz. Der Sozialdemokrat kämpft deshalb für eine "Kommunalisierung der Bildungspolitik", und Mannheim schreitet damit voran, so gut es geht. Etwa eine Million Euro steckt die Stadt in eine eigene "Bildungsoffensive". Sie finanziert zusätzliche Förderstunden für die Schulen und hilft, die verschiedenen Bildungsinstitutionen von der Krippe bis zu den Betrieben miteinander zu vernetzen. Wie Mannheim haben sich auch andere Städte und Gemeinden auf den Weg gemacht, durch eigene Kraft und freiwillige kommunale Leistungen mehr für die Bildung der Kinder zu tun. Und wie Kurz blicken deshalb viele Kommunalpolitiker skeptisch auf die Pläne der Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) für ein Bildungspaket, das Kinder von Hartz-IV-Empfängern bekommen sollen.

Von der Leyens Ansatz, den Kindern durch bessere Bildungsleistungen zu helfen, statt den Eltern Geld in die Hand zu drücken, findet Kurz zwar richtig. Aber die Jobcenter seien auf keinen Fall die richtige Institution, um dieses Paket zuzustellen: "Es muss Budgets direkt an den Schulen geben." An diesem Mittwoch beschäftigt sich das Bundeskabinett mit dem Bildungspaket, und von der Leyen hat auf die Kritik der Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit schon reagiert und signalisiert, dass die Förderung möglichst "schulnah" erfolgen soll.

Die Ministerin könnte auf schon vorhandene Angebote aufbauen. In Mannheim wäre das beispielsweise das Projekt "Ein Quadratkilometer Bildung", das die Stadt gemeinsam mit der Freudenberg-Stiftung ins Leben gerufen hat und das es auch in anderen Städten gibt. Ziel des Programms ist es, in einem lokalen Bildungsbündnis bestehende Förderlücken zu schließen.

An der Humboldt-Grundschule, einem schönen Altbau in der armen Neckarstadt-West, wurde dafür eine "pädagogische Werkstatt" eingerichtet, die alle an einen Tisch holt: die Erzieherinnen der umliegenden Kindergärten, Bibliothekare, Vertreter von Vereinen, Lehrer und Eltern. Gemeinsam versuchen sie, die Angebote auszubauen und besser aufeinander abzustimmen. Für einige russischsprachige Kinder wurde kurzerhand eine Soforthilfe für den Deutschunterricht organisiert. Und mehrere Studentinnen der Fachhochschule gehen zweimal die Woche in einen Kindergarten und kümmern sich dort intensiv um einzelne Kinder und deren Deutschkenntnisse.

Motivation für Erstklässler

Lehrerinnen der Grundschule besuchen regelmäßig die Kindergärten und bereiten die Kinder dort gemeinsam mit den Erzieherinnen auf die Schule vor. Einige Vorschüler wollen sogar Hausaufgaben haben (die sie auf freiwilliger Basis auch bekommen). Stolz präsentieren einige Sechsjährige den Besuchern ihre Arbeiten; in einem Projekt zum Thema "Weltall" hat ein Junge bunte Kometen gemalt, die er fachmännisch erklärt: Da gibt es zum Beispiel einen "Spielplatz-Kometen" und einen "Gefängnis-Kometen".

Früher hätten sich die Kinder nicht getraut, vor einer Gruppe zu referieren, sagt die Lehrerin Susanne Stühmeier. Der frühe Austausch zwischen Schule und Kita habe das Selbstvertrauen und die Motivation gestärkt, und den Erstklässlern sei nun auch der Umgang mit Arbeitsblättern von Anfang an vertraut.

Nachhilfe kostet nicht immer Geld

Nicht immer kosten die Förderangebote Geld, es gibt ehrenamtliche Lesepaten, in Mannheim und andernorts, wo man sich fragt, ob solche Hilfe verdrängt wird, wenn Ursula von der Leyen den Schülern womöglich kommerzielle Nachhilfestunden bezahlt. Vielerorts haben Kommunen auch in Stiftungen wertvolle Partner gefunden. In Lübeck beispielsweise hat die Stadt gemeinsam mit sechs Stiftungen einen "Bildungsfonds" eingerichtet, der Kindern aus ärmeren Familien Geld gibt für Nachhilfeunterricht, Ausflüge und das Mittagessen in der Schule - ein großes kommunales Bildungspaket, das sehr unbürokratisch funktioniert und auf das Urteil der Lehrer vertraut, die die Kinder gut kennen.

In Mannheim hat die Stadt den pädagogischen Spielraum auch durch zusätzliche Schulstunden erweitert. Dieses Programm nennen sie hier "Maus" - Mannheimer Unterstützungssystem Schule. In den vergangenen zwei Jahren haben acht Schulen insgesamt 10.000 zusätzliche Maus-Förderstunden nutzen können, finanziert von der Stadt und getragen von Lehrern und Dozenten städtischer Einrichtungen wie der Volkshochschule, der Bibliothek und der Musikschule. In Mathe und Deutsch gibt es auch Samstags- und Ferienkurse.

Auf die Bundesländer mag man sich nicht verlassen

Eigentlich sind die Bundesländer für den Unterricht an den Schulen und für die Lehrer zuständig, doch in Mannheim mag man sich darauf allein nicht mehr verlassen. Vor kurzem hat der Gemeinderat beschlossen, das Maus-Programm fortzusetzen, auf insgesamt elf Schulen zu erweitern und den Betrag dafür von einer Viertelmillion auf jährlich 324.000 Euro zu erhöhen. Oberbürgermeister Peter Kurz und die Mannheimer hätten sicher nichts dagegen, wenn nun Ursula von der Leyen auch noch etwas Geld dazugeben würde.

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