Bildungsgerechtigkeit:Privatschule für alle

Eltern misstrauen dem staatlichen Bildungssystem, Privatschulen boomen. Sie haben den Ruf, Eliteschmiede für die Oberschicht zu sein - doch das Klischee ist falsch.

Felix Berth

Privatschulen in der Bundesrepublik boomen. Seit zwanzig Jahren steigen die Schülerzahlen kontinuierlich; im Schnitt kommen jede Woche zwei neue Bildungseinrichtungen dazu. Das Spektrum ist enorm: Manche Schulen sind streng christlich, andere geben sich antiautoritär, und viele wollen zumindest ein bisschen elitär sein. Bereits jeder neunte Gymnasiast besucht eine private Schule, und seit einigen Jahren steigen sogar die Angebote für die Erstklässler gleichmäßig. Offensichtlich wächst das Misstrauen der Eltern gegenüber dem staatlichen Bildungssystem stetig.

Doch welche Eltern sind das? In der deutschen Bildungsdiskussion dominiert die Annahme, es seien die Gutverdiener, die sich das Schulgeld und die Spenden an den Trägerverein der Schule locker leisten können, die ambitionierten Akademiker, die für ihre Söhne und Töchter eine irgendwie geartete "bessere" Schule suchen. Doch überprüft wurde dieses Klischee nie.

Keine Eliteschmiede für die Oberschicht

Die Bildungsökonomin Katharina Spieß vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat nun mit zwei Kollegen versucht, die Eltern der Privatschüler genauer zu beschreiben. Das überraschende Ergebnis: Keinesfalls finden sich an Privatschulen nur Kinder aus wohlhabenden Familien. "Das Haushaltseinkommen ist nicht entscheidend", hat Spieß mit den Daten einer repräsentativen Befragung von 12.000 Haushalten festgestellt.

Reiche Eltern, die deutlich mehr verdienen als der Durchschnitt, schicken ihre Kinder ebenso häufig auf Privatschulen wie weniger Begüterte mit normalen Einkommen. Das Bild von der Eliteschmiede für die Oberschicht stimmt offenbar nicht; die Forderung des Grundgesetzes, dass "keine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern" erfolgen darf, scheint erfüllt zu sein.

Trotzdem sind Privatschulen kein Spiegel der Gesellschaft. Das Einkommen der Eltern mag nicht entscheidend sein - ihre Bildung ist es sehr wohl. Von den Eltern, die selbst Abitur haben, schicken mehr als zwölf Prozent ihre Kinder auf eine Privatschule; diese Eltern haben den Boom der vergangenen Jahre ausgelöst. Ganz anders die Eltern mit Haupt- oder Realschul-Abschluss: Nur fünf Prozent ihrer Kinder gehen nicht auf staatliche Schulen; daran hat sich in den letzten Jahrzehnten wenig geändert. Wer heute eine Privatschul-Klasse vor sich hat und die Kinder und Jugendlichen nach dem Schulabschluss ihrer Eltern fragt, wird meist die gleiche Antwort bekommen: Abitur, ist doch logisch.

Boom der Privatschulen

Dass das Einkommen der Eltern nicht wichtig ist, könnte daran liegen, dass nicht alle Privatschulen viel Geld verlangen: Gerade unter kirchlichen gibt es viele mit sozialer Preisgestaltung. Doch davon kann nur profitieren, wer davon weiß. Und dieses Wissen, vermutet Katharina Spieß, ist bei Eltern mit höherem Schulabschluss häufiger vorhanden.

Nun überlegen Bildungspolitiker seit längerem, wie sie auf den Boom der Privatschulen reagieren sollen. Uta Meier-Gräwe, Soziologin an der Uni Gießen, plädiert dafür, dass "Privatschulen ihre oft sehr gute Arbeit unbedingt weiterführen sollen - aber mit einem Anteil von dreißig Prozent Kindern aus schwierigen Verhältnissen". Wer das durchsetzen will, das legt die DIW-Studie nahe, darf sich nicht auf das Einkommen der Eltern konzentrieren, sondern muss nach ihrem Schulabschluss fragen. Denn wieder einmal zeigt sich, dass Wissen in einer modernen Gesellschaft viel bedeutsamer ist als der Kontostand.

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