Bildungsferien in Oxford:"Ferienlager für Erwachsene"

An der englischen Traditions-Uni Oxford sind nicht nur die besten Studenten Europas eingeschrieben. Die Hochschule öffnet sich auch für Berufstätige.

Daniela Kuhr

Honigfarbene Gebäude, verzierte Dächer und unzählige Turmspitzen - so zeigt sich das englische Universitätsstädtchen Oxford seit Jahrhunderten seinen Besuchern. Trotz Supermärkten und Souvenirläden prägen die Kalksteinmauern der 39 Colleges das Bild. Wie Mahnmale scheinen sie alle paar Meter zu erinnern: "Vergiss nicht, wo du bist. Du bist in der Stadt mit der ältesten englischsprachigen Universität der Welt." Und eben das ist es, was Touristen nach Oxford zieht: die mehr als 800 Jahre alte Hochschule und ihr elitärer Ruf.

Doch der Einblick, den Besucher nehmen können, ist begrenzt. Wenn sie eines der Colleges besichtigen, stoßen sie früher oder später immer auf ein Schild: No entry to visitors beyond this point - Zutritt für Besucher nicht gestattet. Dahinter befinden sich die Studierzimmer, die Schlafräume, die Gemeinschaftssäle und oft auch die Bibliothek.

Um hier passieren zu dürfen, muss man Student sein. Das zu werden ist aber, was viele Touristen nicht wissen, gar nicht so schwer - wenigstens für ein paar Tage oder Wochen.

Wohnen im College

Jedes Jahr zwischen Ende Juni und Ende August veranstaltet die Universität Sommerkurse. Für manche muss man sich nur anmelden, für andere bewerben. Die Anmeldeverfahren für kommendes Jahr beginnen an diesem Montag, weitere folgen im Januar. Für eine oder mehrere Wochen können die Teilnehmer in Oxford studieren und im College wohnen.

Menschen aus aller Welt sollen die Chance haben, nach Oxford zu kommen und sich weiterzubilden, sagt Angus Hawkins, der die internationalen Programme der Universität leitet. Die Teilnehmer würden viel über die jüngsten Erkenntnisse und Theorien aus ihrem Interessensgebiet erfahren. "Sie haben die Gelegenheit, für eine Weile an einem ganz speziellen Ort zu sein und ein ganz spezielles Lebensgefühl zu entwickeln."

Heidi Reiss-Wellbery weiß, was Hawkins meint. "Von dem Moment an, als ich in Oxford aus dem Bus stieg, fiel alles von mir ab", sagt die 45-Jährige. Schnell stellte sich bei ihr das Gefühl ein, das viele Oxford-Besucher befällt: "Was daheim ist, kommt einem auf einmal so klein vor, so eng. Hier dagegen denkt man in Richtungen, in die man vorher nie gedacht hat."

Heidi Reiss ist Fachlehrerin für Englisch an einer Integrationsschule in Berlin. In Oxford hat sie einen Kurs für Lehrer belegt, die im Ausland Englisch als Fremdsprache unterrichten.

Angefangen hat die Universität ihre Sommerprogramme nach dem Zweiten Weltkrieg. Zunächst drehten sich die Kurse um Geschichte und Politik. Über die Jahre kamen Kunst, Kultur und britische Literatur dazu. 1993 bot die Universität erstmals The Oxford Experience an, ein breit gefächertes Programm, das sich über fünf Wochen hinzieht. Teilnehmer können sich für einzelne Kurse und damit für einzelne Wochen entscheiden.

Lesen Sie, wie die Gaststudenten in den Sommerkursen arbeiten müssen.

"Ferienlager für Erwachsene"

Kursgebühr, Unterkunft und Verpflegung für eine Woche kosten 820 Pfund, also etwa 1170 Euro. Die Themen reichen von Archäologie, Geschichte, Politik, Naturwissenschaften über Kunst, Musik bis hin zu Architektur und Literatur.

Der Studiengang für Lehrer, den Heidi Reiss-Wellbery besucht hat, umfasste zwei Wochen. Die schlanke Frau mit den halblangen blonden Haaren ist in erster Linie aus beruflichen Gründen nach Oxford gekommen. Doch sie hat mehr bekommen als sie erwartete. "Ich empfinde es als ein Riesengeschenk, dass ich hier mit Mitte 40 noch mal so eine Art Ferienlager für Erwachsene erleben durfte."

Selbst das Zimmer, in dem sie im Exeter-College schlief und das in ihrem Fall eine kleine dunkle Katastrophe war, nahm sie in Kauf. "Was soll's? Dafür bin ich in Oxford gewesen. Das ist Teil des Abenteuers", sagt sie und lacht. Dieses Abenteuer suchen Menschen aus aller Welt aus den unterschiedlichsten Gründen.

Wie zum Beispiel der irische Investmentbanker oder der brasilianische Manager, die an dem dreiwöchigen Kurs "Kreatives Schreiben" teilgenommen haben. Sie spielen mit dem Gedanken, ein Buch zu schreiben. "Ich werde demnächst 50", sagt der Ire, "und will mir nicht eines Tages vorwerfen, dass ich es nicht einmal versucht habe."

Es sei "ein ganz bestimmter Typ von Mensch, der hierherkommt", sagt Heidi Reiss. "Wer macht denn so was in seiner Freizeit? Wer geht denn freiwillig in den Ferien an die Uni?" Es seien ungewöhnlich offene Menschen, "die mit Begeisterung dazulernen".

In ihrem Programm hätten sich 61 Lehrer aus 19 Nationen getroffen, die älteste Teilnehmerin war über 70. "Wir haben Gespräche geführt, wie sie sonst nie stattfinden würden."

Studieren in kleinen Gruppen

Die Unterrichtsräume in den Colleges bieten meist Platz für maximal zwölf Personen, in Oxford arbeiten die Tutoren mit kleinen Gruppen. Die meisten Sommerkurse finden im Exeter College statt, einem der ältesten, oder in Christ Church, dem größten College in Oxford.

Frühstück, Mittagessen und Dinner nehmen die Sommerstudenten in einem Speisesaal zu sich, der mit seiner dunklen Wandvertäfelung, den alten Gemälden und den langen Tischreihen als Vorlage für die Harry-Potter-Filme diente.

"Jedes Mal, wenn ich hier bin, ist das für mich wie ein Ausflug in ein Märchen", sagt Ina de Mets. Die 36-jährige Belgierin hat bereits ihren dritten Sommer in Oxford verbracht. Sie ist Ingenieurin in einer Telekommunikationsfirma in Paris. In ihren Sommerkursen hat sie sich mit Shakespeare, britischer Nachkriegsliteratur und kreativem Schreiben befasst. Beruflich bringt ihr das gar nichts, aber persönlich kann sie sich keine schöneren Ferien vorstellen.

"Wir hoffen, dass der Aufenthalt hier eine einzigartige Erfahrung für unsere Teilnehmer ist", sagt Programmdirektor Hawkins, "egal, ob sie aus beruflichem oder persönlichem Interesse gekommen sind". Er möchte, dass die Sommerstudenten nach dem Ende ihres Kurses Oxford verlassen "mit dem Gefühl, intellektuell inspiriert worden zu sein. Sie sollen den dringenden Wunsch verspüren zurückzukommen". Bei Ina de Mets ist ihm das wieder gelungen. Ihren vierten Aufenthalt in Oxford plant sie bereits.

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