Bildungschancen:Akademiker unter sich

Mehr Macht dem Aufsteiger: Die Hochschulen müssen sich endlich bildungsfernen Schichten öffnen.

Tanjev Schultz

In den sechziger Jahren stellten Intellektuelle entsetzt fest, dass Bildung ein Privileg der Betuchten ist. Es müsste doch aber ein "Bürgerrecht" sein!, wie Ralf Dahrendorf es damals formulierte. Die Chancen von Kindern aus unteren Schichten, später zu studieren, seien allenfalls "symbolisch", schrieb der Soziologe Pierre Bourdieu 1964 in seiner Studie "Die Erben". Die Herkunft bestimmte die Chancen. Und wer es aus bescheidenen Verhältnissen doch bis zur Uni schaffte, dem fehlten nicht nur kulturelle Kenntnisse (der bürgerliche "Code"), sondern auch der finanzielle Rückhalt. So ähnlich ist es noch heute.

Bildungschancen: Absolventen der Privat-Uni Jacobs University Bremen.

Absolventen der Privat-Uni Jacobs University Bremen.

(Foto: Foto: dpa)

Die neuen Zahlen zur sozialen Lage der Studenten in Deutschland zeigen wieder einmal: Arbeiterkinder sind an den Hochschulen kaum vertreten, Kinder wohlhabender und akademisch gebildeter Eltern dafür umso mehr.

Auch innerhalb der Studentenschaft bestehen große Unterschiede. Da gibt es solche, die so viel jobben müssen, dass sie de facto nur ein Teilzeitstudium absolvieren. Und da gibt es die Erben des Wohlstands, deren Eltern das Geld für Bücher und Reisen spendieren. Von einem einheitlichen Studentenmilieu könne man wegen der unterschiedlichen sozialen Herkunft gar nicht sprechen, schrieb Bourdieu.

Auch heute noch zerfällt die Gruppe der Hochschüler in ganz unterschiedliche Lager. Die einen protestieren, aus Idealismus oder eigener Not, gegen Studiengebühren. Die anderen kümmern die 500 Euro im Semester wenig, weil Papa und Mama einspringen, ohne dass deshalb der Urlaub ausfallen müsste.

Während manche in FDP und Union damit liebäugeln, die Erbschaftsteuer zu streichen, haben dieselben Politiker kein Problem damit, von Studenten Gebühren zu verlangen. Für Kinder aus Arbeiter- und Handwerkerfamilien sind die Gebühren aber eine zusätzliche Hürde. Und die Wirtschaft klagt bereits über den Mangel an Fachkräften. Statt zu jammern, sollte sie lieber mehr Stipendien anbieten. Arbeiterkinder streben nämlich überdurchschnittlich stark in die Ingenieurswissenschaften - in jene Fächer, die bei Abiturienten nicht so gefragt sind, wie Unternehmer dies wünschen.

Flucht der Elite

Über die Effekte der Gebühren geben die neuen Daten des Studentenwerks allerdings noch keine Auskunft, dafür war der Zeitpunkt der Erhebung zu früh. Deshalb ist die SPD scheinheilig, wenn sie nur die Politik der Union angreift. Etwas mehr Selbstkritik stünde den Sozialdemokraten gut zu Gesicht. Denn in den SPD-Ländern, die keine Studiengebühren einführen, steht es um die Chancengleichheit ebenfalls nicht gut. Auch in Mainz, Bremen und Rostock sitzen kaum Arbeiterkinder im Hörsaal. Um das zu ändern, wird mehr Großzügigkeit beim Bafög helfen, aber nicht reichen. Die Hochschulen spiegeln ja die soziale Schieflage in den Gymnasien.

War der Aufbruch in den sechziger und siebziger Jahren also wirkungslos? Ganz so ist es nicht. Die Öffnung der Hochschulen hat vielen den Aufstieg ermöglicht. Ihre Kinder und Enkel studieren nun ebenfalls und zählen in der Statistik bereits als Akademikerkinder. Vor allem Frauen haben von der Bildungsexpansion profitiert, die vielzitierte katholische Arbeitertochter vom Lande ist heute weniger das Problem als der Sohn einer Araberin in Berlin-Neukölln.

Es ist jetzt ein kritischer Punkt erreicht, an dem sich entscheiden wird, ob Bildung und Aufstieg auch noch für Angehörige des Prekariats möglich werden - einer Gruppe, in der schon seit Generationen (Bildungs-) Armut vererbt wird. Da ist es kein gutes Zeichen, wenn konservative Publizisten Kurt Becks jüngsten Zeitungsbeitrag über Gerechtigkeit zum Anlass nehmen, hämisch über soziale Aufsteiger herzuziehen. Hier kündigt sich an, dass der Dünkelbürger sein Erbe hart verteidigen wird. Wenn die Aufsteiger in die Gymnasien und Hochschulen drängen, weicht er auf teure Internate und Elite-Unis aus.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: