Bildungschancen:Abi für alle

Wie in Bayern bis 2012 die bundesweit viel zu niedrige Quote von Akademikern erhöht werden soll.

Christian Rost

Ob es politische Felder betrifft wie innere Sicherheit und Finanzen oder sportlichen Ambitionen im Fußball - die Akteure in Bayern streben gern nach den ersten Plätzen. Bei der Abiturientenquote hingegen hat sich die Staatsregierung bislang mit hinteren Rängen zufrieden gegeben: Die Anzahl der Absolventen ist im bundesweiten Vergleich besonders niedrig.

Bildungschancen: "Durch Präsenz Bildungsinteresse wecken": Kind beim Lernen.

"Durch Präsenz Bildungsinteresse wecken": Kind beim Lernen.

(Foto: Foto: dpa)

Nun beginnt im Kultusministerium ein Umdenken: Binnen fünf Jahren soll die Zahl der Schulabgänger mit Fachabitur oder Allgemeiner Hochschulreife deutlich steigen. Durch Fördermaßnahmen für Buben, für Kinder mit Sprachschwierigkeiten und aus sozial schwachen Familien will Bayern seine Abiturquote bis 2012 von 35 auf 40 Prozent nach oben bringen. Dass es dabei Erleichterungen für die Schüler geben werde, bedeute aber nicht, "dass das Gymnasium einfacher wird", dämpft das Kultusministerium zu große Erwartungen.

Der Freistaat ist trotz der niedrigen Zahl an Studienberechtigten stolz auf die Qualität seines Abiturs - PISA hat dies auch bestätigt. Aussagen wie die des Präsidenten der Technischen Universität München, Wolfgang Herrmann, die bayerischen Abiturienten seien ihm besonders willkommen, nähren des Vertrauen in die eigene Politik. Appelle wie der der bayerischen SPD, dem Beispiel Nordrhein-Westfalens zu folgen und durch eine längere gemeinsame Schulzeit der Kinder mehr Übertritte zu erreichen, werden beiseite geschoben. Obwohl die Abiturquote an Rhein und Ruhr bei 50 Prozent liegt.

Keine Chance auch für den Vorschlag der Münchner Grünen, Bayern solle die Hürden fürs Gymnasium herunterschrauben. Die Standards seien länderübergreifend festgelegt und "nicht variabel", so das Ministerium. Der Deutsche Philologenverband schließt sich der Auffassung an, zumal "die Qualität nicht der Quantität untergeordnet werden" dürfe. Unterdessen kommen aber immer mehr Schüler durch die hohen Anforderungen im achtjährigen Gymnasium ins Straucheln. Der Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, Klaus Wenzel, schlug erst am Donnerstag wieder Alarm: Viele Kinder würden es nicht bis zum Abitur schaffen, prophezeit er.

"Begabtenreserve"

Die Probleme sind vor allem in den Städten offensichtlich: Für München sagen die Prognosen einen "starken Trend zur Internationalisierung" voraus. Den Zuzug von ausländischen Familien und deren höhere Geburtenrate spüren die Hauptschulen längst, insbesondere durch die Sprachprobleme bei den Kindern. Ab dem Jahr 2020 kommen in der Landeshauptstadt jährlich 2000 Kinder mehr als heute in die Schule. Der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund wird dabei immer größer. Darauf müssen sich auch die Gymnasien einstellen. Walter Gremm, Leiter der Gymnasialabteilung im Kultusministerium, erkennt diese Kinder nun als "Begabungsreserven", die es auszuschöpfen gelte.

Bayern ist nach Brandenburg und Schleswig-Holstein das Bundesland mit der geringsten Besuchsquote an Gymnasien und mit der höchsten Quote an den Hauptschulen. Bei Migrantenkindern ist der Abstand noch deutlicher.

Abi für alle

Gremm lobt in seinem Zukunftskonzept zwar weiter die Dreigliedrigkeit des Schulsystems - über Fachoberschule und Berufsoberschule erreichten in Bayern 43 Prozent das Abitur. Trotzdem müsse es Verbesserungen an den Gymnasien geben: In München, Nürnberg und Augsburg sollen die Sprachförderangebote in der Grundschule intensiviert werden, um Kindern von Einwanderern einen Übertritt überhaupt erst zu ermöglichen. In der Sekundarstufe sollen sie eine Muttersprache als Fremdsprache wählen, um die Nachteile gegenüber den deutschen Kindern ausgleichen zu können. Für die Oberstufe ist vorgesehen, die Muttersprache bei der Abiprüfung anzubieten. Am Münchner Elsa-Brändström-Gymnasium hat heuer erstmals eine Kollegiatin in Bayern das Abi in Türkisch geschrieben (Seite 43). Nicht zufällig war hier eine städtische Münchner Schule Vorreiter.

Das rot-grün regierte München will Kinder aus bildungsferneren Schichten nämlich intensiv unterstützen. In Stadtteilen, in denen besonders viele Harz-IV-Empfänger und Einwanderer leben, geht bislang nur jedes fünfte Kind nach der Grundschule aufs Gymnasium. Mehr als jedes zweite Kind indes wechselt in Gebieten mit hoher Kaufkraft auf die höhere Schule. "Je höher das Einkommen, desto besser die Bildung", sagt Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD). Deshalb sollen künftig nicht nur in neuen Stadtteilen, sondern gezielt auch in den ärmeren Vierteln wie im Norden Gymnasien gebaut werden. "Durch Präsenz Bildungsinteresse wecken", heißt das.

Das Ministerium unterstützt die Pläne, schließlich verfolgte der Freistaat diese Politik selbst intensiv in den 60 und 70er Jahren, als in den ländlichen Regionen die Zahl der Gymnasien sprunghaft um 50 Prozent erhöht wurde. Neben sprachlichen Hürden stehen aber auch "traditionelle Vorstellungen" in Migrationsfamilien einem Übertritt der Kinder auf eine höhere Schule oft entgegen. Dieses Problem, sagt Gremm, "besteht in ländlichen Gebieten aber auch in deutschen Familien". Begabte Kinder gingen nicht aufs Gymnasium, weil der elterliche Betrieb übernommen werden solle oder sich die Eltern überfordert fühlten, wenn ihre Hilfe gefragt sei. Der Abiturientenanteil liegt je nach Region zwischen mehr als 50 Prozent (München) und weniger als zehn Prozent (in Teilen Niederbayerns). Gremm will Eltern künftig durch eine "intensivere Aufklärung" gewinnen.

Um die im Gymnasium unterrepäsentierten Buben kümmert sich im Ministerium eine Arbeitsgruppe, die das Projekt "bewegte Grundschule" wieder aufleben lassen will. Damit soll der Bewegungsdrang der Kinder stärker berücksichtigt werden. Potentiellen Sitzenbleibern verspricht man eine stärkere Förderung, die Zahl der Wiederholer müsse "signifikant sinken", fordert Gremm. Dass Bayern dabei auch auf mehr Ganztagsangebote in Gymnasien setzt, wie München es tut, ist nicht zu erwarten. Das Ministerium verweist auf die 143 von 408 Gymnasien in Bayern, die bereits solche Angebote hätten. Es sei zwar "eine Entwicklung in diese Richtung zu erwarten", sagt Gremm, schränkt aber ein, dass das Angebot ohnehin nur für die fünften bis achten Jahrgangsstufen infrage komme. Ältere Schüler zeigten kein Interesse mehr.

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