Bildung:Zum Lernen ins Ferienlager

Immer mehr deutsche Schulen bieten kostenlose Kurse zur Urlaubszeit an. So soll die Zahl der Sitzenbleiber gesenkt werden, doch den Schülern fehlen nötige Entspannungspausen,

Birgit Taffertshofer

Wer mit Pythagoras auf dem Kriegsfuß steht, der bleibt irgendwann auf der Strecke. Zumindest in Mathe. Fuat hat das begriffen. Der 15-Jährige stellt sich bald den Abschlussprüfungen. Deshalb hat sich der Hauptschüler nun Sondertraining verordnet: In diesen Ferien schiebt er eine Woche lang Zusatzschichten in der Brüder-Grimm-Schule im hessischen Steinau - und er liegt damit voll im Trend.

Schüler, ap

Schöne Ferien: Pauken, um das Klassenziel zu erreichen.

(Foto: Foto: ap)

Immer mehr Kinder und Jugendliche drücken in den Osterferien freiwillig die Schulbank, um ihre Noten noch rechtzeitig vor dem Ende des Schuljahres aufzubessern. In Hessen starteten an diesem Dienstag 1400 Schüler in die sogenannten Lerncamps. Aber auch in anderen Bundesländern entfällt für versetzungsgefährdete Schüler neuerdings der Osterurlaub.

Camp - das klingt nach Ferienfreizeit mit Lagerfeuer, Fußball und Wanderungen. Nichts davon gibt es in Fuats Camp, in dem vor allem gebüffelt wird und das dazu noch im gewohnten Klassenzimmer stattfindet. 33 der insgesamt 40 Neuntklässler der Brüder-Grimm-Schule wollen sich fit für die bevorstehende Abschlussprüfung machen. Dafür bieten ihnen zwei Lehrer an fünf Ferientagen kostenlose Nachhilfe, jeden Tag von acht bis 15.30 Uhr. Und das Erstaunliche: Viele Jugendliche kommen scheinbar ganz gerne, auch dann, wenn sie den Paukkurs in den Ferien eigentlich gar nicht nötig hätten.

Vollpension und Freizeitprogramm inklusive

Lehrerin Julia Czech ist jedenfalls begeistert. "Die Jugendlichen legen in unserem Ostercamp eine Ausdauer an den Tag, wie man sie sonst nicht kennt." Durch das Prinzip der Freiwilligkeit entstünde ein völlig neues Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler. "Die Lehrer verstehen sich als Lernberater, nicht als Notengeber", erzählt sie. Dadurch verlören die Schüler ihre Angst, offen Fragen zu stellen.

Vor vier Jahren hat Bremen als erstes Bundesland damit begonnen, versetzungsgefährdeten Schülern in den Osterferien kostenlosen Förderunterricht anzubieten. Vor einem Jahr entwarf Hessen ein Lernprogramm für die Osterferien. Und in diesem Jahr lud erstmals auch Nordrhein-Westfalen zu "Lernferien" ein. 100 Schüler lernten gemeinsam in einem Schulungszentrum, das Angebot umfasste vier Tage Vollpension und gemeinsame abendliche Freizeitgestaltung.

Andere Bundesländer denken bereits darüber nach, dem Beispiel zu folgen. Denn seit vielen Jahren bereitet den Kultusministern gerade die hohe Zahl an Sitzenbleibern Kopfschmerzen. Jedes Jahr drehen in Deutschland fast eine Viertelmillion Schüler eine "Ehrenrunde", wie das Zurückstufen auch gerne genannt wird. Besonders in den neunten Klassen bleiben viele sitzen.

Auf der nächsten Seite: Warum die Feriencamps auf ein Versagen des deutschen Schulsystems hinweisen.

Zum Lernen ins Ferienlager

Jubelbotschaften aus den Ministerien

Dass die Ferienkurse durchaus positive Effekte haben können, zeigt eine Studie der Bremer: Im vergangenen Jahr hat jeder dritte Schüler seine Note in dem Fach verbessert, in dem er in den Ferien gefördert wurde. Die Hälfte schaffte auch den Sprung in die nächste Klasse. "Wir sind mit den Ergebnissen der Ostercamps sehr zufrieden", sagt Ministeriumssprecherin Karla Götz. Die Motivation in den Gruppen sei hoch, da höchstens zehn Schüler miteinander arbeiteten. In diesen Osterferien nahmen wieder fast 1000 Jugendliche teil.

Eltern und Lehrern bereiten diese Jubelbotschaften aus den Ministerien aber zunehmend Sorgen: "Die Feriencamps sind ja nur ein Zeichen dafür, dass das Schulsystem kaputt ist", betont der Präsident des bayerischen Lehrerverbands Klaus Wenzel. Schulkinder müssten in den Ferien ein paar unbeschwerte Wochen fernab des Lerndrucks in der Schule erleben dürfen. Die Ferien seien dafür da, mal ein Museum oder den Tiergarten zu besuchen. Statt gerade den schwachen Schülern die notwendigen Entspannungsphasen wegzunehmen, solle die Politik lieber die Schulen besser ausstatten, damit solche Ferienprogramme überflüssig würden, meint auch die Gewerkschaft für Erziehung (GEW). Zumal auch immer mehr private Nachhilfeinstitute von den Defiziten profitierten.

Tatsächlich bieten auch Nachhilfe-Institute wie die "Schülerhilfe" mittlerweile gerne Lerncamps in den Ferien an, im Kleinwalsertal in Österreich oder am Tegernsee. Vormittags wird gepaukt, am Nachmittag können die Kinder am Freizeitprogramm teilnehmen oder Zeit mit den Eltern verbringen. Dafür müssen Eltern allerdings tief in die Tasche greifen: Zwei Stunden Nachhilfe vormittags, Übernachtung, Mittagessen und Freizeitprogramm kosten in der Woche mehre hundert Euro.

In Nordrhein-Westfalen träumt der ein oder andere deshalb schon von einer Ausweitung der Lernferien. Nicht nur versetzungsgefährdete Schüler sollen von dem kostenlosen Programm profitieren, sondern auch Begabte. Und auch in den Sommerferien werden wohl wieder einige Schüler zum Lernen antreten.

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