Bildung und Föderalismus:Ein deutscher Sadismus

Der Bildungsföderalismus quält Lehrer, Eltern und Schüler: Er ist praktizierte Bürgerferne, er ist schikanös, er ist eine staatsrechtliche Spielform des Sadismus.

Heribert Prantl

Der deutsche Föderalismus ist so, dass er sogar die alten Spruchweisheiten Lügen straft: "Variatio delectat" sagen die Lateiner. Vielfalt macht Freude. Die Vielfalt gibt es in Deutschland, die Freude nicht: Die 16 Bundesländer leisten sich 16 verschiedene Bildungssysteme. Das ist keine schöne Abwechslung. Wem macht es Freude, wenn in Deutschland einige tausend verschiedene Lehrpläne gelten? Wem macht es Freude, wenn jedes Bundesland seine eigenen Hochschulen betreibt? Wenn hier Studiengebühren erhoben werden und dort nicht?

Föderalismus, dpa

Föderalismus und Bildungspolitik: Gesiegt hat der Scheuklappenegoismus der Länder.

(Foto: Foto: dpa)

Wem macht es Freude, wenn ein Lehrer aus Hamburg nicht in München unterrichten darf, weil ihm ein Seminarschein fehlt? Und wer hat Freude daran, dass ein Umzug mit schulpflichtigen Kindern von Hamburg nach München einer Auswanderung nach Australien gleichkommt? Wer hat sein Vergnügen, wenn ein Juniorprofessor leichter von Berlin nach Bologna wechselt, als von Berlin nach Potsdam? Und wem macht es Spaß, dass jedes Land seine Schulformen festlegt und die Ausbildung seiner Lehrer regelt? Der Spaß beschränkt sich auf die 16 Kultusminister und ihre Bürokratien.

Der größte Zankapfel

Die Anforderungen im Gymnasium weichen so stark voneinander ab, dass Jugendliche besser in Köln bleiben, wenn Väter oder Mütter eine neue Arbeitsstelle in München antreten. Ist das die Bürgernähe, von der Landespolitiker reden, wenn sie den Föderalismus verteidigen? Dieser Bildungsföderalismus ist praktizierte Bürgerferne, er ist schikanös, er ist eine staatsrechtliche Spielform des Sadismus: Er quält die Lehrer, er quält die Eltern und er quält die Schüler.

Die Föderalismusreform der Jahre 2005/06 hat nichts besser gemacht, im Gegenteil. Die "Bildung" war der größte Zankapfel zwischen Bund und Ländern. Man hat so lange gestritten, dass man auf ein großes neues Konzept hätte hoffen können, das Antwort gibt auf Fundamentalfragen: Wie stellt man gleiche Bildungschancen her? Wie kann man ein Ganztagsschulsystem auf die Beine stellen, das Schüler aus ärmeren Familien individuell fördert und zugleich den Bedürfnissen von berufstätigen Müttern und Vätern entgegenkommt? Und wie erreicht man eine bessere Ausstattung der Schulen und Hochschulen?

Keine dieser Fragen ist beantwortet worden. Gesiegt hat der Scheuklappenegoismus der Länder. Und der Bund hat seine Restkompetenzen in der Bildungspolitik an die Länder verscherbelt. Bundesbildungsministerin Annette Schavan verdient seitdem ihre Amtsbezeichnung nicht, die sie trägt. Sie hat Einfluss auf die Forschung, doch in der Bildung erschöpft sich ihre Zuständigkeit im Wesentlichen darin, Interviews zu geben. Ansonsten kann sie noch Studien in Auftrag geben, und selbst dies nur, wenn die Länder mitspielen. Im Vergleich zu ihr ist der machtlose Bundespräsident ein Ausbund an Macht.

Auf der nächsten Seite: Warum die Kultusministerkonferenz ein Bürokratiemoloch ist.

Ein deutscher Sadismus

Bürokratiemoloch Kultusministerkonferenz

Was spricht für einen Bildungsföderalismus? Der Gedanke, ein Wettstreit der Länder um die besten Schulformen könnte das System voranbringen, ist nur abstrakt sehr verlockend. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die Koordination der Abschlüsse klappt in der KMK, der Kultusministerkonferenz, nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Die KMK ist kein kluges Steuerungselement, sondern ein Bürokratiemoloch.

Föderal ist gut, zentral ist schlecht? Ein kleines Beispiel, wie wenig diese Predigt stimmt: Seitdem die zentrale Vergabe von Studienplätzen abgeschafft wurde, bewerben sich Abiturienten wie die Weltmeister bei etlichen Universitäten - und entscheiden sich dann erst kurz vor dem Ende der Einschreibungsfrist. Das bringt für die Universitäten nicht nur enorme Planungsunsicherheiten; es werden auch Ressourcen verschleudert: Vorhandene Studienplätze bleiben unbesetzt, obwohl es Nachfrage gibt.

Keine einheitliche Stimme

Die Auswirkungen des deutschen Föderalismus in Brüssel schließlich sind, man muss es so sagen, zum Heulen. Die Wahrnehmung der deutschen Interessen in Europa "auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks" ist durch die Föderalismusreform "vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen" worden (Artikel 23 Grundgesetz). Dieser Ländervertreter muss sich regelmäßig der Stimme enthalten, weil es keine einheitliche Stimme der Länder gibt. Er ist aktionsunfähig.

Das deutsche Bildungssystem braucht einheitliche Rahmenregelungen und eine solide, von Bund und Ländern gemeinsam getragene Finanzierung. Solange es diese Erkenntnis und die legislativen Schlüsse daraus nicht gibt, muss man Bildungsgipfel gar nicht erst einberufen. Der Bildungsgipfel, der seinem Namen gerecht wird, kann nur ein Gipfel zur Reform der Föderalismusreform sein.

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