Bildung 4.0:Lehre im Wandel

Bildung 4.0: Zurzeit ist Bildung 4.0 noch ein ziemlich wolkiger Begriff, auch für diejenigen, die sich professionell mit Fortbildung aus der Ferne beschäftigen.

Zurzeit ist Bildung 4.0 noch ein ziemlich wolkiger Begriff, auch für diejenigen, die sich professionell mit Fortbildung aus der Ferne beschäftigen.

(Foto: imago stock&people)

Erfordert die moderne Technologie eine neue, auf die Digitalwelt zugeschnittene Didaktik? Die Frage treibt die Anbieter von Fernlehrgängen um.

Von Christine Demmer

Die Digitalisierung beschränkt sich nicht nur auf die Industrie. Im Wandel ist auch die Art und Weise, wie Menschen sich bewegen - mit dem selbstfahrenden Auto -, wie Menschen den Urlaub planen - gebucht über ein Reiseportal oder Airbnb - und wie sie lernen. Nur wenige Professoren verteilen noch fotokopierte Skripte. Die meisten Dozenten verweisen auf den Download im Internet. Digitale Lehr-Materialien sind einfacher und kostengünstiger zu erstellen, zu ändern und zu verbreiten. Das schätzen viele, die sich weiterbilden möchten. Sie können selbst entscheiden, wann und wo sie Wissen aufnehmen, bearbeiten und speichern.

In der Praxis werfen die digitalen Unterrichtsformen zudem neue juristische Fragen auf. Wem gehören zum Beispiel die Urheberrechte an Skizzen von Studenten, die sie in einer Online-Vorlesung mit anderen teilen? Den Studenten? Dem Bildungsveranstalter? Dem Internet-Provider? Und Dozenten stellen die tief verwurzelten Lerngewohnheiten der Studierenden vor neue Herausforderungn. "Der Anteil derjenigen, die das Studienmaterial ausgedruckt haben wollen, ist immer noch sehr hoch", weiß Rolf Arnold, wissenschaftlicher Direktor des Distance and Independent Studies Center (DISC) der Technischen Universität Kaiserslautern. Der Professor bedauert das. "Druck und Papier kosten nicht nur viel Geld", sagt er, "die Zurückhaltung erschwert auch die Nutzung der didaktischen Vorzüge digitalisierter Bildung." Als Vorzüge digitaler Technologie gelten insbesondere die Interaktivität, der direkte Austausch zwischen Dozenten und Schülern sowie die neuen Möglichkeiten des Lernens - über Chats, Videos und Skype.

Fachleute raten Fernstudenten, sich mit anderen in einer Lerngruppe zusammenzutun

Allein auf die technischen Vorteile der Digitalisierung zu setzen, sei zu kurz gegriffen, findet Arnold. Den neuen Medien angepasst werden müsse auch die Didaktik, die Art und Weise der Wissensvermittlung. Derzeit lotet die Branche noch aus, auf welche Weise die Didaktik verändert werden sollte. Klar ist bislang nur, dass die Interaktivität weiter ausgebaut und verbessert werden soll. Letztlich gehe es im Studium darum, dass die Teilnehmer Kompetenzen entwickelten, stellt Arnold fest; die Kernfrage laute: "Was kommt am Ende nach einem Studium heraus? Was können die Absolventen?" Mit den folgenden Worten ermahnt er die Anbieter, mehr Wert auf eine adäquate Didaktik zu legen: "Der ganze Fernunterricht marschiert in die falsche Richtung. Wir unterliegen der Illusion, dass der bloße Inhalt von Lehrmaterialien - ob live oder digital zugänglich gemacht - auf geheimnisvolle Weise eine bildende Wirkung zu entfalten vermag."

Zum Thema Bildung 4.0 veranstaltet das Forum Distance Learning, in dem sich viele Anbieter von Fernunterricht zusammengeschlossen haben, am 14. November in Berlin eine Fachkonferenz, zu der alle Interessierten eingeladen sind. Auf dieser soll das Schlagwort Bildung 4.0 für den Fernunterricht inhaltlich transparent gemacht werden. "Der politische Druck ist groß, das Thema Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen", erklärt Verbandspräsident Mirco Fretter. "Die Politiker fordern uns auf: Tut was." Die Unterrichtsanbieter beschäftigten sich fieberhaft mit der Digitalisierung, versichert er, doch die Erwartungen müssten noch konkretisiert werden. In diesem Kontext gehe es um Fragen wie: "Gibt es neue Anforderungen von der Wirtschaft? Sind die mit dem bisherigen Bildungssystem nicht zu schaffen? Haben wir das Thema nicht schon im Griff?"

Als Leiter des Forschungsinstituts Betriebliche Bildung in Nürnberg ist Eckart Severing unter anderem damit beschäftigt, die Berufsbildung zu entstauben. Das Forschungsinstitut sichtet Bildungsangebote und gibt dem einen oder anderen Tipps, wie er seine Lehrgänge verbessern kann. "Zu Beginn der Digitalisierung hat man sich darauf konzentriert, Frontalunterricht elektronisch nachzubilden", erklärt der Wissenschaftler. "Heute geht man stärker dazu über, die Teilnehmer zu Aktivitäten aufzufordern und ihnen Möglichkeiten der Vernetzung untereinander zu geben." Selbstbestimmt zu Hause lernen, ist nur die halbe Miete. Nötig für den Erfolg ist der persönliche Austausch - sei es von Angesicht zu Angesicht oder virtuell - innerhalb der Lerngruppe. Das bestätigt Professor Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) in Bonn. "Die neuen Technologien haben den Nachteil der Isolation der Lernenden ein Stück weit aufgelöst, weil man sich heute synchron austauschen kann", sagt er. Allein darin sieht er schon "eine starke didaktische Wirkung".

Ob und inwieweit Hochschulen und Institute ihren Kunden nicht nur digitale Technik, sondern auch eine auf die Digitalwelt zugeschnittene Didaktik anbieten, ist noch nicht empirisch untersucht worden. Und über didaktische Vorzüge der Digitalisierung weiß man insgesamt noch zu wenig. BIBB-Präsident Esser gibt sich trotzdem zuversichtlich, "dass der Fernunterricht von der Digitalisierung nachhaltig bereichert wird".

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