Bewerbungsseminare:Lehrgang in Selbstlob

Für die meisten Menschen gibt es wenig Schlimmeres, als erklären zu müssen, warum ausgerechnet sie die Besten für einen Job sind. Macht nichts, dafür gibt es Seminare.

Alexander Mühlauer

Es ist Donnerstag, kurz vor neun in der Münchner Arbeitsagentur, als Herr Winkler die nicht ganz so wachen Studenten bittet, mal aufzustehen. Also erheben sie sich in Zeitlupen-Tempo, nehmen noch einen Schluck Kaffee aus dem Pappbecher und stellen sich im Kreis auf. In der Mitte steht Herr Winkler und fragt: "Können Sie die Finanzkrise erklären?" Schweigen, weiter nichts.

Aha, sagt Herr Winkler und nickt, als hätte er sich das schon gedacht. Er dreht sich nochmal im Kreis, guckt den Studenten in die Augen, was gar nicht so einfach ist, denn die meisten schauen auf den Boden. Dann sagt er: "Kann gut sein, dass Sie das beim Bewerbungsgespräch gefragt werden."

Tja, dann wird das wohl nichts mit dem Job. Ein bisschen mehr Frische, ein bisschen mehr Sicherheit wären nicht verkehrt, meint Herr Winkler. Genau deshalb sind sie ja auch alle hierher gekommen: Sie wollen lernen, wie man sich richtig bewirbt und auf welche Fragen man sich beim Auswahlgespräch gefasst machen muss.

Der Peter Zwegat der Bewerbungsindustrie

Herr Winkler heißt mit Vornamen Gerhard, kommt aus Berlin und nennt sich Bewerbungshelfer. Er ist, das kann man sagen, so etwas wie der Peter Zwegat der Bewerbungsindustrie. Das lässt er sich auch gerne anmerken; kein Zweifel, er hält sich für den Besten seines Fachs. Herr Winkler will den gut 20 Studenten in den kommenden zwei Tagen zeigen, wie sie sich am besten für einen Job bewerben können. Auf dem Stundenplan stehen: Lebenslauf, Anschreiben, Online-Bewerbung und etwas, das Herr Winkler "Die Bewerberstory" nennt.

Aber der Reihe nach. Noch stehen die Studenten im Kreis um den Bewerbungshelfer. "Was soll man denn auf die Finanzkrisen-Frage antworten?", will eine Romanistik-Studentin wissen. Herr Winkler dreht sich einmal im Kreis, und was er sieht, gefällt ihm nicht. Schon wieder schauen alle auf den Boden. "Na gut", sagt er, "dann will ich Sie nicht länger nerven." Sein Tipp: "Lesen Sie zusammenfassende Analysen der Krise. Die finden Sie in Zeitungen." Es komme nicht darauf an, alles genau zu verstehen; aber die Ursachen der Krise sollte man schon wissen, dazu ein paar Namen. Lehman Brothers zum Beispiel.

Warum man das bitteschön wissen sollte? Nun ja, meint Herr Winkler, man könne von einem Akademiker erwarten, dass er sich mit der aktuellen Wirtschaftslage befasse. Sagt es und guckt in die Runde. Die Studenten schauen betreten drein, nicken dann. Gut, sagt Herr Winkler, Sie dürfen sich wieder setzen.

"Es ist wie auf einem Flohmarkt"

Er selbst stellt sich vorne an den Tisch. Zwischen braunen Vorhängen hat er eine Leinwand aufgebaut. Darauf projiziert er mit einem Beamer seine Powerpoint-Präsentation. "Vermarkten Sie sich regelrecht", ist da zu lesen. "Es ist wie auf dem Flohmarkt", sagt Herr Winkler, "Sie müssen es schaffen, dass der Personaler nicht an ihrem Tisch vorbeigeht." Wie das geht? Ganz einfach, meint Herr Winkler, alles, was man brauche, seien kleine Storys aus dem eigenen Leben, ohne sich dabei zum Helden zu stilisieren.

Im Winklerschen Bewerbungsberater-Deutsch heißt das: "Nutzen Sie im Bewerbungsgespräch jede Frage, jede Aufforderung als Anstoß, um gut über sich zu sprechen." Oder: "Kommen Sie zur Sache: Namen, Orte, Handlungen, Leistungen, Erfolge." Oder aber auch: "Dosieren Sie Ihre Ich-Aussagen und Selbstbewertungen." Das alles mag besserwisserisch klingen. Ist es sicher auch. Aber so klingen Ratgeber eben.

Rot ist tabu

Die meisten der Studenten, die hier sitzen, haben schon erste schlechte Erfahrungen beim Bewerben gemacht. Mal haben sie beim Auswahlgespräch einen Blackout gehabt. Mal sind sie gar nicht erst dazu eingeladen worden. Sie sind hier, weil sie es nächstes Mal besser machen wollen. Sie wollen sich vor allem jetzt, in Zeiten der Krise, von den anderen Mitbewerbern absetzen.

"Total daneben, sorry"

Die Studenten haben ihre bisherigen Bewerbungsmappen schon einen Tag zuvor via E-Mail an Herrn Winkler geschickt. Hat er sich angesehen, sagt er. Und dann zeigt er auf der Leinwand vorne, wie man es nicht macht. Zu sehen ist ein Lebenslauf mit viel zukleiner Schrift und einem Foto, schwarz-weiß, auf dem ein Mann zu sehen ist. Er stützt sein Kinn auf die geballte Faust. "Dieses Foto zeigt eine Verteidigungshaltung", sagt Herr Winkler, "total daneben, sorry." Beim Foto sollte man auf keinen Fall sparen. "Man muss zu einem professionellen Studiofotografen", rät Herr Winkler. Nur der schaffe es, ein Foto zu schießen, das eine selbstbewusste Gelöstheit ausstrahle. "Schauen Sie nicht schräg oder von unten. Lächeln Sie offen und herzlich", sagt Winkler mit seiner Ratgeber-Stimme.

Bleibt eine Frage, die vor allem die Studentinnen am Tisch der Arbeitsagentur beschäftigt: Was soll man anziehen? "Business-Jacket in Grau, Schwarz, Marine, Beige, Braun. Aber bitte dezent, nicht zu modisch, aber auch nicht zu konservativ", meint Herr Winkler. Ist Rot eine Tabufarbe, will eine Germanistin wissen. Ja, ist tabu, sagt Herr Winkler.

Keine vollständigen Sätze

Jetzt soll es um die Visitenkarte eines jeden Bewerbers gehen: den Lebenslauf. Luftig sollte er gestaltet sein, rät Herr Winkler. Ein überladenes Blatt schrecke ab. Ansonsten gilt: "Wählen Sie die Daten bewusst aus. Und kürzen Sie da, wo es sinnvoll ist." Es bringe zum Beispiel nichts, als wissenschaftlicher Mitarbeiter folgenden Satz in den Lebenslauf zu schreiben: "Die Aufgabe beinhaltete die Vorbereitung der Vorlesung mit dem Microsoft-Office-Präsentations-Programm Powerpoint, das Halten der Vorlesungen sowie Abnahme, Korrektur und Benotung von Hausarbeiten und Klausuren." Das gehe auch kürzer. Herr Winkler rät, keine vollständigen Sätze zu formulieren. Was Powerpoint ist, wüssten die meisten Personaler ohnehin.

Nach dem ersten Tag des Trainings ist die Meinung der Teilnehmer gespalten. Einige finden Winkler "wahnsinnig hilfreich", andere finden: "Der lässt nur seine Ratschläge gelten und erklärt diese zum absoluten Bringer." Wie auch immer, am nächsten Tag sitzen fast alle wieder hinter den braunen Vorhängen der Münchner Arbeitsagentur. Auf dem Programm stehen noch: Online-Bewerbung und Bewerberstory. Heutzutage haben vor allem die großen Unternehmen vorgefertigte Bewerbungsformulare auf ihrer Website. Die Jobsucher haben also viel weniger Gestaltungsraum als früher. Kein selbst entworfener Lebenslauf, schon gar kein Anschreiben mehr. Und Fotos wollen sie auch immer weniger - schließlich sollen alle gleich behandelt und nicht nach dem Aussehen beurteilt werden.

Die einfache Formel: "2E2A"

Auf die Leinwand hat Herr Winkler seinen Tipp projiziert: "Reizen Sie die Online-Formulare aus. Füllen Sie alle Felder aus. Funktionieren Sie sie gegebenenfalls für Ihre Zwecke um." Die Devise sei dieselbe wie bei der klassischen Bewerbung. Herr Winkler bringt sie auf die Formel "2E2A": "Einfach und ehrlich, ansprechend und angemessen." Der Berliner Bewerbungshelfer weiß, dass dies alles recht einfach klingt. Ist es aber nicht. Am wichtigsten sei es, mit seinen Unterlagen zu überzeugen, sodass man zum Bewerbungsgespräch eingeladen werde.

Auch das klingt einfach. Vor allem in Zeiten der Wirtschaftskrise. Da sei es doch umso besser, sagt ein Politik-Student, dass er bei Herrn Winkler gelernt habe, wie man eine überzeugende Bewerbung schreibt. Vor allem der Tipp mit der Story, die man über sich selbst erzählt, hat ihm gefallen.

"Er will aus uns allen Marketing-Typen machen"

Andere Teilnehmer sind nicht so zufrieden. Einige hätten sich gewünscht, dass noch mehr auf die Bedürfnisse von Geisteswissenschaftlern eingegangen worden wäre. "Ich hatte das Gefühl, er will aus uns allen Marketing-Typen machen", sagt eine Germanistin. Herr Winkler jedenfalls ist zufrieden. Am zweiten Tag des Bewerbertrainings hatte sogar ein Student den Wirtschaftsteil einer Zeitung in der Hand. Er las einen Artikel über die Finanzkrise.

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