Bewerbungen:Viel heiße Luft

Noch immer wählen Firmen Mitarbeiter mit unsinnigen Aufgaben und Fragen aus. Berater Uwe Schnierda über Höhlendilemmas, Heißluftballontests - und erfreulichere Trends.

Julia Bönisch

sueddeutsche.de: Herr Schnierda, wie suchen Personalabteilungen im Moment nach guten Leuten? Gibt es neue Trends auf dem Recruitingmarkt?

Heißluftballon, iStock

Bewerber im Heißluftballon: Welcher Kandidat muss springen - wer darf bleiben?

(Foto: Foto: iStock)

Uwe Schnierda: Ja, wir können im Moment drei große Trends ausmachen. Der erste ist: Unternehmen achten wieder mehr auf die Persönlichkeit der Bewerber. Deshalb versuchen sie, in neuen Tests individuellen Stärken und Schwächen besser als bisher auf die Spur zu kommen und nicht nur das Fachwissen der Kandidaten kennen zu lernen.

sueddeutsche.de: Wie sehen diese neuen Tests aus? Kann man Persönlichkeit überhaupt abfragen?

Schnierda: Das ist tatsächlich ein großes Problem. Viele Firmen sind sich noch nicht einmal darüber einig, was Persönlichkeit überhaupt ist. Deshalb machen sie es sich leicht und sagen einfach: Persönlichkeit ist das, was unser Test misst. Generell lässt sich aber sagen, dass Unternehmen von den harten Assessment Centern abkommen und lieber sogenannte Kennenlern-Tage veranstalten. Das ist für Bewerber natürlich ebenfalls stressig, denn auch dort müssen sie sich präsentieren und Aufgaben bewältigen, aber das läuft in einer netteren Atmosphäre ab. In Gruppendiskussionen oder in simulierter Projektarbeit prüfen Firmen etwa die Kommunikationsfähigkeit der Kandidaten, oder auch, ob sie Kritik üben und annehmen können.

sueddeutsche.de: Was sind die anderen beiden Trends?

Schnierda: Bei Unternehmen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass nicht jeder Kandidat gleich gut sein kann, sie beachten heute mehr die individuellen Stärken. Außerdem wollen sie sehen, dass ein Bewerber motiviert ist. Es reicht nicht mehr, auf die Fragen: "Warum wollen Sie ausgerechnet diesen Beruf ausüben, und warum wollen Sie ausgerechnet zu uns?" einfach zu antworten: "Der Job macht mir Spaß, und ihr Unternehmen hat einen guten Ruf." Da muss schon mehr kommen.

sueddeutsche.de: Was denn?

Schnierda: Konkrete Beispiele kommen immer gut an. Jeder kann behaupten, er sei motiviert. Aber nicht jeder kann konkret begründen, warum ausgerechnet diese Stelle sein Traumarbeitsplatz ist. Wer bereits Praktika absolviert, zusätzliche Informationen im Internet recherchiert oder ein ganz persönliches Erlebnis gehabt hat, das ihn mit einer Firma oder einem Beruf verbindet, sollte das sofort erzählen. Damit sammeln Kandidaten Pluspunkte.

sueddeutsche.de: Das heißt, die Zeit der Stressinterviews und unlösbaren Aufgaben ist vorbei?

Schnierda: Leider noch nicht ganz. Uns kommen immer wieder wilde Geschichten zu Ohren. Es gibt einige beliebte Aufgaben und Psychotests, die Personalabteilungen offenbar witzig finden, jedoch völlig berufsfern sind und für Bewerber schrecklich.

sueddeutsche.de: Welche Aufgaben sind das?

Schnierda: Kandidaten werden zum Beispiel oft mit dem Höhlendilemma konfrontiert: Sie sollen sich vorstellen, mit einer Gruppe in einer Höhle eingeschlossen zu sein. Es dringt Wasser ein, der Pegel steigt und steigt. Die Rettungsmannschaft kann jedoch nur eine einzige Person retten. Die Aufgabe lautet dann: Überzeugen Sie alle anderen davon, dass sie die wichtigste Person der Gruppe sind, die unbedingt gerettet werden muss.

sueddeutsche.de: Wer die größte Klappe und die lauteste Stimme hat, gewinnt?

Viel heiße Luft

Schnierda: So ungefähr. Diejenigen, die andere in Grund und Boden reden, werden eingestellt.

sueddeutsche.de: Haben Sie noch andere Beispiele für unsinnige, aber beliebte Aufgaben?

Schnierda: Jede Menge. Nicht besonders sinnvoll ist zum Beispiel auch die Ballonübung. Ein Heißluftballon droht abzustürzen. Einer aus der Gruppe muss springen, um die Last zu verringern und so die anderen zu retten. Wen soll es treffen? Dabei zeigen Kandidaten mit dem Finger aufeinander und machen sich gegenseitig schlecht - das ist auch nicht gerade sinnvoll. Oder die Astronautenübung: Die Gruppe landet auf dem Mond und muss dort zu Fuß eine 50 Kilometer entfernte Raumstation erreichen. Die Kandidaten sollen ausdiskutieren, was sie mitnehmen und was sie zurücklassen wollen. Solche Aufgaben sind völlig berufsfern und zeigen Personalverantwortlichen absolut nichts über die Eignung eines Bewerbers.

sueddeutsche.de: Warum lassen Unternehmen solche Übungen überhaupt abhalten?

Schnierda: Erstens aus Unwissen, zweitens, weil die Aufgaben oft teuer von Unternehmensberatungen oder Psychologen eingekauft wurden. Bevor Firmen also Geld investieren, um neue Tests zu kaufen oder selbst zu entwickeln, benutzen sie lieber die alten immer und immer wieder.

sueddeutsche.de: Was raten Sie Bewerbern, die solche Aufgaben über sich ergehen lassen müssen?

Schnierda: Wenn es ganz schrecklich wird, sollten sie die Übung abbrechen. Vorstellungsgespräche und Assessment Center sind nicht nur Möglichkeiten für das Unternehmen, die Kandidaten kennen zu lernen. Das gilt auch umgekehrt: Ein Bewerber kann sich bei solchen Gelegenheiten auch ein gutes Bild vom Unternehmen machen. Die entscheidende Frage lautet doch: Will man bei einer Firma arbeiten, die auf Aggressivität setzt und Tests von vorgestern durchführt? Oder möchte man lieber zu einem Unternehmen, in dem der zukünftige Chef Bewerber durch die Abteilung führt, sich dabei freundlich mit ihnen unterhält und sich so ein Bild von ihnen macht?

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