Kriterien bei der Bewerbung:Benehmen ist wichtiger als Mathe

  • Einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin zufolge haben Bewerber gute Chancen auf eine Anstellung, wenn ihnen im Schulzeugnis ein gutes Arbeits- und Sozialverhalten bescheinigt wird.
  • Die Studie zeigt jedoch auch: Schlechte Noten lassen sich nicht einfach durch gute Manieren ausgleichen.

Von Roland Preuß

Manchmal muss man ganz von vorne anfangen. "Kannst Du dir vorstellen, warum sich Leute die Hand geben?", heißt es im "Knigge heute", einem Büchlein für baden-württembergische Schüler. Ursprünglich habe man so zeigen wollen, dass man ohne Waffe in der Hand unterwegs sei, lernen die Jugendlichen, heute grüße man "immer, wenn man jemanden trifft, den man kennt", und nehme in geschlossenen Räumen sogar die Baseballkappe ab. Und: "Vorgesetzte, Lehrer oder ältere Menschen hören gerne ,guten Tag' oder ,auf Wiedersehen'." Grundlagenarbeit, würden Pädagogen sagen.

Der Gebrauch der Knigge-Tugenden ist bei vielen Schülern noch ausbaufähig, wie Lehrer bestätigen können. Nun bekommen sie neue Argumente an die Hand, um Flegeln und Faulenzern ins Gewissen zu reden: Betriebe achten bei der Auswahl ihrer Bewerber besonders auf Aussagen und Noten zum Arbeits- und Sozialverhalten im Zeugnis. Die sogenannten Kopfnoten sind ihnen sogar wichtiger als gute Zensuren in den Fächern. Dies ist das Ergebnis einer Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB), die soeben in der Zeitschrift European Sociological Review erschienen ist.

Die Forscherinnen Paula Protsch und Heike Solga haben gut 320 fiktive Bewerbungen von Absolventen mit mittlerem Schulabschluss an Betriebe verschickt. Einmal hatten die Kandidaten durchgehend gute Bewertungen für ihr Verhalten, aber unterschiedliche Notenschnitte zu bieten. In einer zweiten Gruppe hatten alle den Notenschnitt 3,0, aber unterschiedliche Urteile zum Verhalten. Wer würde eher zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen? Die Antwort war eindeutig: Den Chefs waren Sekundärtugenden wichtiger als gute Kenntnisse in Deutsch oder Mathematik. Die Bewerber mit dem bescheidenen Schnitt von 3,4, aber guten Kopfnoten hatten eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, als diejenigen mit 3,0, aber mit Verhaltenszensuren, die einen neuen Grobian oder Bummelanten im Betrieb befürchten ließen.

In Mecklenburg-Vorpommern gibt es Noten für "Umgangsformen"

Fast alle Bundesländer dokumentieren das Verhalten der Schüler im Zeugnis. Manche wie Brandenburg vergeben Kopfnoten in sieben Kategorien, etwa für "Lern- und Leistungsbereitschaft" , Mecklenburg-Vorpommern bewertet die "Umgangsformen", andere wie Bayern und Nordrhein-Westfalen erlauben zumindest bis zu den mittleren Klassenstufen schriftliche Kommentare, die aber in Bayern laut Kultusministerium nicht offensichtlich negativ sein dürfen, um niemandem die Zukunft zu verbauen.

Heike Solga kann die Haltung der Betriebe zwar nachvollziehen. "Persönlichkeitsmerkmale zu verändern, ist schwieriger, als Wissenslücken in Deutsch oder Mathematik zu füllen", sagt die Soziologie-Professorin, "andererseits können die Betriebe gar nicht einschätzen, wie Kopfnoten zustande kommen."

Das klingt nach einer neuen Ausrede für Schüler, die lausige Noten heimbringen. Doch das gibt die Studie nicht wirklich her: Bewerber mit schlechten Kopfnoten hatten zwar schlechte Chancen, aber auch die mit einem Schnitt von 3,4 sortierten die Betriebe viel häufiger aus als die mit 3,0. Jedem fleißig die Hand zu geben, reicht dann doch nicht.

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