Fälschungssichere Zeugnisse:Code statt Kopie

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Junger Mitarbeiter gesucht, aber bitte mit reichlich Berufserfahrung: Manche Stellenausschreibung setzt sehr viel voraus. Mit gefälschten Zeugnissen zu tricksen, könnte durch neue Technik schwieriger werden. (Foto: imago)

Hat die Bewerberin die Uni wirklich mit 1,0 abgeschlossen? Und wer bestätigt die Echtheit des Arbeitszeugnisses, wenn es die Firma nicht mehr gibt? Chefs fällt es schwer, Betrüger zu erkennen. Die Blockchain-Technik könnte das ändern.

Von Larissa Holzki

Ein Zeugnis? Nichts leichter als das. Namen auf einer Webseite eintippen, Uni auswählen, Studiengang angeben. "Für unter 100 Dollar können Sie gefälschte Diplome einer Universität kaufen", sagt Fabian Schär von der Uni Basel. Es gibt Institute, die damit werben, dass sie seit fast 20 Jahren falsche Zeugnisse ausstellen.

Fast genauso einfach ist es, selbst ein eingescanntes Zeugnis zu manipulieren. Basiskenntnisse reichen aus, um aus einem digitalisierten Zeugnis aus der Abschlussnote 3,1 eine 1,3 zu basteln. Das wissen auch die Arbeitgeber. "In unserem Sekretariat erkundigen sich jeden Tag mehrere Anrufer, ob eine Person tatsächlich mit einer bestimmten Abschlussnote ein Studium an der Universität Basel abgeschlossen hat", sagt Schär - das sei inzwischen ein ungeheurer administrativer Aufwand.

Fabian Schär ist an der Schweizer Universität Professor für dezentrale Datenbanken und Finanztechnologie. Weshalb die Telefone im Sekretariat klingeln, interessiert ihn wegen seines Pilotprojektes. Zusammen mit einem Start-up speichert er die Kurszertifikate von Studenten in einer Blockchain. Die Idee: Jeder soll die Zeugnisse einer Echtheitsprüfung unterziehen können, ohne dass es dafür einen Mitarbeiter der Uni braucht.

Das Zeugnis überlebt, auch wenn die Uni stirbt

Mit der Blockchain-Technologie werden die Urkunden so verschlüsselt, dass sie nur mit dem Originaldokument oder einer Kopie dem Inhaber zuzuordnen sind. "Das kann man sich vorstellen wie einen digitalen Fingerabdruck, der in einer Datenbank hinterlegt ist", sagt Schär. "Wenn Sie bei einer Bewerbung ein PDF-Dokument mitschicken, kann der Empfänger den sogenannten Hashwert berechnen und überprüfen, ob dieser von der Uni in der Blockchain gespeichert wurde."

Selbst wenn es die Uni Basel irgendwann nicht mehr geben sollte, werden Absolventen und ihre Arbeitgeber mittels dieser Datenbank verifizieren können, ob ein Zeugnis echt ist. Denn eine Blockchain kann nicht geschlossen werden und ist unabhängig von denjenigen, die die Daten einstellen.

"Zum ersten Mal gibt es die Möglichkeit, als Gemeinschaft eine Datenbank zu führen, ohne dass man jemanden braucht, dem man vertrauen muss", sagt Veronika Kütt, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Frankfurt School of Finance and Management. Sie weist auf soziale Netzwerke hin, die Profile ihrer Nutzer löschen können, auf Banken, die Konten sperren können und auf die Bundesrepublik Deutschland, die Bürgern ihren Reisepass entziehen kann. Im Kern gehe es bei Blockchain um Souveränität und bei Zeugnissen auf einer Blockchain um die souveräne Identität.

Auch Veronika Kütt hat ein Projekt mit fälschungssicheren Zertifikaten geleitet - so ähnlich wie Fabian Schär mit der Blockchain-Technologie und doch ganz anders. Die Teilnehmer eines Kurses bekamen neben einem klassischen Zeugnis auch eine Art Datenschlüssel. Gibt man diesen in eine spezielle App ein, werden die Daten der Urkunde sichtbar: Name, Datum, Ort und Kursus. Auch bei diesem Modell gilt: Einmal eingestellte Daten können nicht verändert oder manipuliert werden.

In Zukunft, so stellt sich Veronika Kütt das vor, könnten Bewerber ihren potenziellen Arbeitgebern den Schlüssel zu ihrem Zeugniskonto geben. In dem wären dann nicht nur die Zertifikate der Frankfurt School, sondern auch Abi- und Arbeitszeugnisse, Sprachzertifikate oder Weiterbildungsbelege - ein Register wie ein beglaubigter Lebenslauf.

Wie viele Menschen tatsächlich Zeugnisse manipulieren, ist nicht bekannt. Doch einzelne Fälle zeigen, dass Hochstapler weit kommen können: So soll ein Forscher am Klinikum der Technischen Universität München seine Karriere auch durch die falsche Angabe eines Medizinstudiums und Facharzttitels vorangetrieben haben. Der Leiter der experimentellen Unfallchirurgie durfte deshalb auch bei Operationen assistieren und Studenten in klinischen Fächern prüfen.

Detektive überprüfen Bewerber

Kein Wunder also, dass Arbeitgeber Angst vor Betrügern haben. Bei Ärzten oder Piloten stehen Menschenleben auf dem Spiel, in anderen Branchen droht vom Handwerk bis zum Berater zumindest ein Imageschaden. Wirtschaftsdetektive bieten deshalb an, die Lebensläufe von Jobkandidaten zu überprüfen oder herauszufinden, ob verdächtig schwache Mitarbeiter wirklich so erfolgreiche Studenten waren, wie sie bei ihrer Einstellung vorgegeben haben.

Misstrauische Arbeitgeber melden sich auch bei Catharina Klumpp. In einigen anglo-amerikanischen Ländern sei es üblich, sich von externen Anbietern umfassende Profile der Einstellungskandidaten erstellen zu lassen, sagt die Arbeitsrechtlerin der Kanzlei Bird & Bird. "Firmen wollen von uns wissen, ob sie in Deutschland den Namen der Großmutter abfragen dürfen", sagt Klumpp. Und deshalb macht sie sich auch Sorgen, wenn sie an digitale Zeugniskonten denkt.

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Müssen Bewerber künftig ihren kompletten Lebenslauf offenlegen? Und wie soll das zusammenpassen mit Datenschutz und Speicherbegrenzung? Kommt der gläserne Bewerber? Den Unternehmen, sagt Catharina Klumpp, wäre das am liebsten. Veronika Kütt von der Frankfurt School glaubt, Bewerber könnten auch künftig entscheiden, welche Daten sie wem zur Verfügung stellen - solange diese zutreffend sind. Aber Klumpp, die die andere Seite kennt, hat Zweifel. Wer etwa Noten nicht freigeben oder Lücken im Lebenslauf offenlassen würde, könne sich mehr denn je verdächtig machen.

Was ist mit dem Datenschutz?

Arbeitgeber in Deutschland dürfen ihren Bewerbern nur Fragen stellen, die für den Job relevant sind. Fragen zur Qualifikation sind also erlaubt, Fragen zur Großmutter nicht. Solange die Fragen zulässig sind, dürfen die Bewerber nicht lügen. Aber es gibt eine große Grauzone: Sich selbst gut darzustellen, ist nämlich erlaubt. "Es kann das Interesse eines Arbeitnehmers sein, Dinge auszusortieren und andere hervorzuheben", sagt Catharina Klumpp. Ein weniger gutes Zeugnis wird weggelassen, ein bestimmtes Projekt betont, das gut zum neuen Job passt. "Der Reiz der Technologie liegt darin, einen möglichst lückenlosen Lebenslauf zu bekommen", sagt die Juristin.

So weit sind die Blockchain-Lösungen noch lange nicht. Auch wenn Fabian Schär immer mehr Anfragen von Arbeitgebern und anderen Universitäten bekommt, die ihre Zeugnisse ebenfalls verschlüsseln wollen und sich an dem Projekt beteiligen. In Basel wurden bisher erst für drei Kurse Blockchain-Zertifikate ausgestellt. Und die Frankfurt School hat für die diesjährigen Absolventen ihres Blockchain-Kurses keine verschlüsselten Zeugnisse ausgegeben. Über die digitalen Fingerabdrücke wird nämlich viel gestritten.

Laut Veronika Kütt und Fabian Schär lassen sich wegen der Verschlüsselung ohne Originaldiplome oder Datenschlüssel keine Rückschlüsse auf die Inhaber der Urkunden ziehen. "Kritiker sind der Meinung, dass die sogenannten Hashwerte dem Datenschutz unterliegen", sagt Veronika Kütt. Sollten Juristen sich dieser Ansicht anschließen, hätten die Unis hochsensible Daten auf eine öffentliche Plattform geladen.

© SZ vom 28.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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