Süddeutsche Zeitung

Bewerbung:Verschleppte Entscheidungen

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Manchmal dauert der Bewerbungsprozess genauso lange wie die Probezeit: Kandidaten werden immer aufs Neue zu Gesprächen und Tests gebeten - die längst nicht immer sinnvoll sind.

T. Krieger

Eigentlich war es ein toller Job in der Personalentwicklung, für den Lisa Schleier sich bei einem Termin in England vorstellen sollte. Trotzdem hatte die Münchnerin, als sie eingeflogen wurde, gar keine Lust mehr auf das Bewerbungsgespräch. Es war schon das siebte bei diesem Computerhersteller.

In den vier Monaten zuvor hatte sie mit der firmeneigenen Recruiterin, einem Bereichsleiter in Irland und dem Fachvorgesetzten in den USA Telefoninterviews geführt. Sie war schon in London gewesen, um dort verschiedene Manager und Vorgesetzte in Einzelterminen zu treffen.

Mindestens drei Runden

Nun also wieder London. Der Personalchef EMEA (Europe Middle East Africa) wollte sie auch noch kennenlernen, bevor es zu einer Entscheidung kommen sollte. Jeder Bewerber wäre in einer solchen Situation genervt. Weil Schleier selbst in einer Personalabteilung arbeitete, fragte sie sich umso mehr: "Warum machen die das so? Warum organisieren sie nicht einfach ein Assessment-Center, bei dem alle anwesend sind, die die Entscheidung treffen?"

Bewerbungsprozesse können sich in die Länge ziehen. Selbst der Idealfall sieht meist drei Gesprächsrunden vor: eine mit der Personalabteilung, eine mit dem Fachvorgesetzten und eine letzte wieder mit der Personalabteilung, um die Vertragsdetails auszuhandeln. "Der Grund, warum es oft mehr werden, liegt in der Matrix-Organisation großer Unternehmen", sagt Andreas Blank, Diplom-Psychologe und Leiter Personalentwicklung der Bayerischen Landesbank.

Kurzfristig angesetzte Termine

In einer Matrix-Organisation hat ein Angestellter häufig zwei oder mehr Chefs, an die er im Arbeitsalltag berichten muss. Und alle wollen bei einer Personalentscheidung mitreden. "Ein Mensch muss heute mit mehreren anderen zusammenarbeiten können", sagt Blank. "Intelligent wäre es deshalb, viele Partner zu einem Termin an einen Tisch zu bringen." Denn viele Einzeltermine zu vereinbaren, kostet nicht nur Geld, sondern setzt auch den Bewerber gehörig unter Druck.

Für Lisa Schleier jedenfalls war es nicht leicht, sich zu den geforderten Terminen diskret Zeit freizuhalten. "Teilweise wurden die Termine sehr kurzfristig angesetzt. Dann hörte ich wieder lange nichts von der Recruiterin", erzählt sie. "Und ich sitze nicht alleine im Büro. Es fällt einfach auf, wenn man alleine, aber mit Handy und Block, im Konferenzraum verschwindet."

Auf der nächsten Seite: Was Bewerber gegen lange Wartezeiten tun können.

Die Chemie muss stimmen

Zeitweise hatte sie schon den Verdacht, die Vorgehensweise sei Absicht. Man wolle vielleicht prüfen, wie sie unter Druck, unter Stress reagiere. Ein solches Vorgehen kann sich Psychologe Blank nicht vorstellen. "Das wäre auch nicht akzeptabel und legitim."

Es gibt gute Gründe dafür, dass sich Personalentscheidungen manchmal hinziehen. Wenn sich etwa die Geschäftsstrategie ändert, eine Umstrukturierung ein neues Stellenprofil erfordert oder ein neuer Vorgesetzter da ist. "Das muss man dem Bewerber dann offen sagen", so Blank. Ohnehin sei es anstrengender geworden, sich zu bewerben. "Die soziale Kompetenz ist viel stärker gefordert." Die Chemie muss stimmen, ganz gleich, ob man einer kommunikativen oder analytischen Persönlichkeit - oder beiden - im Vorstellungsgespräch gegenübersitzt.

Assessment-Center, Fallstudie, Motivationstest

Hinzu kommt, dass Neueinstellungen heute in der Regel vertraglich auf sechs Monate bis zwei Jahre befristet werden. Wer einen Ein-Jahres-Vertrag hat, ist gerade einmal ordentlich eingearbeitet, wenn er schon wieder in den nächsten langwierigen Bewerbungsprozess einsteigen muss. Besonders davon betroffen: die Nachwuchskräfte. Sie sind diejenigen, die am häufigsten Zeitverträge unterschreiben, und diejenigen, die in Bewerbungsverfahren am strengsten und längsten geprüft werden. Personaler haben hier eine breite Palette an Auswahlmethoden zu bieten - Assessment-Center, Fallstudie oder Motivationstest -, die immer wieder die Anwesenheit des Bewerbers erfordert.

Aber es geht auch anders: Je höher einer die Karriereleiter klettert, desto zügiger darf er eine Entscheidung über die eigene Personalie erwarten. "Es ist eine Frage der sozialen Akzeptanz und Zumutbarkeit", erklärt Blank. "Bestimmte Dinge lässt ein erfahrener Manager nicht mehr mit sich machen."

Das bestätigt auch Ulrich Thess von der Personalberatung Civitas in München. Bei seinen Kunden, für die er Führungskräfte sucht, stellt er keine Verschleppung von Entscheidungen fest. "Bewerbungsverfahren sind internationaler und damit komplexer geworden, dauern aber nicht länger. Wenn der Kandidat die Zentrale in den USA besuchen soll, kommt höchstens eine Auswahlrunde hinzu." Schließlich geht es bei wichtigen Funktionen um viel Geld: "Wenn etwa ein kaufmännischer Leiter fehlt, kostet das die Firma Woche für Woche viel mehr als jede Personalberatung", sagt Thess.

Traumjob in der Schwebe

Für alle anderen, die nicht so begehrt sind auf dem Arbeitsmarkt, heißt es: abwarten und Nerven bewahren - sofern man es sich leisten kann. "Gerade Alleinerziehende, Ernährer von Familien oder Ältere brauchen schnelle Entschlüsse", sagt Bewerbungstrainerin Sabine Kanzler-Magrit. Läuft ein Vertrag demnächst aus oder hat man gerade keine Arbeit, so wird man der ersten verbindlichen Zusage zustimmen.

Selbst wenn die Entscheidung über den Traumjob noch in der Schwebe ist. "Wer cool genug ist, darf auch pokern und Fristen setzen", sagt Kanzler. "Das Ergebnis wird dann aber alles oder nichts sein. Vielleicht ist man dann aus dem Prozess endgültig raus."

Lisa Schleier war nach sieben Gesprächsterminen froh, als die Absage kam. Die Frage "Willst du so arbeiten wie die?" hatte sie zuvor schon mit "Nein" beantwortet.

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Quelle:
SZ vom 17.1.2009
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