Wer sich künftig bei der Deutschen Bahn um einen Ausbildungsplatz bewerben möchte, wird folgenden Absatz nicht mehr aus den Weiten des Internets ins persönliche Anschreiben kopieren müssen:
"Jederzeit erledige ich meine Aufgaben sehr zuverlässig und verantwortungsbewusst. Mit mir gewinnt Ihr Unternehmen einen Mitarbeiter, der flexibel, motiviert und teamorientiert ist. Außerdem habe ich in mehreren Praktika ausgeprägte Kommunikationsstärke, hohe Lernbereitschaft und viel Kreativität unter Beweis stellen können."
Das liegt aber wohl nur zum Teil daran, dass die Personaler der Deutschen Bahn den Wust aus Adjektiven und sperrigen Substantiven nicht mehr ertragen können. "Wir wollen es den Bewerbern so einfach wie möglich machen", sagt Carola Hennemann, die für die Bahn in Baden-Württemberg Personal akquiriert und bundesweit für die Einstellung von Ingenieuren zuständig ist. Darum verzichtet das Unternehmen für die Azubigeneration von 2019 an auf das Anschreiben bei der Bewerbung.
Arbeitsmarkt:Bahn will von Azubis keine Bewerbungsschreiben mehr verlangen
"Für Schüler ist so ein Motivationsschreiben schon schwierig", heißt es beim Konzern. Um den hohen Bedarf an neuen Mitarbeitern zu decken, sollen Bewerbungen nun leichter werden.
Im Falle des Staatskonzerns liegt der Schritt hauptsächlich im absehbaren Personalmangel begründet. Allein in den kommenden zehn Jahren werde etwa die Hälfte der Belegschaft aus Altersgründen das Unternehmen verlassen, teilt die Bahn mit. Die kann auch ohne Anschreiben durch gute Lehrlinge ersetzt werden, glaubt Personalerin Hennemann. Man prüfe die Motivation der Bewerber sowieso nochmal im persönlichen Gespräch.
Mit der gewünschten Verschlankung der Bewerbungsunterlagen steht die Bahn nicht allein. Auf das "Hiermit bewerbe ich mich um ..." verzichtet auch DAX-Konzern Henkel. Dessen Personalerin Katrin Kieven kontrolliert bei jeder Bewerbung erst einmal den Lebenslauf. "Wenn der interessant ist, greifen wir zum Telefon." Durch diesen Kontakt erhalte man ohnehin mehr Informationen über den Kandiaten, als ein Anschreiben liefern könne.
Auch Bewerbungscoach Bernd Slaghuis erkennt seit einigen Jahren bei großen Unternehmen den Trend, auf das Anschreiben zu verzichten. In Zeiten der One-Click-Bewerbung, die in verschiedenen Karrierenetzwerken mittlerweile möglich ist, scheint der Schritt auch logisch. Für Kandidaten wird eine Hürde abgebaut, das Unternehmen kann mit mehr Bewerbungen rechnen. Slaghuis sagt dennoch: "Arbeitgeber tun sich keinen Gefallen damit, wenn sie grundsätzlich auf das Anschreiben in der Bewerbung verzichten."
Azubis brauchen kein Anschreiben, findet der Experte
Seiner Meinung nach ist das Anschreiben die Chance für den Arbeitgeber, mehr über Kandidaten zu erfahren als die reinen Fakten des Lebenslaufs. Die Kombination aus beiden Teilen der Bewerbung "macht einen Bewerber erst richtig greifbar". Insbesondere für Branchenwechsler oder Quereinsteiger, auch zum Beispiel aber für Führungskräfte, die im Job kürzer treten wollen - Stichwort: downshifting -, sei das Anschreiben essenziell. "Nur mit über den Lebenslauf hinausgehenden Erklärungen zu Motivation und Qualifikation des Bewerbers können Unternehmen solche im ersten Moment vielleicht nicht perfekt zur ausgeschriebenen Stelle passenden Kandidaten entdecken", sagt Coach Slaghuis.
Den Schritt der Deutschen Bahn kann er dennoch nachvollziehen. Angehende Azubis hätten ohnehin nicht viel zu sagen, was über die bekannten Floskeln hinausginge. Heißt: Je höher die Position und je größer die Berufserfahrung, desto wichtiger ist das Anschreiben in der Bewerbung - und zwar für Kandidaten wie für Unternehmen. Sollten sich also noch mehr Ausbilder ein Beispiel an der Deutschen Bahn nehmen und auf das Anschreiben verzichten?
Wer sich bei kleineren Ausbildungsbetrieben umhört, findet kaum Freunde der Idee. Markus Widholzer ist zuständig für die Auswahl der Lehrlinge bei Reifen Widholzer im Münchner Osten. Sechs Azubis werden dort jährlich eingestellt, von der Buchhaltung bis zum Kfz-Bereich. Für den ersten Eindruck würde Widholzer keinesfalls auf das Anschreiben verzichten wollen: "Da erkennt man gleich, wie die jungen Leute ticken. Ob sie ordentlich arbeiten und zum Unternehmen passen könnten." Ein Anschreiben voller Rechtschreibfehler oder mit der falschen Anrede sei für ihn ein Ausschlusskriterium. Und das, sagt Widholzer, passiert überraschend häufig, da viele Jugendliche dasselbe Anschreiben an mehrere potenzielle Ausbilder schicken und vergessen, den Namen anzupassen.