Bewerbungsgespräch:Warum die Zweitbesten die bessere Wahl sind

Bewerbungsgespräch: Chengwei Liu: "Außergewöhnliche Erfolge ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich, doch das sollten sie nicht."

Chengwei Liu: "Außergewöhnliche Erfolge ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich, doch das sollten sie nicht."

(Foto: Christin Klose/dpa)

Firmen wollen nur die Besten einstellen. Der Strategieprofessor Chengwei Liu rät davon ab. Er erklärt, warum man von Menschen mit tadelloser Vita wenig lernen kann - und welchen entscheidenen Nachteil sie meist gegenüber den Mitbewerbern haben.

Interview von Lara Voelter

Bei einem Bewerbungsverfahren ist es nicht unbedingt besser, immer nur auf die besten Kandidaten zu setzen. Unter bestimmten Umständen sollten Unternehmen ihre Mitarbeiter nach dem Zufallsprinzip auswählen. Davon ist jedenfalls Chengwei Liu überzeugt. Er ist außerordentlicher Professor für Strategie und Verhaltenswissenschaft an der privaten Hochschule ESMT Berlin und forscht zum Thema Glück in Wirtschaft und Gesellschaft.

SZ: In vielen Unternehmen zählt vor allem Leistung: Nur die Besten werden eingestellt. Sie raten davon ab. Warum?

Chengwei Liu: Sich hauptsächlich auf tadellose Lebensläufe zu fokussieren, halte ich für gefährlich. Denn häufig gehören sie zu Menschen, die dazu neigen, in ihrer Komfortzone zu bleiben. Jemand mit keiner ganz so brillanten Vita hat womöglich aus vergeblichen Versuchen oder Fehlern gelernt, hat andere Sichtweisen entwickelt. Oft sind das Menschen, die Dinge wagen, die Verschiedenes ausprobieren und meist auch anders denken als die Mehrheit. Und das ist für die Diversität in einem Unternehmen essenziell. Meist sind sich die Besten ziemlich ähnlich und denken ganz ähnlich. In der Regel waren bei ihnen auch viel Zufall und Glück mit im Spiel.

Können Sie das genauer erklären?

Zwar ist beruflicher Erfolg meist auf eine Mischung aus Fähigkeiten, Talenten, Fleiß, familiärem Hintergrund und Beziehungen zurückzuführen, aber trotzdem gibt es da eine Heuristik: Je erfolgreicher ein Unternehmen oder eine Person ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Glück und Zufall eine große Rolle gespielt haben - und desto weniger lernen wir von diesem Unternehmen oder Menschen. Das ist völlig konträr zu unserer Intuition: Außergewöhnliche Erfolge ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich, doch das sollten sie nicht. Ich benutze verschiedene Ansätze wie etwa mathematische Modelle oder empirische Studien, um dies zu zeigen. Man sollte die Strategien der extrem Erfolgreichen auch nicht nachmachen. Glück lässt sich nicht imitieren, von Glück kann man nichts lernen.

MIKA-fotografie | Berlin

Chengwei Liu ist außerordentlicher Professor für Strategie und Verhaltenswissenschaft an der ESMT Berlin.

(Foto: Maik Schulze / ESMT)

Ist es also sinnvoll, bei Auswahlprozessen den Zufall entscheiden zu lassen?

Natürlich wäre es dumm, immer nach dem Zufallsprinzip auszuwählen. Wenn es aber um Positionen geht, in denen sehr komplexe Aufgaben und Probleme gelöst werden müssen, macht es Sinn. Dann ist es wichtig, dass verschiedene Kenntnisse, Einschätzungen und Perspektiven mit einfließen, die ein Experte allein nie haben kann. Meistens haben Unternehmen verlässliche Auswahlprozesse, in denen diejenigen herausgefiltert werden, die auf dem Papier "gut genug" sind. Jetzt kommt der schwierige Part: Wer von diesen Kandidaten ist am geeignetsten? An dieser Stelle hilft die Zufallsauswahl.

Was spricht dafür, hierbei auf den Zufall zu vertrauen?

Dass dadurch viele Vorurteile überwunden werden können. Immer wieder entscheidet man sich für Menschen, die einem ähneln. Häufig kommen auch Vorurteile gegenüber dem Geschlecht, Aussehen oder der Herkunft eines Menschen zum Tragen. Oder Bewerber erhalten ihren Job über Beziehungen. All dies kann zu schlechten Entscheidungen führen. Deshalb wäre die Zufallsauswahl oft besser.

Befürchten Arbeitgeber vielleicht, dass dadurch die Motivation ihrer Angestellten schwinden könnte?

Ja, vor allem dann, wenn sie denken, Menschen würden hauptsächlich von äußeren Faktoren wie etwa einem höheren Gehalt geleitet. Wenn dann die Bezahlung unverhältnismäßig zur Leistung eines Mitarbeiters ausfällt und vor allem dem Zufall zugeschrieben werden kann, strengt man sich natürlich auch weniger an. Das ist definitiv ein ernstes Problem. Aber ich denke, dass es immer mehr Unternehmen gibt, in denen viele Menschen von Eigenmotivation geleitet werden, beispielsweise in der Kreativbranche. Wichtig ist aber, dass Unternehmen zunächst verstehen, warum zu viel Rationalität bei der Bewerberauswahl schädlich sein kann. Andernfalls wird es schwer, die Zufallsauswahl umzusetzen.

Sie haben viele Preise gewonnen, wurden zu einem der 50 einflussreichsten Vordenker im Management gewählt und gehörten zu den "Top 40 under 40"-MBA-Professoren. Wann hat Ihnen der Zufall geholfen?

Wann er mir am meisten in die Hände gespielt hat, war auf einer Konferenz, als ich einen Professor kennenlernte, der seit Jahren zum Thema Glück forschte. Wir blieben in Kontakt, und als ich als Postdoc arbeitete, war er dann auch mein Mentor. Das half mir sehr, denn mit meinem seltenen Forschungsthema Glück war ich sehr auf mich alleingestellt. Nur forschte er in den USA, und ich war in Cambridge. Schließlich zog er nach Oxford, was unsere Zusammenarbeit enorm vereinfachte. Ohne ihn hätte ich keine so großen Fortschritte machen können. Sonst wäre ich wohl deutlich länger im Dunkeln getappt, um herauszufinden, welcher Ansatz sinnvoll ist. Glück gehabt.

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