Bewerbermangel in Ostdeutschland:Überall freie Stellen

Jahrelang wanderten ostdeutsche Jugendliche auf der Suche nach Arbeit ab - jetzt sucht die Wirtschaft verzweifelt nach Nachwuchs. Den findet sie oft nur noch im Ausland.

Jens Schneider

Der volle Waschkorb stand vor dem Büro von Thilo Naumann. Jeden Tag kamen neue Umschläge mit Bewerbungen für Lehrstellen im Promenadenhotel Admiral in Bansin auf Usedom. Gut 250 waren es damals, vor acht Jahren, und als Naumann dreißig von ihnen in das traditionsreiche Vier-Sterne-Hotel zum Bewerbungsgespräch einlud, da kamen fast alle.

Zwölf Stellen, sechs Bewerber

In diesem Jahr sucht der Hotelier wieder Nachwuchs für seine Häuser, zwölf Stellen hätte er zu besetzen. Es geht um die Ausbildung zum Koch, zum Hotelfachmann, zum Gehilfen im Gastgewerbe. Auf zwölf Stellen haben sich aber nur sechs junge Leute beworben. "Wir haben sie eingeladen", erzählt er. "Gekommen sind zwei. Keiner der anderen hat abgesagt."

Naumanns Haus ist eine attraktive Adresse. Er erzählt voller Leidenschaft vom Nachwuchs, der bei ihm gelernt hat und den er jetzt in großen Hotels in Berlin und anderswo weiß. "Das ist ein Job mit lebenslanger Beschäftigungsgarantie, du kannst mit dreißig Hoteldirektor werden." Er hat viel versucht, sogar die Lehrlingsgehälter erhöht. Aber das änderte nichts. Sein Problem ist von sehr grundsätzlicher Natur, weshalb er es mit vielen, zum Teil verzweifelten Kollegen in Ostdeutschland teilt.

Nicht genug Nachwuchs

Nicht nur für Hotels, sondern in fast allen Branchen gibt es einfach nicht genug Nachwuchs. In diesem Jahr fehlen allein in Mecklenburg-Vorpommern 2400 Lehrlinge. "Der Nachwuchsmangel", sorgt sich Wirtschaftsminister Jürgen Seidel, "ist eine Gefahr für unsere Wirtschaftskraft."

Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer wird die Wirtschaft im Osten von einem Mangel bedroht, vor dem Demoskopen und hellsichtige Politiker schon vor Jahren gewarnt haben, ohne immer richtig ernst genommen zu werden. Denn lange galt der Osten als trostlose Heimat der Arbeits- und Perspektivlosen. Noch vor wenigen Jahren mussten fast ganze Generationen ihre Heimat verlassen, um in München oder Hamburg oder Düsseldorf zu lernen. Da erschienen warnende Prognosen des Arbeitsmarkts wie eine Science-Fiction, obwohl sie auf einer verlässlichen Grundlage basierten: Mit dem Zusammenbruch der DDR brach die Geburtenrate drastisch ein und erreichte nie wieder das alte Niveau.

Wie Science Fiction

Niemand kann also überrascht sein. Wie unter einem Brennglas zeigen sich die Probleme in Mecklenburg-Vorpommern: Dort war vor der Wende die Bevölkerung besonders jung, jetzt schlagen sich Geburtenknick und die massive Abwanderung der letzten Jahre deutlich nieder. Gerade die aufstrebenden Wirtschaftszweige spüren, dass die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter eindrucksvoll sinkt. "Wahrgenommen hat man die Prognosen auch früher schon", sagt der Wirtschaftsminister. "Aber es ist doch so: Erst wenn ein Problem wirklich drückt und wehtut, wird auch reagiert. Und das passiert jetzt, wo es so weit ist."

Letzter Ausweg Südschweden

Für manche Firmen führt der Mangel in die direkte Not. Im Jahr 2000 gab es noch 30.000 Schulabgänger. In diesem Jahr werden 11.600 junge Männer und Frauen die Schulen verlassen, im nächsten Jahr werde es nur noch 10.700 sein. Danach wird die Zahl jährlich bei 12.000 liegen - deutlich unter dem Bedarf. Das heißt: Die Firmen stecken in der Falle. Denn gleichzeitig setzt am oberen Ende der Alterspyramide der große Abschied ein. Die Generation, die nach der Wende im Job blieb und die Wirtschaft trug, wird in Rente gehen. Jeden Monat werden 1200 Alte ausscheiden.

Schon im letzten Jahr stießen viele Betriebe auf Probleme, jetzt wird es richtig eng. Am härtesten trifft es die Boom-Branche, von der das Land lebt: den Tourismus. Das Dilemma plagt auch Häuser von Rang. In Gamehl bei Wismar hat die Familie von Stralendorff ihren alten Familiensitz zu einem anspruchsvollen Hotel und Restaurant liebevoll umgebaut. Das Schloss genießt einen hervorragenden Ruf.

"Wir suchen und suchen und suchen", klagt Katharina von Stralendorff jedoch über Personalnot. Sie findet einfach keinen Koch. Sie hat begonnen, Bewerber umzulernen, die nicht aus der Branche kamen, "zum Beispiel aus der Molkerei".

Unschließbare Lücke

Und ja: Ihr geht das Herz auf, wenn sie sieht, wie Menschen, die sich aufgegeben hatten, in der Aufgabe aufblühen. Dennoch, allein damit kann sie die Lücke nicht schließen.

In der Branche gibt es manche, die tatenlos die Not beklagen. "Ich würde nicht wagen zu sagen, dass die Wirtschaft es durchgehend begriffen hat", sagt Minister Seidel. Viele andere haben Programme gestartet, um Jugendliche an sich zu binden, mit engem Kontakt zu den Eltern und persönlicher Betreuung.

Zuwendung für die Älteren

Man werde sich auch Älteren zuwenden müssen, sagt Seidel. Die Betriebe müssten sich um jene kümmern, die vor Jahren oft links liegen gelassen wurden. "Wir müssen die formen, die da sind", sagt Roland Fischer vom Romantik-Hotel Ahrenshoop. Er investiere eben ein bisschen mehr Zeit, um das Beste rauszukitzeln. Wenn aber nicht genug Junge da sind, stößt auch der Ansatz an seine Grenzen - und es werden ganz neue Wege entdeckt.

Thilo Naumann, der Hotelier, hat sich von Usedom aus gen Norden orientiert. Gerade waren Schüler eines Ortes aus Südschweden bei ihm. Einige wollten sofort anfangen. Er erwägt, an der Schule einen Deutschkurs zu finanzieren. "Dort", sagt er, "sind Lehrstellen eine Mangelware."

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