Süddeutsche Zeitung

Bewerber:Die Qual der Auswahl

Bei der Entscheidung für neue Mitarbeiter läuft vieles falsch: Das Bauchgefühl trügt, Verfahren sind zu kompliziert.

Chris Löwer

Die Sache ist ernst. Mit grimmiger Miene fragt der Personalchef: "Was soll später einmal auf Ihrem Grabstein stehen?" Der Bewerber ist fassungslos. Was soll er jetzt bloß antworten? Muss er geheimste Fantasien offenbaren, oder geht es nur darum, eine Antwort zu finden, die möglichst ehrgeizig wirkt?

Ganz gleich, was der Kandidat antwortet: Küchenpsychologie im Vorstellungsgespräch verschreckt nicht nur jeden Bewerber, sie nützt auch dem Unternehmen nichts. Trotzdem stößt der Münchner Arbeits- und Organisationspsychologe Claas Triebel immer wieder auf abstruse Methoden der Personalauswahl.

Den meisten Firmen sei zwar klar, dass eine misslungene Stellenbesetzung weitreichende Folgen habe und sehr kostspielig werden könne, meint Triebel, dennoch gingen sie oft stümperhaft vor.

Wie zum Beispiel der Chef eines mittelständischen Unternehmens, der, ganz Patriarch, einen Nachfolger suchte und eine Stelle für "Marketingassistenz" ausschrieb. "Es trudelten 200 Bewerbungsmappen von meist 20-jährigen Frauen mit einer abgeschlossenen Lehre als Bürokauffrau ein, die etwas mit Marketing machen wollten", erzählt Triebel.

Handschriftenanalysen und Assessment Center

Der ergraute Firmenlenker entschied sich zwar für eine Kandidatin - doch nur, weil er die misslungene Suche irgendwie zu Ende bringen wollte. Die Nachfolgefrage blieb allerdings ungelöst.

Manche Personalverantwortliche setzen frohgemut auf Handschriftenanalysen, andere kaufen sich teure Tests und veranstalten aufwendige Assessment Center. Nur leider ist allen Varianten gemein, dass sie oft nicht fruchten.

"Selbst wissenschaftlich abgesicherte Verfahren schlagen fehl, wenn sie falsch angewendet werden oder schlicht nicht zum Unternehmen passen. Denn auch gute Methoden dürfen nicht kritiklos übernommen werden, sonst besteht die Gefahr, dass sie an der Praxis vorbeigehen", sagt Arbeitspsychologe Triebel. Im Zweifel entscheide dann der Bauch.

Neunzig Prozent der Auswahlverfahren sind nutzlos, sagen Kritiker der gängigen Praxis. Etwa ein Drittel aller Stellen würde fehlbesetzt. Triebel möchte so weit nicht gehen, da entsprechende Erhebungen fehlten. Denn wer will beurteilen, ab wann eine Position falsch besetzt worden ist? Und welcher Personaler gibt schon zu, versagt zu haben? Über eine Zahl jedoch besteht Einigkeit: "Eine Fehlbesetzung kostet ein Unternehmen im Schnitt zwei Jahresgehälter", sagt er.

Nicht die Besten, sondern die Geeignetsten

Noch bevor überhaupt die Stellenanzeige geschaltet ist, werden die Weichen falsch gestellt. "Es wird ein Katalog von tollen Eigenschaften zusammengestellt, die der Bewerber mitbringen muss", sagt Triebel. "Das ist oft unrealistisch und völlig abstrakt - und hat vor allem nichts mit den tatsächlichen Anforderungen zu tun." Jeder kennt die allseits geforderten teamfähigen, kreativen, kontaktfreudigen, belastbaren und sowieso unternehmerisch denkenden Arbeitstiere. Und den vollmundigen Personalchef-Spruch: "Wir wollen die Besten!"

Aus Sicht der Personaler scheint das zunächst einmal nachvollziehbar zu sein. "Doch es ist Quatsch" sagt Ralf-Michael Zapp, Personalberater aus Merzig. "Was benötigt wird, sind nicht die Besten, sondern die Geeignetsten."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie man herausfinden kann, ob ein Bewerber zum Anforderungsprofil passt.

Ein Grundproblem bestehe darin, dass Aspiranten eher durch die Personalerbrille und nicht durch die Unternehmerbrille beäugt würden. "Was nutzt es, wenn die Facharbeiterstelle mit einem potentiellen Abteilungsleiter besetzt wird?", fragt Zapp. Auch er fordert für den Anfang des Auswahlverfahrens eine nüchterne Anforderungsanalyse, die exakt wiedergibt, was für die Aufgabe vonnöten ist.

Um herauszufinden, ob der Bewerber zum Anforderungsprofil passt, schlägt Andreas Frintup, Chef des Stuttgarter Beratungsunternehmens S&F Personalpsychologie, einen Dreischritt für das Auswahlverfahren vor.

Erstens sollte der berufliche und private Lebenslauf abgeklopft werden. "Biografische Fragebögen sind ein seit langer Zeit bei der Auswahl von Außendienst- und Vertriebsmitarbeitern etabliertes Verfahren", sagt Frintup.

Spaß an Flohmärkten

Wobei man tunlichst nicht zu privat werden sollte. Moralisch inakzeptabel und ohne jeden Berufsbezug seien Aussagen wie "Meine Eltern waren nicht immer gerecht, wenn sie mich als Kind bestraft haben. Ja/Nein" oder "Eine bessere Beziehung hatte ich zu meiner Mutter/meinem Vater". Vertriebler könnten aber danach gefragt werden, ob sie schon im Kindesalter Spaß an Flohmärkten hatten. Bei privaten Fragen müsse der Bezug zum Beruf klar erkennbar sein.

Zweitens sollte das Verfahren konkrete berufliche Situationen simulieren, etwa durch das klassische Rollenspiel, bei dem beispielsweise störrische Kunden befriedet werden müssen. Und drittens sollten die Eigenschaften des Aspiranten ergründet werden. Spezielle psychologische Tests könnten gut bestimmen, ob jemand gewissenhaft oder schlampig, introvertiert oder extrovertiert, ehrlich oder unehrlich, schlau oder weniger schlau ist.

"Mit diesen drei Schritten und dem Mix aus psychologischen Tests, strukturierten Interviews und Rollenspielen lässt sich eine Prognose über den Berufserfolg stellen", sagt Frintup.

Psychologische Tests sind allerdings unter deutschen Personalern nicht besonders beliebt. Bei einem Vergleich von zwanzig führenden Industrieländern belegte Deutschland den vorletzten Platz. Das hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass Küchenpsychologen zuweilen Führungspositionen danach vergeben haben, ob der Bewerber lieber roten oder weißen Wein trinkt.

Gesprächsführung ist nicht jedermanns Sache

Kein gutes Haar lassen die Auswahlexperten am vermeintlichen Allheilmittel Assessment Center. "Die Methode leidet unter ihrer Popularität. Unternehmen gehen damit sehr leichtfertig um", sagt Frintup. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten ergeben, dass Arbeitsproben oder strukturierte Auswahlgespräche zu deutlich besseren Ergebnissen führten.

Doch Gesprächsführung ist nun mal nicht jedermanns Sache. "Der häufigste Fehler besteht darin, dass einfach drauflos geplaudert wird, wobei der Auswähler mehr als sein Gegenüber spricht, für das Unternehmen wirbt und am Ende keinen Eindruck von dem Kandidaten gewonnen hat", sagt Arbeitspsychologe Triebel.

Er plädiert für Nachhilfe im Personalbüro, damit künftig vakante Stellen passgenauer besetzt werden. "Am wichtigsten ist es, Personalverantwortliche so zu entwickeln, dass das Auswahlverfahren besser funktioniert."

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Quelle:
SZ vom 13.10.2007
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