Bewegung auf dem Arbeitsmarkt:Zeit, dass sich was dreht

Die Prognosen für den Arbeitsmarkt in Deutschland sind überschwänglich - aber stimmt das auch mit der Realität überein?

Christiane Langrock-Kögel

Cirquent wächst. Cirquent stellt ein. In München, am Firmensitz, sind 18 Stellen für Berufseinsteiger frei. Zudem sucht Cirquent 33 erfahrene Berater und 28 sogenannte Senior Professionals, Fachleute mit langjähriger Berufserfahrung. Auch am Cirquent-Standort Hamburg sind zahlreiche Stellen offen, ebenso in den Zweigstellen Ettlingen, Frankfurt und Köln. "Wenn alles nach Plan läuft", sagt Thomas Siegner, Kommunikations- und Marken-Chef des Münchner IT-Beratungsunternehmens, das insgesamt 1800 Beschäftigte zählt, "haben wir Ende 2010 hundert neue Mitarbeiter eingestellt".

Turbine Jobchance

Ein bisschen Bewegung gibt es - aber hat sich der Arbeitsmarkt in Deutschland wirklich schon erholt?

(Foto: Foto: ddp)

Lustige Gruppenaufgaben

Siegner kommt gerade von den Welcome Days, der zweitägigen Einführung für neue Cirquent-Mitarbeiter. Im firmeneigenen Akademie-Haus in Ettlingen begrüßt auch der Vorstand persönlich die neuen Kollegen. Sie lösten, wie Siegner erzählt, "lustige Gruppenaufgaben" und bekamen Tipps von einer Benimm-Trainerin. Abends gab es reichlich Essen, Getränke und Gespräche. Es waren die zweiten "Welcome Days" dieses Jahres. Beim ersten Mal hieß Cirquent 29 Frischangestellte willkommen, dieses Mal waren es 26.

Die Münchner Firma scheint ein exemplarisches Beispiel zu sein für die freundlichen Meldungen über den sich erholenden deutschen Arbeitsmarkt. Im April hat die Bundesagentur für Arbeit einen überraschend starken Rückgang der Arbeitslosenzahlen verkündet. Und daran sollte nicht nur das schöne Wetter schuld sein, sondern eine echte konjunkturelle Verbesserung. Es gibt Experten, die von einem beinahe sensationellen Aufschwung sprechen. Die Stimmung sei so gut wie seit zwei Jahren nicht mehr, ermittelte das Münchner Ifo-Institut in einer Befragung von 7000 Unternehmenschefs.

Gedämpfte Euphorie

Nur Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bemühte sich, die Euphorie ein wenig zu dämpfen. Ohne die Entlastung durch die Kurzarbeit stünde der Arbeitsmarkt lange nicht so gut da, warnte sie. Deren Förderung hat die Bundesregierung gerade bis zum März 2012 verlängert. "Über den Berg", so von der Leyens Schluss, sei man also "noch lange nicht".

Wie hoch der Gipfel ist und wie weit er bereits erklommen ist, kommt stark darauf an, welche Wirtschaftszweige man betrachtet. Die IT- und Elektro-Branche beispielsweise ist nach eigener Aussage relativ unbeeindruckt durch die Wirtschaftskrise gegangen. "Unsere Aussichten sind gut, aber sie waren auch nie richtig schlecht", sagt Michael Schanz, zuständig für die Ingenieursausbildung beim Branchenverband Elektro- und Informationstechnik (VDE). Vor einem halben Jahr, so Schanz, habe es wesentlich weniger offene Stellen gegeben. "Ein Aufschwung ist deutlich zu spüren. Wir suchen wie verrückt nach Elektroingenieuren."

Nicht genügend Personal

Auch der Direktor des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), Willi Fuchs, spricht von der "händeringenden Suche nach Ingenieuren, besonders im Bereich Maschinenbau und Automobilindustrie". Gerade mittelständische Unternehmen hätten Schwierigkeiten, genügend Personal zu rekrutieren. 34.000 Ingenieure fehlen nach Berechnungen des VDI. Die deutsche Sparte des Kernkraftwerk-Dienstleisters Westinghouse hat diese Woche im Mannheimer Morgen inseriert: "100 Ingenieure gesucht". Doch der deutsche Ingenieursmangel ist ein altbekanntes Problem. Ein Wirtschaftsaufschwung lässt sich an ihm nicht festmachen.

Nur ein "kleines positives Licht" sieht die Volkswirtin Anja Kettner im Anstieg der offenen Stellen, die bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet sind. Kettner arbeitet für das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, das zur Bundesagentur gehört. Sie analysiert dort die kurzfristige Entwicklung des Arbeitsmarktes. Das größere Angebot, sagt Kettner, habe auch saisonale Gründe: Das Gastgewerbe stellt seine Tische ins Freie und braucht mehr Personal. Ebenso die Landwirtschaft, beispielsweise zur Spargel-Ernte.

Aufwind? Nur teilweise

In anderen Branchen ist die Zahl der Neuanstellungen weit geringer. "In der Wirtschaftskrise wurde in Deutschland insgesamt zurückhaltend entlassen", sagt Kettner. "Das bedeutet, dass viele Unternehmen jetzt zuerst auf interne Ressourcen zurückgreifen. Oder ihre Kurzarbeit abbauen müssen." So wie in der Metall- und Elektroindustrie. "Neueinstellungen?", fragt Martin Leutz vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall. "Das wird noch eine Weile dauern. Die Produktion muss erst mal um 30 Prozent wachsen, um wieder das Vor-Krisen-Niveau zu erreichen."

Nicht viel anders sieht es der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB). Die Prognosen seien eher verhalten, sagt eine Sprecherin. Ein Umsatzminus von 1,5 Prozent wird fürs laufende Jahr erwartet, für 2011 rechnet man am Bau mit einem weiteren Einbruch. "Wir sind eine nachgelagerte Branche, die später in die Krise rutscht, aber auch später wieder herauskommt." Die meisten Unternehmen seien schon froh, wenn sie ihren Personalbestand halten könnten.

Trend zur Auslagerung

Ähnlich ergeht es dem deutschen Einzelhandel. Der Geschäftsführer des Handelsverbands HDE, Stefan Genth, zitiert aus einer Händlerbefragung: "77 Prozent der Unternehmen gehen von einem konstanten Beschäftigungsniveau aus. Neun Prozent würden ihre Belegschaft gerne aufstocken - 14 Prozent hingegen Mitarbeiter abbauen." Tapfer sagt Genth, dass sich die Gesamtlage "von einem sehr schwachen Niveau aus nun deutlich gebessert habe".

Manchmal sind es auch nur einzelne Bereiche einer Branche, die Aufwind spüren. Die Mode- und Textilwirtschaft zum Beispiel kann insgesamt von einem Stellenausbau nur träumen. Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise treffen auf ein strukturelles Problem: Der Trend, die Produktion aus Kostengründen ins Ausland zu verlagern, sei ungebrochen, sagt der kaufmännische Leiter des Gesamtverbands Textil & Mode, Marcus Jackoangeli. Aber der Bereich technische Textilien wächst: Dort wird mehr Personal beschäftigt, das Operations- oder Bautextilien sowie Stoffe für die Autoindustrie fertigt.

Ein einheitliches Bild des Aufschwungs lässt sich schwer skizzieren. Anja Kettner, die Arbeitsmarktforscherin aus Nürnberg, warnt davor, dass in den Medien meist nur von den großen Konzernen die Rede ist. "Unsere Wirtschaft wird von den mittelständischen und kleinen Unternehmen dominiert. Und bei denen ist die Situation oft ganz anders." Das größte Potential für einen Stellenausbau sieht auch Stephan Pfisterer, Bereichsleiter Personal und Bildung beim Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien (Bitkom) bei den kleineren Mittelständlern: "Firmen, die gerade aus dem Bereich von 100 oder 200 Mitarbeitern herauswachsen und dann auf einen Schlag viel gutes Personal suchen".

Es hängt am Kunden

Seit Mitte vergangenen Jahres verzeichnet die Zeitarbeits- und Personalvermittlungsbranche stete Zuwächse. Fachleute werten das Plus bei der Zeitarbeit als Frühindikator für einen Aufschwung: Für viele Unternehmen ist sie der erste Weg, um zusätzliches Personal zu holen - das man aber auch schnell wieder loswerden kann.

Die mittelständische Zeitarbeitsfirma Aba Logistics aus Hamburg bestätigt den Trend. "Unsere Kunden bekommen wieder mehr Aufträge - und wir damit auch. Besonders in der Logistik und im Transport suchen wir Leute", sagt Stefan Preusser, technischer Leiter von Aba. Bei den Münchner IT-Beratern von Cirquent ist das nicht anders. "Unser Geschäft hängt unmittelbar am Bedarf des Kunden", sagt Kommunikationschef Thomas Siegner. "Und von ihnen kommt wieder mehr". Wenn das so weitergeht, fährt Siegner sicher bald wieder für zwei Tage nach Ettlingen, zu den nächsten Welcome Days.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: