Süddeutsche Zeitung

Betriebliche Weiterbildung:Freiwillig oder zwingend

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Die internen Regelungen für Fortbildung sehen von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich aus.

Von Joachim Göres

Wenn sich Beschäftigte beruflich weiterbilden, dann liegt das angesichts des Fachkräftemangels auch im Interesse der Arbeitgeber. Doch wie sehen die Bedingungen für eine Qualifizierung in den Unternehmen wirklich aus? Das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat unlängst seinen "Trendbericht: Betriebliche Weiterbildung" vorgelegt, in dem 71 seit 2014 zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abgeschlossene Vereinbarungen zur Weiterbildung genauer unter die Lupe genommen wurden. Dabei zeigt sich: Es gibt in den 23 untersuchten Branchen große Unterschiede von Betrieb zu Betrieb.

Beim Thema Digitalisierung wurde in einem Unternehmen des Verlags- und Druckgewerbes bestimmt, dass die Firma die mit der "Software arbeitenden Mitarbeiter auch während des laufenden Einsatzes regelmäßig schulen und jedem Mitarbeiter mindestens halbjährlich die Teilnahme an einer Schulung anbieten" wird. In einem Betrieb der Gesundheits- und Sozialbranche wurden dagegen Pflichtschulungen am Computer vereinbart: "Kommt der Mitarbeiter der systemgenerierten Aufforderung zum Abarbeiten der Module nicht zeitnah nach" und liege "auch keine ersetzende Präsenzschulung vor", habe der Vorgesetzte "den Mitarbeiter anzusprechen und im Bedarfsfall den Arbeitgeber darüber zu informieren".

Der Soziologe Winfried Heidemann, Autor des Trendberichts, spricht von einer Tendenz "zur selbständigen Nutzung von Online-Angeboten unter weitgehendem Verzicht auf eigenes professionelles Weiterbildungspersonal". Er kritisiert, dass es bei den Inhalten der digitalen Weiterbildung meist nur um die Lösung aktueller Probleme im betrieblichen Alltag gehe. Das reiche aber angesichts sich ständig verändernder Arbeitsanforderungen nicht aus. Heidemann fordert umfassendere Maßnahmen, damit die für die digitale Arbeitswelt nötigen "Fähigkeiten zu interdisziplinärer Zusammenarbeit, zur Vernetzung in komplexen Systemen und zur Interpretation von anfallenden Daten" tatsächlich vermittelt werden.

Ein weiteres Thema in den Vereinbarungen ist das in vielen Tarifverträgen vorgeschriebene Mitarbeitergespräch, in dem es auch um die individuelle Förderung von Beschäftigten gehen soll. Bei einer Großhandelsfirma etwa besteht die Möglichkeit der Freistellung für eine persönliche berufliche Weiterbildung nach fünf Jahren Betriebszugehörigkeit, "auch wenn aufgrund der aktuellen Beschäftigungssituation kein betrieblicher Bedarf für derartige Weiterbildungsmaßnahmen besteht".

Bei einem Hersteller von Kraftwagenteilen wird die Förderung eines Masterstudiums von Mitarbeitern geregelt. In diesem Zusammenhang kann ein Darlehen vereinbart werden, das nur in Teilen zurückgezahlt werden muss. Praktisch soll das so aussehen: "Der Mitarbeiter absolviert das Masterstudium/die Fortbildung berufsbegleitend in seiner Freizeit. Dafür kann er Urlaubstage nehmen und/oder angesammelte Überstunden als Gleitzeit abgelten. Auch kann der Mitarbeiter für eine im Vorfeld definierte Dauer des Studiums in Teilzeit arbeiten", heißt es in der entsprechenden Regelung.

In früheren Vereinbarungen spielte Weiterbildung bei Entlassungen und Kurzarbeit eine wichtige Rolle, um die Chancen der Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Heute geht es dagegen mehr um die Zukunft der Unternehmen, die ihre Mitarbeiter angesichts technischer Veränderungen fortbilden. Grundsätzlich stellt Heidemann fest, dass sich die gesetzlichen Bedingungen für die betriebliche Weiterbildung verbessert haben. Durch das seit gut einem Jahr geltende Qualifizierungschancengesetz kann die Agentur für Arbeit Zuschüsse zum Lohn und zu den Fortbildungskosten von Beschäftigten im Betrieb übernehmen, wenn die Weiterbildung mehr als 160 Stunden umfasst. Die Förderung ist für Arbeitnehmer möglich, deren Beschäftigung vom technologischen Strukturwandel betroffen ist.

Laut Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichem Institut der Hans-Böckler-Stiftung ist in den vergangenen Jahren die Anzahl der Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern und einem Betriebsrat gestiegen, die Vereinbarungen zur Weiterbildung abgeschlossen haben. In Unternehmen mit Betriebsrat gibt es zudem mehr Möglichkeiten zur Weiterbildung und auch mehr Interesse der Beschäftigten daran als in solchen ohne Interessenvertretung. Allerdings: Nur noch circa 40 Prozent der Beschäftigten haben überhaupt einen Betriebsrat.

Information: Der 34-seitige "Trendbericht: Betriebliche Weiterbildung" lässt sich unter https://www.mitbestimmung.de/html/trendbericht-betriebliche-weiterbildung-12120.html kostenlos herunterladen .

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SZ vom 26.06.2020
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