Besuch in einer Elite-Wirtschaftshochschule:Geld kennt eine Moral

Sie ist eine der Kaderschmieden der Großbanken: die WHU Otto Beisheim School of Management in Vallendar. Ein Semester kostet 5000 Euro aufwärts. Seit neuestem sollen die Studierenden hier auch die Lehren aus der Finanzkrise mitlernen. Kann das funktionieren? Ein Besuch.

Von Roman Deininger

Pia Buck kommt aus einem Dorf auf der Schwäbischen Alb, die Menschen dort sprechen einen Dialekt, den Fremde nicht verstehen, und im Grunde tut sie ja jetzt nichts anderes. Sie spricht halt nur kein Schwäbisch. Sie sagt Dinge wie: "Für mich ist das eine challenge." Und: "Man sollte da eine awareness haben." Oder: "Das muss man heute necessarily mitdenken."

Aus ihrem Dorf auf der Alb ist Buck vor ein paar Jahren nach Vallendar gezogen, ein 8000-Einwohner-Städtchen am Ufer des Rheins, sechs Kilometer von Koblenz. An einem Mittwochabend ist die einzige belebte Kneipe in der hübschen Altstadt die "Laterne", es leuchten darin nur die Spielautomaten. Manche sagen, Vallendar sei der ideale Ort zum Lernen. Hier hat Pia Buck ihren neuen Dialekt gelernt.

Buck, 22, studiert an der WHU Otto Beisheim School of Management, einer privaten Wirtschaftshochschule, die man in deutschen Rankings nie lang suchen muss. Man findet sie stets in der ersten oder zweiten Zeile, vielleicht noch in der dritten, aber in diesem Fall neigt man in Vallendar bereits zu der Theorie, dass mit dem Ranking irgendwas nicht stimmen kann.

Weinstube und Wallfahrtskirche

Die WHU ist das, was man - bretthart, aber treffend - eine Kaderschmiede nennt. Man geht als normaler Mensch rein und kommt als Kader wieder raus. Oder?

Vallendar ist eigentlich tiefste deutsche Provinz, Weinstube und Wallfahrtskirche. Doch wer hier studiert hat, dem steht die Welt offen, zumindest die Finanzwelt: die Frankfurter Bankenhochhäuser, das Londoner Börsenviertel, die Wall Street.

Mindestens 5000 Euro Studiengebühren zahlt ein Student pro Semester für das Recht, hier büffeln zu dürfen, bisweilen bis zum Morgengrauen. Dass das Geld und die Zeit gut angelegt sein dürften, erahnt man an den Absolventen, die im altehrwürdig knarzenden Treppenhaus von silberumfassten Fotos strahlen. Oder, je nach Höhe ihrer Spende an die alte Uni, aus einem Goldrahmen. Es findet sich kaum ein Stuhl an der WHU, der nicht von irgendwem gestiftet worden wäre. Für einen Moment glaubt man, dass hier sogar die Kaffeemaschinen gravierte Bronzeplaketten tragen.

Das ist die Gefahr für den Gast an einem Ort wie diesem: dass die Klischees die Wirklichkeit unbemerkt überholen.

Die WHU jedenfalls, so sagen sie das hier, verlässt man nie ganz. Man bleibt Teil eines exklusiven Netzwerks, Teil einer Elite. Auch wenn man diesen Begriff selbst in Vallendar meidet, wohl in Anerkenntnis des deutschen Grundsatzes, dass man Elite sein, sich aber nicht so nennen darf.

"Man spricht Englisch hier. Als Erstes verlierst du die Fähigkeit, normales Deutsch zu reden."

Was macht so ein Studium also mit einem Menschen? Vier Jahre im Bootcamp der Manager von morgen? Pia Buck lacht und sagt: "Man spricht Englisch hier. Als Erstes verlierst du die Fähigkeit, normales Deutsch zu reden." Und dann?

Es ist Morgen in einem Bäckereicafé an einem Verkehrskreisel in Vallendar, Rheinstraße statt Wall Street. Buck fährt sich einen sehr langen Moment durch die Haare, sie sind noch nass vom Waschen. Als sie ihren Satz beginnt, ist da nichts von der Genervtheit, die man hätte erwarten können: "Sie haben sicher das Buch gelesen?"

Das Buch, erschienen im Herbst, geschrieben vom WHU-Absolventen Benedikt Herles, Sohn des TV-Journalisten Wolfgang Herles. Er vertritt die These, dass junge Menschen an der WHU und anderen Business-Schools noch viel mehr verlieren als ihr gutes Deutsch. Zum Beispiel die Fähigkeit, selbst zu denken. "Die kaputte Elite" heißt das Werk, und der Autor ist jetzt so etwas wie der Fahnenflüchtige aus der Armee der Jungmanager.

Herles zeichnet das Bild eines Systems, das mehr auf Mathematik baut als auf Menschen, auf einen beinahe religiösen Glauben an Effizienz. Auf der Überzeugung, die Welt mit Excel-Tabellen erklären zu können, die Manschettenknopf-Fetischisten dank drei Dosen Red Bull in der Früh um vier füllen. Die Business-Schools, schreibt Herles, züchten "ängstliche Technokraten" und "hechelnde Gewinnmaximierer". Genau diese Spezies habe die Welt in der Finanzkrise an den Rand des Abgrunds geführt. Herles findet, die Gesellschaft sollte ihren Kadern nicht trauen.

Pia Buck und vier ihrer Kommilitonen wollen lieber nicht viel sagen zum Herles-Buch. Aber das muss auch nicht sein. Der Gast darf mit ihnen studieren gehen, in einer Frühlingswoche am Rhein.

Im hellen Foyer eines Uni-Gebäudes sitzen die fünf beim Mittagessen auf Hochstühlen, unter Uhren mit der Ortszeit von Chicago, Shanghai, Bangalore und Vallendar. Bagel für die Damen, Schnitzel für die Herren. Die Mensa, erzählen sie, sei besser geworden, seitdem die studentische Unternehmensberatung sich den Laden mal vorgenommen hat. Fünf Masterstudenten sind da versammelt, die sich bisher kaum kannten. Fünf selbstbewusste, formvollendet höfliche Menschen Mitte zwanzig.

Selbst das Disney-Film-Gucken ist vorausgeplant

Pia Buck, die damals bei der Studienwahl dachte, mit BWL mache man nichts kaputt und die keine zwei Jahre später einen WHU-Kongress mit Hunderten Teilnehmern organisierte.

Nadja Marx, Ursprungsdialekt Fränkisch, deren Mitschriften im Seminar bunte Kunstwerke sind und die stets weit vorausplant, selbst das Disney-Film-Gucken mit ihren Freundinnen.

Jakob Schoroth, der glühende Kölner, der sich gern aus seiner "comfort zone" zwingen lässt und der für seine Fitness an manchen Tagen nur Haferschleim isst.

Jochen Ziervogel aus Berlin, der als Jugendlicher beim Economist-Lesen Lust bekommen hat auf Wirtschaft und jedes seiner Worte abwägt, weil er präzise sein will.

Patrick Vollmer, der in der Nähe von Vallendar zu Hause ist, mit dem man auch über Politik und Kunst reden kann, der Zahlen liebt und Mainz 05.

Sie kommen aus allen Ecken des Landes, aber sie sprechen alle den gleichen Dialekt. Kleine Heuschrecken? Sie sagen, dass sie im Grunde selbst gespannt sind, welche Klischees der Gast hier bestätigt findet. Der Gast sagt jetzt nicht, dass er schon nach Manschettenknöpfen gefahndet und keinen einzigen entdeckt hat.

Ethik-Vorlesungen sind nicht mehr Wahlfach, sie sind jetzt Pflicht

"Wir sind mit der Finanzkrise aufgewachsen", sagt Vollmer, mit ein bisschen bösem Willen könnte man ihm eine Gel-intensive BWLer-Frisur nachsagen. Am Tag vor der Lehman-Pleite hatte Vollmer 18. Geburtstag, er lebte in Dubai damals. Er hat mitbekommen, wie die Immobilienblase platzte, wie Eltern seiner Freunde ihre Jobs verloren. Die Schnupper-Vorlesung, die Nadja Marx einst an der WHU gehört hat, handelte vom Platzen der Blase. Genau das könnte ein Vorteil sein, finden die fünf: dass sie zur ersten Generation von BWLern gehören, die nicht umlernen muss nach der Krise. Weil sie die Lehren aus der Krise gleich mitlernt.

Es gibt da diesen Scherz unter BWLern, der ein bisschen mehr ist als ein Scherz. Es geht um eine Prüfung. Die Studenten sehen die Fragen und sagen dem Professor, das seien doch die gleichen wie im vergangenen Jahr. Schon richtig, sagt der Professor. Aber die Antworten haben sich geändert.

Die Krise hat die Moral auf den Stundenplan der Wirtschaftshochschulen gebracht, nicht nur an der WHU gibt es Ethik-Vorlesungen. Sie sind nicht mehr Wahlfach, sie sind jetzt Pflicht. An manchen Unis schwören angehende Manager einen Eid auf die Nachhaltigkeit ihres Tuns. Kritiker sagen, das alles sei nur ein Feigenblatt, hinter dem der neoliberale Geist schalte und walte wie eh und je.

Und überhaupt, man könne ja viel lernen. Aber Moral?

Michael Frenkel kennt all diese Argumente natürlich, bei seiner Antwort kommt ihm entgegen, dass er als Typ mehr Volksbank Vallendar ist als Goldman Sachs. Auf dem runden Tisch im Büro des WHU-Rektors stehen eine Teekanne, ein paar Tassen und ein Glas Honig, der billige von "Ja". Er selbst, sagt Frenkel, sei ja übrigens Volkswirt: "Wenn alle Klischees über BWLer stimmen würden, wäre ich längst nicht mehr hier." Man wolle an der WHU keine "grauen Männer wie bei Momo, wir wollen die bunten Vögel". Keine Gewinnmaximierer, sondern Querdenker. Und die trügen keine Krawatten. Frenkel sagt das als Träger eines lustigen Ringelpullovers.

Es klingt niemand wie der nächste Wolf von der Wall Street

Wenn man sich umschaut und umhört in den Hörsälen von Vallendar, erkennt man wenig Studenten, die sich umstandslos als bunte Vögel qualifizieren. Aber es klingt auch niemand wie der nächste Wolf von der Wall Street. Man sieht mehr Kapuzenpullis als Sakkos, und es dauert zwei Tage, bis in einem Fall Manschettenknöpfe zweifelsfrei nachweisbar sind.

Nadja Marx packt ihren Laptop aus einer klischeeverdächtig edlen Tasche, sie sagt, sie müsse später mal nicht zu einem börsennotierten Riesen. "Ich kann mir einen Mittelständler gut vorstellen." Eine Unternehmerin ist in die Vorlesung "Family Business" gekommen, sie macht in Tierfutter, 50 Mitarbeiter. Die Aufgabe für die Studenten: den Umsatz verdoppeln, aber nicht das Personal. Die Unternehmerin sagt: "Was wollen Sie wissen? Shoot!" Die Finger gehen hoch. Ein junger Mann fragt: "Investieren Sie in Hedgefonds?" Die Unternehmerin sagt: "No risks." Für ihre Berater geht das offenbar so in Ordnung.

Abend in Vallendar, Studenten laufen in Sportklamotten durch die Altstadt wie in Amerika über den Campus. Die fünf essen Lasagne in Pia Bucks Wohnung. Buck hat ihren Vermietern kürzlich zu einer Mieterhöhung geraten, sie fand, sie komme zu billig weg. An der Wand ein New-York-Bild, im Regal eine Ulm-Tasse.

"Ein Job mit 80 Stunden in der Woche ist ein K.-o.-Kriterium"

Sie erzählt, dass die Karriere gerade Vorrang habe in ihrem Leben, dass sie gerne ranklotzt. Aber dass sie mit 40 die Zeit haben will, "die Kinder in die Schule zu bringen". Klar, sagt Marx, auch sie arbeite viel und diszipliniert. Genau das erlaube ihr, auch mal nachmittags Reiten zu gehen. Schoroth sagt: "Ein Job mit 80 Stunden in der Woche, das ist für mich ein K.-o.-Kriterium." Die fünf haben den Eindruck: Für die meisten Studenten ist Arbeit viel, aber nicht alles.

Das Thema ist ein sensibles in Vallendar, unausgesprochen steht immer ein Name im Raum und eine tragische Geschichte. Im August 2013 brach Moritz Erhardt, WHU-Student, 21, während seines Praktikums bei einer Londoner Investmentbank tot zusammen. Zuvor soll er drei Nächte praktisch durchgearbeitet haben. Vom "Magischen Kreisverkehr" berichten Bankpraktikanten: Arbeiten bis morgens um sieben, heim mit dem Taxi, der Fahrer wartet, während man duscht. Dann zurück ins Büro. Die gerichtsmedizinische Untersuchung in London ergab, dass Erhardt seiner Epilepsie-Erkrankung erlegen ist.

Patrick Vollmer sagt, dass man nicht mehr blind irgendwelchen Theorie-Modellen vertraue

Rektor Frenkel hat damals eine Rede an seine Studenten gehalten, er hat sie gewarnt, dass Ehrgeiz und Überehrgeiz nahe beieinander liegen. Mit dem Selbstvertrauen, sagt er nun in seinem Büro, sei das ja ähnlich. "Fragen Sie mal die Leute, wer sich für einen überdurchschnittlich guten Autofahrer hält. Da sagen 70 Prozent Ja. Und so ist das auch an den Märkten. Over-Confidence bläst die Blasen auf." Er fände es deshalb gut, wenn seine Studenten "eine gewisse Unsicherheit" behielten.

In einem selbstverständlich Namens-gesponserten Study Room debattiert eine Arbeitsgruppe über Wege zur Senkung von Jugendarbeitslosigkeit. Jemand hat einen Hasen auf das Flipchart gemalt, vielleicht auch eine Katze mit komischen Ohren. Ein Mindestlohn, schafft der Arbeitsplätze? Das glauben die Studenten eher nicht. Wie wäre es, wenn man mehr Praktikanten hätte und so weniger Arbeitslose in der Statistik? "Augenwischerei." Nach einer Weile sagt einer: "Wenn es eine echte Lösung für Jugendarbeitslosigkeit gäbe, hätte die schon jemand anderes gefunden."

Pia Buck hat die leeren Lasagne-Teller abgeräumt. Was sind denn nun die Lehren aus der Krise? Patrick Vollmer sagt, dass man nicht mehr einfach blind irgendwelchen Theorie-Modellen vertraue. Buck sagt, dass eine "awareness" für ethische Fragen heute völlig normal sei. Dass man den sozialen Aspekt "necessarily" mitdenke. Und dass das für ihre Generation eine ständige "challenge" sei.

Moral kann man nicht lernen, man kann sich aber um sie bemühen. In der Praxis, das wissen die fünf, ist das nicht leicht. Schoroth hat schon in einer Managementberatung gearbeitet, er hat erlebt, wie das ist, wenn über Personalabbau diskutiert wird. Wenn es heißt: Wir entlassen heute ein paar, damit wir morgen nicht noch mehr entlassen müssen. "Irgendjemand muss das am Ende entscheiden."

Die Unsicherheit, die sich Rektor Frenkel wünscht - zumindest bei den fünf ist sie spürbar. Marx sagt, sie verstehe schon, was da in der Krise passiert sei: "Aber einfach mal schnell sagen, was für Griechenland das Beste ist? Das kann ich nicht."

"Banken arbeiten ja nicht nur für sich"

Jochen Ziervogel ist in das Café am Kreisel gekommen, er möchte erklären, wie er die Branche sieht, in die er strebt. Anders als die Öffentlichkeit: "Banken arbeiten ja nicht nur für sich. Sondern zum Beispiel auch für einen Pensionfonds." Für ihn sei die Finanzwirtschaft dazu da, "Menschen dabei zu helfen, ihre Ziele zu erreichen", mit einem Kredit ein Haus zu bauen.

Patrick Vollmer, der Zahlenfreund, fasst das in einen wuchtigen Satz: "Ich fühle mich als Teil einer Nachhaltigkeitsbewegung." Aber wie stark ist die? "Strukturen lassen sich nicht über Nacht verändern." Auch Pia Buck ist realistisch: "Ich sehe keine radikalen Reformer unter den WHU-Studenten. Aber ich sehe viele, die sehr ernsthaft über die Zukunft nachdenken."

Bei Lutz Johanning etwa, einem jugendlichen Professor in der Vorlesung über "Financial Risk Management". Johanning fragt seine Studenten: Wird sich die große Krise wiederholen? Und mit welcher Wahrscheinlichkeit? Buck, Vollmer und die anderen raten ein bisschen herum, notgedrungen. Hm. Innerhalb von einem Jahr wiederholt sich die Krise mit einer Wahrscheinlichkeit von - nullkommairgendwas Prozent? Innerhalb von zehn Jahren - fünf Prozent? Johanning grinst und sagt: "Wenn man in einem dunklen Raum Darts wirft, ist es schwer, die Scheibe zu treffen." Dann macht er mit einem kurzen Satz das Licht an: Wiederholt sich die Krise? "Wenn man lange genug wartet: zu hundert Prozent."

Als sie sich bei Pia Buck dieser ausgezeichneten Lasagne widmen, sinnieren die fünf darüber, ob die Finanzwelt, in die sie die Kaderschmiede von Vallendar bald entsenden wird, sicherer und besser ist als vor der Krise. Sie haben die Hoffnung, ja. Aber sie scheinen schon zu wissen, dass es auch sie selbst sein müssen, die diese Welt sicherer und besser machen.

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