Besuch bei einem Rhetorik-Trainer:"Ich bin aus dem Mangel entstanden"

Seine Kunden blättern 5000 Euro hin, um ein Wochenende lang zu lernen, wie man vor Publikum spricht. Wie ein Rhetorik-Guru seine Zuhörer mitreißt - ohne ein begnadeter Redner zu sein.

Jutta Pilgram

Er lässt sein Publikum warten, zwanzig Minuten lang. Dann tritt Matthias Pöhm auf die Bühne, ein attraktiver, jungenhafter Mann von 46 Jahren. Er schweigt. Gespannte Stille im Saal. Nach einer halben Minute sagt er mit dröhnender Stimme: "Ich bin Rhetoriktrainer." Pause. "Mein Feind ist mein Freund geworden." Dramatischer Blick in die Menge. "Ich bin aus dem Mangel entstanden, und es ist immer noch Selbstheilung, was ich hier mit Ihnen mache."

Besuch bei einem Rhetorik-Trainer: "Verankern Sie im Unterbewusstsein des Publikums: Ich bin der Chef - und mir wird geglaubt": Matthias Pöhm beim "Rhetorik-Event der Superlative".

"Verankern Sie im Unterbewusstsein des Publikums: Ich bin der Chef - und mir wird geglaubt": Matthias Pöhm beim "Rhetorik-Event der Superlative".

(Foto: Foto: oh)

Was dann folgt, ist die Geschichte einer Erweckung. Pöhm gibt sie immer wieder in seinen Büchern und bei Veranstaltungen zum Besten: wie er damals, als junger Software-Ingenieur in Genf, auf einer Betriebsversammlung gezwungen war, völlig unvorbereitet eine Rede zu halten. Er stammelte und schwitzte und brach schließlich beschämt ab. Damals schwor er sich, nie wieder in eine solch peinliche Situation zu kommen.

Sein Leidensweg führte in Rhetorikkurse und in Jobs als Marktschreier und Volksfest-Moderator - und er hat sich gelohnt: Heute nennt Pöhm sich "Europas teuerster Rhetoriktrainer" und "Schlagfertigkeits-Coach Nummer 1". Das Seminar, zu dem er an diesem Novemberwochenende in ein Münchner Vorstadt-Hotel lädt, heißt: "Rhetorik-Event der Superlative, VIP exklusiv".

Angemeldet haben sich drei Frauen und neun Männer. Jeder hat 4900 Euro bezahlt, plus Mehrwertsteuer, um hier unter "Hardcore-Bedingungen" zu trainieren. Das heißt: Jeder hält mindestens 17 Reden, ohne viel Zeit zum Nachdenken, denn das Seminar dauert von acht Uhr früh bis zehn Uhr abends. Und jeder übt vor einer arrangierten Drohkulisse: Während in herkömmlichen Rhetorikkursen nach ein paar Stunden eine familiäre Atmosphäre entsteht und die Redner ihre Scheu verlieren, stehen die zwölf VIP-Teilnehmer unter der kritischen Beobachtung von 130 Zuschauern.

Es sind Versicherungsvertreter, PR-Leute, Marketing-Menschen, Bankberater und Verkäufer. Auch sie haben viel Geld bezahlt, 290 Euro, um hier als Karriere-Voyeure dabei zu sein. Sie beäugen die VIP-Teilnehmer neugierig und fragen sich, wie verzweifelt man sein muss, um so viel Geld für ein Seminar hinzublättern, oder wie sagenhaft reich.

Die Botschaften des Meisters sind simpel und plakativ, genau wie die Diktion, die er propagiert. Dafür hat er den seltsamen Begriff "Wirksprache" geschaffen. "Die knallt durch", sagt Pöhm, und zählt die acht Gebote der Wirksprache auf: Machen Sie kurze Sätze (maximal acht Wörter)! Reden Sie in der Gegenwart! Vermeiden Sie Relativsätze! Streichen Sie das Wort "und"! Sprechen Sie in der direkten Rede! Benutzen Sie lieber Bilder als das korrekte Fachwort! Verbieten Sie sich Worthülsen wie "dynamisch" oder "effizient" und Weichmacher wie "vielleicht" oder "ein bisschen"! Appellieren Sie an das Gefühl statt an den Verstand! Für die Rede-Schüler geht es nun zur Sache: Drei Co-Trainer scheuchen sie von Saal zu Saal, überall wartet ein Teil des Publikums. Manche Vorträge müssen sie dreimal halten, die Zuhörer klatschen und lachen und stöhnen - und die Redner werden immer souveräner.

Als eine der ersten Übungen lernen sie, wie sie ein gestelltes Thema, von dem sie keine Ahnung haben, umschiffen. "Themaverfehlung gibt es nur in der Schule", sagt Pöhm, "nicht im Leben". Er macht vor, wie man sich mit ein paar Allgemeinplätzen durchlaviert und dann geschickt zu seiner Herzensangelegenheit überleitet. Heraus kommen Redemanöver, die man von schlitzohrigen Politikern und nervigen Talkshow-Gästen kennt. Die Möglichkeit, in einem solchen Fall einfach mal nichts zu sagen, wird gar nicht erst in Erwägung gezogen.

"Ich bin aus dem Mangel entstanden"

Dann erklärt Pöhm, wie man beim Publikum einen "Zuhörzwang" auslöst. Beispielsweise, indem man eine quälende Frage stellt und sie offen im Raum stehen lässt: "Würden Sie ohne Fallschirm aus dem Flugzeug springen?" oder "Wollen Sie, dass Ihre Kinder demnächst in der Schlange beim Arbeitsamt stehen?" Sobald der Zuhörer denkt "Nein, natürlich nicht", hat sich der Redner als Meinungsführer etabliert. "Ich schiebe ihm meine Videokassette ins Hirn", sagt Pöhm.

Denselben Effekt haben Mitmach-Aktionen. Der Redner baut eine Pseudo-Abstimmung ein und fordert die Zuhörer auf, die Hand zu heben. Worüber abgestimmt wird, ist egal. "So bringen Sie das Publikum dazu, auf Ihr Geheiß irgendetwas zu tun. Damit verankern Sie in seinem Unterbewusstsein: Ich bin der Chef - und mir wird geglaubt."

Der Vorwurf der Manipulation lässt Pöhm kalt. "Manipulation heißt Veränderung. Veränderung ist nicht schlecht. Egal, ob Jesus, Buddha oder Goebbels - alle haben mit denselben Methoden gearbeitet." Einen Unterschied zwischen lauteren und unlauteren rhetorischen Mitteln sieht er nicht. Dass schon Platon den Sophisten vorwarf, ihre Überredungskunst nicht in den Dienst der Wahrhaftigkeit zu stellen - solche Feinheiten kümmern ihn nicht. Hauptsache, der Redner langweilt nicht und fasziniert.

Auf Großbildleinwand sehen die Teilnehmer die berühmte "I have a dream"- Rede von Martin Luther King. Pöhm ruft: "Das können Sie auch! Ich mache Sie zu einem großen Redner!" Zu dumm nur, dass die Themen der VIP-Gäste nicht viel hergeben für großen Reden. Sie gratulieren der Schwiegermutter, sie sprechen einen Toast auf den Leiter der Fleischabteilung, sie erheben ihr Glas auf die erfolgreiche Zusammenarbeit mit einem treuen Kunden.

Und auch Matthias Pöhm ist kein begnadeter Redner. Sein Wortschatz ist bescheiden, seine Sätze sind oft grammatikalisch falsch, seine Seminar-Unterlagen strotzen vor Rechtschreibfehlern. Aber er ist ein Meister des Effekts. "Sie müssen keine Argumente liefern, Sie müssen verkünden", ruft er in den Saal. "Damit kriegen Sie eine Wirkungsverdreifachung hin!" Und dann üben alle die Verkündigung der Sätze: "Ich sage Ihnen eines: Führen Sie in Ihrer Verwaltung Lean-Management ein! Fünfzig Prozent Ihrer Probleme sind verschwunden!" Tosender Beifall.

Draußen wird es schon dunkel, als die VIPs im großen Saal zu ihrer siebzehnten Rede antreten. Nur ein Lichtspot erleuchtet die Bühne, Scheinwerfer blenden die letzten Hemmungen aus. Einer nach dem anderen spricht über den verstorbenen Vater, die grandiose Firmengründung oder das beste Biobrot der Welt. Und es ist erstaunlich: Kein Redner langweilt, alle bemühen sich um Bilder und Beispiele, jeder strahlt Selbstbewusstsein aus. Manches wirkt etwas stereotyp, bis in die Bewegungen imitieren die Redner den Meister, und auch die Tricks kennt man inzwischen. So beginnen fast alle Vorträge mit dem Krimi-Kunstgriff: "Es ist der 1. September 1993. Ich sitze im Büro und denke: . . . Da klingelt das Telefon."

Die Praxis überzeugt, die Philosophie erschreckt: Wer bei Matthias Pöhm reden übt, lernt das Geschäft der Effekte und der Tricks. Zur sachlichen Abwägung von Argumenten, zum Austausch von Meinungen, zum Darlegen von komplexen Zusammenhängen taugt diese Redeschule nicht.

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