Süddeutsche Zeitung

Berufswege:"War es das? Oder kannst du noch mehr?"

Wer sich einmal für einen Beruf entschieden hat, bleibt dabei. Oder nicht? Die Zukunft der Arbeitswelt sieht anders aus.

Von Katharina Kutsche

Alle hatten ihn gewarnt. Vor dem Arbeiten an den Wochenenden zum Beispiel. Martin Oslizlo begann trotzdem eine Kochlehre: "Ich habe das immer abgetan." Doch irgendwann kamen die ersten Zweifel. Ständig abends und nachts arbeiten, außerdem an den Wochenenden. Das alles war nicht gerade gut bezahlt und schlecht für das Privatleben: Oslizlos damalige Freundin arbeitete werktags und tagsüber, die beiden sahen sich kaum. Zu diesem Zeitpunkt hatte Oslizlo, heute 42, bereits zwei Ausbildungen hinter sich, als Koch und als Hotelkaufmann, dazu mehrere Jahre Berufserfahrung. "Mit Mitte 20 stand ich vor der Entscheidung: War es das? Oder kannst du noch mehr?", sagt Oslizlo. Er fing noch einmal von vorn an: als Polizeikommissar. Und das sollte nicht der letzte Wechsel in seiner Karriere bleiben.

Die Entscheidung für den Beruf war früher eine Entscheidung fürs Leben. Deutsche Nachnamen wie Müller, Meier, Schulze, die sich aus jahrhundertealten Berufsbezeichnungen ableiten, zeigen, wie prägend die Berufswahl einst für ganze Familien war. Aber ist das noch zeitgemäß? Tatsächlich ist die Bindung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber inzwischen schwächer. Arbeitnehmer wechseln häufiger das Unternehmen, bilden sich fort, orientieren sich neu.

Das Beispiel von Martin Oslizlo lässt erahnen, wie weitreichend die Entscheidung für einen Beruf ist: Mit 16 hält man bestimmte Belastungen noch aus, mit 25 schon nicht mehr. Außerdem ist es sehr viel verlangt, sich mit 16 oder 19 für einen Beruf zu entscheiden, in einem Alter, in dem ein Mensch noch nicht viel von der Berufswelt gesehen hat. In den meisten Schulen werden gerade einmal zwei Betriebspraktika angeboten. Dabei gibt es über 340 Ausbildungsberufe in Deutschland, dazu kommt die Zahl möglicher Studiengänge und entsprechender Arbeitsfelder nach dem Abschluss. Selbst die mitunter nervige Frage von Erwachsenen an Kinder: "Und was willst du mal werden, wenn du groß bist?", zielt darauf ab, dass sich der junge Mensch genau einen Beruf zum Ziel setzt.

Christian Dittmann forscht an der Leibniz-Universität Hannover zu beruflichen Orientierungs- und Entscheidungsprozessen. Er sagt: "Einen Beruf auszuüben ist Teil der Identität." Schließlich sei es doch oft so, dass relativ schnell nach dem Beruf gefragt werde, wenn man jemand Neues bei einer Party kennenlerne. Die Orientierung für den Beruf werde letztlich durch das soziale Umfeld, die Eltern, die Freunde beeinflusst. Auch Neigungen und Interessen, die in der Schulzeit entstehen und weiterentwickelt werden, spielen eine große Rolle.

Das war auch bei Martin Oslizlo so: "Mein Vater war Koch und auch mein Vorbild. Für mich kam damals eigentlich nur eine Ausbildung als Koch infrage. Andere Berufe haben mich nicht gereizt." Dabei hatte gerade sein Vater ihm von der Kochlehre abgeraten. Trotzdem, eine kaufmännische Ausbildung, wie sie damals viele anfingen, habe ihn nie interessiert, sagt Oslizlo. Er schrieb genau eine Bewerbung für seine Lehrstelle, der Kontakt kam über seinen Vater zustande. Die Arbeit habe ihm Spaß gemacht, doch "heute würde ich so eine Ausbildung nicht mehr empfehlen", sagt Oslizlo: die Arbeitszeiten, das militärische Regiment in der Küche.

Jährlich wechseln drei Prozent der Deutschen ihren Job

Solche Zweifel beginnen meist nach den ersten Berufsjahren, sagt Berufspädagoge Dittmann: "Entweder bei Auszubildenden ganz früh, sodass sie die Ausbildung abbrechen und etwas anderes machen. Oder nach abgeschlossener Ausbildung und ein, zwei Jahren Arbeit in dem Beruf. Es setzt eine Phase ein, in der man das Berufsfeld ein- und abschätzen gelernt hat."

Oslizlo entschied sich dann, einen Kindheitstraum wahr zu machen: "Ich bin aus einem tiefen Gerechtigkeitsempfinden heraus Polizist geworden." Für die Ausbildung im gehobenen Dienst benötigte er die Fachhochschulreife. Für den ehemaligen Koch ein großer Schritt, sagt er: "Ich komme nicht aus einer Akademikerfamilie. Mein Vater ist Koch, meine Mutter Verkäuferin."

Einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus dem Jahr 2012 zufolge wechseln in Deutschland pro Jahr gut drei Prozent der Befragten ihr Berufsfeld, die Hälfte von ihnen freiwillig. In Großbritannien dagegen ist der Anteil an Berufswechslern dreimal so hoch, so das IAB. "Bei uns liegt dem eine Art meritokratische Logik zugrunde", erklärt Berufsforscher Dittmann: "Man darf bestimmte Berufe nur ausüben, wenn man bestimmte Berechtigungen hat. Das heißt, ein beruflicher Wechsel ist hier oft verbunden damit, dass man bestimmte Qualifikationen aufwendig nachholen muss. Und die Hürden sind ja in den meisten Berufen hoch, daher sind echte Berufswechsel selten." Den Beruf wechseln heißt eben auch, noch einmal eine Ausbildung zu machen oder sogar mehrere Jahre zu studieren. Das will gut überlegt sein, auch wenn berufsbegleitende Studiengänge inzwischen vielfach angeboten werden.

Wer in einer solchen Umbruchphase nicht weiter weiß, geht zu Karriereberatern wie Elke Wagenpfeil. In ihrem Frankfurter Büro arbeitet sie mit ihren Klienten daran, konkrete Ideen und mögliche nächste Schritte zu entwickeln. "Wer zu mir kommt, hat ja schon die Entscheidung getroffen, etwas verändern zu wollen. Die Frage ist oft nur, was und wie", sagt Wagenpfeil. Erst beleuchtet sie mit ihren Klienten deren aktuelle Situation: Was können sie, was interessiert sie und welche Werte sind ihnen wichtig. Die meisten könnten bereits durch kleine Veränderungen ihre Situation verbessern. Etwa indem sie innerhalb ihres Aufgabengebiets wechseln oder innerhalb einer Firma, etwa vom Marketing in den Vertrieb.

Unzufriedenheit im Beruf könne an vielen, sehr individuellen Gründen liegen, sagt Wagenpfeil, schließlich sei die Arbeitswelt komplex: "Manchen macht der Beruf keinen Spaß mehr, andere fühlen sich über- oder unterfordert, wiederum andere sehen keine Entwicklungsmöglichkeiten."

Letztlich können von Quer- und Seiteneinsteigern auch die Arbeitgeber profitieren. Menschen, die nur ein Unternehmen kennen, gelten heute schnell als firmenblind, als solche, die sich nicht verändern können und wollen, erklärt Christian Pape: "Wir können Wechsel nur befürworten - letztlich sind wir ja auch diejenigen, die das initiieren. Die typische Karriere ist out." Pape ist Headhunter in München, er sucht im Auftrag von Unternehmen Arbeitskräfte für bestimmte Positionen. Jemand, der nicht wechselwillig ist, ist für ihn zwangsläufig kein interessanter Kandidat. "Ich gehe sogar so weit, jedem Kandidaten zu sagen, dass er sich mit jedem Jahr, das er im gleichen Unternehmen bleibt, davon abhängiger macht", so Pape. Allerdings sei nicht jeder Personalchef für Berufswechsler offen.

Unternehmen haben zwar Probleme, die richtigen Leute zu finden. Sie neigen aber dazu, lieber eine Stelle nicht zu besetzen, als eine vermeintliche 60-Prozent-Lösung zu wählen. Dabei ist es wichtiger, sagt Pape, jemanden einzustellen, dessen Persönlichkeit passt: "Fachwissen kann man vermitteln, Persönlichkeit haben kann man nicht lernen. Da müssen wir schon manchmal Überzeugungsarbeit leisten."

Auch der Polizeikommissar Oslizlo sah irgendwann keine Möglichkeit mehr, sich in seinem Beruf weiterzuentwickeln. Nach der Ausbildung war er direkt zur Kriminalpolizei gewechselt, ermittelte bei Versicherungsbetrug, Korruption und Geldwäsche. Nebenbei beschäftigte er sich mit dem Thema Compliance, der Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien in Unternehmen, und schrieb sich schließlich an einer privaten Universität für einen passenden Masterstudiengang ein, berufsbegleitend. "Ich hatte den Eindruck, das sei auch für die Polizei ein Gewinn", sagt er über das Studium, "dieser Eindruck hat sich nicht so bestätigt."

Je länger das Studium dauerte, desto klarer sei ihm geworden, dass er wohl außerhalb der Polizei weitermachen würde. Er schätzte seine Chancen auf Beförderung gering ein: "Das hat die Entscheidung, zu wechseln, sehr erleichtert." Nach einem Vorstellungsgespräch bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wurde aus dem Ex-Koch ein Ex-Polizist, der wenige Monate nach seinem 40. Geburtstag nach Frankfurt am Main umzog. "Ich muss ehrlich sagen, drei Jahre später hätte ich so einen Schritt nicht mehr gemacht. Man ist in einem neuen Umfeld, hat andere Herausforderungen, lernt neue Leute kennen, die anders ticken. Man verlässt die Komfortzone." Genau das ist ein weiterer Grund, warum Berufswechsel so selten sind: Sie verlangen den Betroffenen viel ab.

Trotzdem sind Berufs- und Karriereverläufe nicht mehr so homogen wie noch vor ein paar Jahren. Das lässt sich empirisch belegen, sagt Dittmann von der Leibniz-Universität Hannover: "Karriereverläufe differenzieren sich weiter aus, das liegt sicherlich auch an der gestiegenen Mobilität. Die Leute sind eher bereit, länger zu pendeln, umzuziehen, können sich besser informieren. Ohne viel Aufwand ist einem der ganze Stellenmarkt in Deutschland zugänglich."

Martin Oslizlo ist mit sich im Reinen, schließlich habe er immer bewusste Entscheidungen getroffen. Er lebt inzwischen in Düsseldorf und leitet die Ermittlungsabteilung der Ergo-Versicherungsgruppe. Wohin ihn sein Berufsweg noch führt, weiß er nicht. "Ich habe einmal dieses Zitat von einem Politiker gelesen: 'Das Leben ist zu interessant, als dass man immer das Gleiche machen sollte.' Das ist doch ein gutes Motto auch für das Berufsleben."

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SZ vom 02.01.2017/mkoh
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