Berufswahl:Wie wir wurden, was wir sind

Vor Fluglotsenstreik in Deutschland

Schon früh wusste Dominique Dlugosch, dass sie Fluglotsin werden wollte.

(Foto: dpa)

Von der Fluglotsin bis zum Künstler: Fünf Menschen erzählen, wie sie in ihren Jobs gelandet sind und wer sie bei der Entscheidung beeinflusst hat.

Von Gunda Achterhold

Die Fluglotsin

Als Kind besuchte Dominique Dlugosch ihren Vater auf dem Flugplatz und kletterte in seinen Rettungshubschrauber. "Er arbeitete meist auf kleinen Flugplätzen, die Atmosphäre war familiär, und ich fand es einfach faszinierend, dass Flugzeuge in die Luft steigen und fliegen können."

Mit 16 Jahren war klar: Nach dem Abitur wollte sie Fluglotsin werden. Sie machte ein Schulpraktikum am Flughafen Bremen, sprach mit vielen Leuten, dann stand der Entschluss fest. "Ohne meinen Vater und diesen persönlichen Bezug zum Fliegen wäre ich wahrscheinlich gar nicht auf die Idee gekommen", sagt die 25-Jährige.

Seit vier Jahren ist sie nun "voll lizensiert", wie es heißt, und kontrolliert als Centerlotsin den Flugverkehr im Luftraum zwischen Nürnberg und Dresden. "Die meisten denken eher an die Lotsen im Tower, die das Geschehen direkt am Flughafen beobachten", erklärt Dominique Dlugosch. Damit hat ihr Job jedoch gar nichts zu tun. Als Centerlotsin hat sie An- und Abflüge am Münchner Flughafen schon sehr viel früher im Visier. "Der Luftraum ist in viele kleine Lufträume eingeteilt, die wie Puzzleteilchen ineinandergreifen", sagt sie und schneidet die Luft mit ihren Händen in einzelne Scheiben. "Für jeden Sektor, den ich kontrolliere, habe ich eine Prüfung abgelegt."

Jeweils zwei Fluglotsen arbeiten zusammen und beobachten die Flugzeuge auf dem Radar. Sie staffeln den Verkehr so, dass die Sicherheitsabstände eingehalten werden, und legen eine Reihenfolge fest, in der sie die Flugzeuge zur Landung bringen. "Über Funk sind wir im ständigen Kontakt mit den Piloten und den Kollegen in den anderen Sektoren", sagt die Centerlotsin. "Sobald sich Situationen ändern, zum Beispiel bei Nebel oder Gewitter, stimmen wir uns ab und planen entsprechend um."

In ihrem Beruf sei kein Tag wie der andere, sagt sie, der Beruf sei ebenso abwechslungsreich wie anspruchsvoll und erfordere eine hohe Konzentrationsfähigkeit über lange Zeiträume hinweg. "Das habe ich auch von meinem Vater", sagt sie und lächelt. "Wir gehen beide sehr ruhig und überlegt an die Dinge heran, ich glaube, das sind die Gene."

Der Architekt

Auf dem Tisch liegen Bildbände, die meisten zeigen Aufnahmen vielfach ausgezeichneter Bauten des Architekten Otto Steidle. Patric Meier blättert in einem der Bücher und zeigt auf ein Foto: eine Sitzecke, etwas spießig, aber wohnlich, drumherum viel Glas und Licht. "Ich kann mir vorstellen, dass er diese Tischdecke nicht so toll fand", sagt Meier. "Trotzdem hat er das Bild für den Einband seines Katalogs ausgesucht." Dafür schätzt er seinen früheren Meister.

"Was ich an ihm besonders bewundert habe, war seine Geisteshaltung, frei von Dogmen und Konventionen", sagt Meier, Gründer und Partner des Münchner Büros agmm Architekten + Stadtplaner. "Steidle stand für eine Architektur, die dem Leben, das sich darin abspielt, eine Bühne bietet und ein Umfeld schafft, dem sich die Menschen verbunden fühlen." Er habe den Mut gehabt, den Bürobau neu zu denken, indem er Elemente aus der Sprache des Wohnungsbaus eingebunden habe.

Das faszinierte den jungen Architekten Meier, als er nach dem Studium in Bremen und ersten Berufsjahren nach München kam und dort an der Kunstakademie bei Steidle studierte. Die Haltung seines Meisters prägt die Arbeit des gebürtigen Schwarzwälders bis heute.

Lange zuvor hatte er einem ganz anderen Vorbild nachgeeifert, ebenfalls einem Architekten: Als kleiner Junge baute er mit großer Begeisterung Wohnsiedlungen, die sein Onkel entworfen hatte, mit Legosteinen nach. "Jedes Mal, wenn ich den Bungalow meiner Tante und meines Onkels betrat, entdeckte ich neue Dinge, die mein Onkel mit Hingabe und seiner großen Liebe zum Detail geschaffen hatte. Seine Pläne waren kleine grafische Kunstwerke", sagt Meier.

Heute plant und baut er mit seinem Büro und seinem Partner Markus Borst vor allem für Baugemeinschaften und Genossenschaften. "Wir verstehen das Bauen als einen kreativen Gemeinschaftsprozess", sagt Meier. "Als eine Art Verhandlungsraum, für den wir den Rahmen vorgeben." Auf diesem Weg zu einer neuen, am Gemeinwohl orientierten Stadtplanung sieht er sich in der Tradition seines Meisters Otto Steidle: "Die Architektur hat dem Menschen zu dienen - und nicht umgekehrt."

Die Lektorin

Ob sie ein Vorbild hat? Darüber hatte sich die Lektorin Eva-Maria Prokop noch nie Gedanken gemacht. Und dann sieht sie sich auf einmal wieder in einem dänischen Steinzeitpark stehen und erinnert sich: Auf der Abifahrt hatte es "klick" gemacht. "Da war ein kleines, rundes Häuschen, das hatte als einzige Öffnung oben ein Loch", erzählt Prokop.

"Wir waren mit unserer Englischlehrerin unterwegs, einer sehr klugen und charismatischen Frau. Sie erklärte uns zum Beispiel, dass die Germanen dieses Fensterloch Vindauga nannten, weil es Wind und Licht hineinließ, und wie sich daraus das englische Wort window entwickelt hatte. Die Abiturientin war wie gebannt. "Mit Sprachgeschichte hatte ich mich vorher noch nie beschäftigt. In diesem Moment war ihr klar: Das will ich auch wissen."

Die Münchnerin studierte Germanistik und Anglistik - wie ihre Lehrerin - und widmet sich seither mit großer Leidenschaft der Sprache. Bei der dtv Verlagsgesellschaft betreut die Lektorin Sachbücher und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem literarischen Nachlass der Lyrikerin Mascha Kaléko. "Diese Lehrerin und der Besuch in der Steinzeitsiedlung waren definitiv prägend für mich und haben meine Studienwahl maßgeblich beeinflusst", sagt die 39-Jährige.

"Im Laufe meines Lebens gab und gibt es aber immer wieder Vorbilder, in der Art, wie sie an Dinge herangehen und was Ihnen wichtig ist." Den Vater zum Beispiel, einen Universitätsprofessor, der ihr vorlebte, wie es ist, für seinen Beruf zu brennen. Oder Kollegen, die sich starkmachen für Bücher oder Programme und auch gegen Widerstände für das einstehen, was sie richtig finden. "Im Lektorat braucht man ein Gespür für den Markt und einen guten Riecher", sagt Eva-Maria Prokop. "Es inspiriert und motiviert mich, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die mit Begeisterung dabei sind und Dinge vorantreiben."

Der Berater

Der Geruch frischer Sägespäne beflügelt ihn noch heute. "Mein Vater war ein begeisterter Hobbyschreiner und zog sich in jeder freien Minute in seine Werkstatt zurück", erzählt Heiko Erhardt. "Dieser magische Ort bot mir eine Möglichkeit, mit ihm zusammen zu sein." In einer alten Bäckerei hatte sich der Hausmeister mit seinen Werkzeugen und Maschinen eingemietet, der Backofen verbreitete wohlige Wärme im Raum. Der Junge beobachtete, mit welcher Hingabe und Sorgfalt der Vater arbeitete. "Er hatte einen ausgeprägten Sinn für Perfektion und war sehr stolz auf seine Arbeit", sagt der 52-Jährige.

Zwei kunstvolle Hochschränke mit aufwendigen Intarsien, die sein Vater angefertigt hat, hütet Erhardt wie einen Schatz: "Meinem Vater ging es darum, Dinge zu machen, die Bestand haben." Und darum geht es auch seinem Sohn, der eine ganz andere berufliche Richtung einschlug, sich in seiner Haltung zur Arbeit dem Vater aber sehr verwandt fühlt. "Ich habe gelernt, sauber zu arbeiten, und mag es gar nicht, Dinge halbscharig zu machen", sagt Erhardt.

Schon während des Studiums an der Technischen Universität München war er für innovative Software-Unternehmen tätig. Er arbeitete als Software-Entwickler und Produktmanager in deutschen und US-amerikanischen Firmen, wechselte in eine Managementposition zu einem deutschen Mittelständler und gründete schließlich sein eigenes Unternehmen. Als Technologielieferant eines der Senkrechtstarter des "Neuen Marktes" erlebte Erhardt den Hype der Dotcom-Ära.

Die Implosion der Marktblase stürzte auch sein Unternehmen in eine Krise. Die Fokussierung auf das Projektgeschäft führte zur Übernahme in einen deutschen Konzern. Dort erlebte er, "wie viele Mitarbeiter mit angezogener Handbremse fahren und sich mit den Werten des Unternehmens nicht mehr identifizieren können", erzählt Erhardt. Als Trainer und Berater unterstützt er heute Unternehmen beim Aufbau selbstorganisierender Teams und agiler Strukturen. "Ich sehe mich als Impulsgeber für eine bessere Unternehmenskultur." Er regt Menschen dazu an, Dinge zu tun, für die sie sich begeistern können. Wie sein Vater.

Der Künstler

Es sind die Farben, die einen sofort in den Bann ziehen. Leinwände mit starken Akzenten und hauchzarten Farbräumen hängen an den Wänden des Ateliers und ziehen den Blick magisch an. Seit vielen Jahren lebt und arbeitet der im amerikanischen Connecticut geborene Maler David John Flynn in München. Sein Vater, ein Berufssoldat, ist in den Fünfzigerjahren in Deutschland stationiert, später in der Türkei. Der heranwachsende Sohn reist mit der Familie kreuz und quer durch Europa, besucht Kirchen und Museen und wird von den Eltern an die Kultur herangeführt.

"Ich war schon begeistert von Meistern wie Caravaggio oder van Gogh, aber letztlich war es Interesse, nicht Leidenschaft", erinnert sich der 64-jährige Maler. Immerhin belegte er an der Highschool in den USA einen Kurs in Kunstgeschichte. Ein Ausflug in die Hauptstadt wurde für den Schüler zur Offenbarung. "Alle anderen waren längst weitergegangen, da stand ich immer noch in diesem Raum mit vier Bildern von Clyfford Still und war völlig überwältigt.

Es war die Zeit der Washington Color School, Künstler wie Still, Morris Louis oder Sam Gilliam hatten sich darangemacht, den abstrakten Expressionismus aufzubrechen und weiterzuentwickeln. "In den abstrakten, strukturierten Farbfeldern von Clyfford Still sah ich etwas, das ich nicht benennen konnte", erzählt Flynn. "Aber ich wusste sofort, dass ich das auch machen will." Bis dahin hatte er ein bisschen gezeichnet, ein bisschen Musik gemacht und nicht so richtig gewusst, wohin die Reise gehen sollte.

Nach dem Ausflug meldete er sich an der Kunstakademie in Richmond an. Nicht nur die Arbeiten von Still, auch sein Werdegang eröffnete dem Schüler einen neuen Zugang zur Kunst. "Ich erkannte, dass Malerei nicht nur ein erhabenes Kunsterlebnis ist, sondern das Ergebnis einer thematischen und theoretischen Auseinandersetzung", sagt Flynn. "Die Begegnung mit diesen Bildern inspirierte mich dazu, eine Sprache für mich selber zu finden."

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