Berufswahl:Spieltrieb

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Tausende von Kandidaten bewerben sich um die raren Plätze an den staatlichen Schauspielschulen. Worauf kommt es dabei an? Und ist es besser, gleich nach der Schule zu beginnen?

Von gianna Niewel

Er ist stolziert und gewankt, hat gewispert und von der goldenen Zeit erzählt, die vielleicht einmal sein wird, das Hemd geöffnet bis auf den untersten Knopf. Nun steht er da, säuft Champagner aus Dosen auf der Bühne. Licht aus, Applaus.

Wenig später sitzt er im Blauen Haus hinter den Kammerspielen, sein Hemd ist geschlossen bis auf den obersten Kopf. Der junge Mann, der da an der Cola nippt, ist nicht mehr der Kaufmann Lopachin aus Tschechows Tragikomödie "Der Kirschgarten". Es ist Philipp Basener, 25 Jahre alt, Schauspielschüler, heiseres Lachen. Er ist erkältet, seit Tagen kratzt die Stimme. Also noch ein Schluck, dann erzählt er von den Chancen, die er verspielt hat.

Drei Jahre lang hat der gebürtige Düsseldorfer an verschiedenen Schauspielschulen vorgesprochen, er hat es versucht und ist gescheitert und hat es wieder versucht. Jedes Mal dasselbe Spiel. Tagelang hat er den Text des Treplev aus Tschechows Drama "Die Möwe" geprobt, diesen ewigen Verlierer, und dann, bei den Aufnahmeprüfungen, war er selber Treplev. Er war Treplev in Rostock und in Leipzig, in Frankfurt, in Essen und zweimal in Berlin. An der Otto-Falckenberg-Schule in München konnte er schließlich überzeugen. Nun ist er einer der Ältesten im Jahrgang.

Vorsprechen am Wiener Max-Reinhardt-Seminar: Die Bewerber müssen vier Texte vorbereiten, die einen Eindruck ihrer Möglichkeiten vermitteln sollen. (Foto: David Ausserhofer)

Ein Problem für ihn? "Nun ja", meint er, es sei ein Vorteil, sich durchgeschlagen zu haben. Zwischen den Bewerbungen hat er bei einem Italiener gekellnert. Wenn er erzählt, wie er die Gäste beobachtet hat, die Blicke der Verliebten, das vernichtende Schweigen der Streitenden - dann wird die Gastronomie zur Lehrstube in Menschenkenntnis. Wer beim Gläserspülen den Gesprächen lauscht, der höre irgendwann auch die Zwischentöne heraus, sagt er.

Mit der Zeit hat Basener dann kleine Rollen am Schauspielhaus übernommen, er spielte in Kästners "Pünktchen und Anton" und im "Rechnitz" von Elfriede Jelinek. Damals habe er all das gelernt, was zum Theater gehört, aber nicht im engen Sinn zum Schauspielen: Flyer basteln, Werbung machen, Regie planen, Kostüme aussuchen. Gerade in der freien Kulturszene, wo das Geld fehlt, habe es immer jemanden gebraucht, der anpackt - also sei er zum Macher geworden. "Ergebnisorientiertes Arbeiten" nennt Basener das.

Was macht es mit einem, wenn man so oft abgelehnt wird? "Ich habe nie daran gezweifelt, dass die Bühne meine Welt ist", sagt er. Natürlich habe er mit sich gehadert und gespürt, dass die Zeit gegen ihn arbeite. "Aber ich hätte es irgendwie geschafft. Ich hab's immer irgendwie geschafft."

Er hat krakeelt und genuschelt, ist über einen Zaun gestürzt und hat gar nicht erst versucht aufzustehen. Er scheint lässig bis zur Unnahbarkeit. Lederjacke, Pilotenbrille, ein Möchtegern. Jetzt fläzt er sich auf einer Holzpalette und spricht ins Nichts, als ob da jemand wäre. In großen Zügen kippt er sein Bier und schwafelt von den Frauen, als wisse er Bescheid. Licht aus, Applaus.

Colin Hausberg ist gerade 22 geworden. In Hamburg hat er Abitur gemacht und in der Theater-AG der Schule geprobt, selbst ausgedachte Stücke, das Übliche. Ab und zu dann Auftritte am Thalia-Theater. "Sicherlich wollte ich Schauspieler werden", sagt Hausberg, "aber man weiß eben auch um die Aussichten." Soll heißen: Ihm war klar, wie rar die Plätze an den staatlichen Schulen sind. Und wie lange es dauern kann, bis man genommen wird.

Um die Zeit zu überbrücken, ging er zum Arbeitsamt, lud Lastwagen aus, kurvte mit Gabelstaplern durch Fabrikhallen. Nebenbei hat er nach Schauspielschulen gesucht. Er entschied sich für die Otto-Falckenberg-Schule in München und konnte bald seinen Job kündigen - der erste Bewerbungsversuch ein Treffer. Damals war er 19 Jahre alt, nun zählt er zu den Jüngsten im Jahrgang, mit Lebenserfahrung punktet er nur bedingt. Ein Nachteil?

In den ersten Wochen hätten die meisten Mitschüler bereits gewusst, welcher Typ sie sind. Und eben auch: welcher nicht. "Ich war für alles aufnahmefähig", sagt Hausberg. Einige der Älteren hätten die ersten Krisen durchlitten, weil sie auf diese oder jene Art nicht hätten spielen wollen. Er hingegen hätte sich ausprobiert und dann fokussiert. "Ich spiele am liebsten gesetzte Typen", sagt er jetzt, kurz vor dem Ende der Schulzeit. Erde, das sei sein Element, nicht Feuer.

Noch vor einem Jahr hätte er vor allem Probleme mit dem Zeitmanagement gehabt. Die Proben, die Textarbeit, dann zusätzlich drei Projekte - jeder Tag im Kalender sei ein Kästchen gewesen, fast jedes Kästchen voller Termine. "Man übernimmt sich leicht", sagt Hausberg. Mittlerweile habe er sich beigebracht, Möglichkeiten auch einmal auszuschlagen. Überhaupt spricht er viel von Disziplin, davon, was er zunächst nicht wusste und sich dann über Erfahrungen erarbeitet habe. Er wirkt dabei nicht verkrampft. Er macht einen besonnenen Eindruck, wie er da am Küchentisch seiner Wohngemeinschaft sitzt, braune Haare, wacher Blick, und Sätze sagt wie diese: "Wenn ich Hamlet spiele, lasse ich mich natürlich auf die Textvorlage ein. Man reflektiert die Rolle, aber man muss sich lösen. Es ist wichtig, nicht noch nachts darüber zu grübeln, ob man selbst einen Vaterkomplex hat oder ob nicht am Ende alles sinnlos ist."

© SZ vom 18.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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