Süddeutsche Zeitung

Berufswahl:"Eltern wissen nicht, wozu sie ihren Kindern raten sollen"

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Das Kind tritt in die Fußstapfen der Eltern - so funktionierte die Berufsfindung früher. Und heute? Familienpsychologe Wolfgang Hantel-Quitmann über Jobs, die nicht mehr gefragt sind - und Konkurrenz zwischen den Generationen.

Wolfgang Hantel-Quitmann ist Professor für Klinische und Familienpsychologie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und Buchautor ("Basiswissen Familienpsychologie", Klett-Cotta Verlag). Er sagt: Viele Eltern können ihren Kindern nicht mehr guten Gewissens den eigenen Berufsweg empfehlen.

SZ: Was motiviert Kinder, denselben Beruf wie ihre Eltern zu wählen ?

Wolfgang Hantel-Quitmann: Früher wurde der Beruf unhinterfragt an den Erstgeborenen weitergegeben. Das war eine kulturelle Tradition. Später dann, in der Moderne, traten viele Kinder freiwillig in die Fußstapfen der Eltern, wenn sie merkten, dass die Eltern zufrieden mit ihren Jobs waren. Ärzte zum Beispiel haben noch immer eine der höchsten Selbstrekrutierungsraten überhaupt, weil viele Mediziner ihren Beruf als spannend und sinnerfüllt empfinden. Heute, in der Postmoderne, ist es allerdings nicht mehr so einfach, den Weg der Eltern zu gehen.

Warum nicht?

Durch die Ökonomisierung der Gesellschaft und die Flexibilisierung unseres Bildungssystems ist das, was die Eltern machen, oft gar nicht mehr im Angebot - oder nicht mehr attraktiv. Denn die Marktgesetze steuern immer mehr in die Berufschancen rein. In den Krankenhäusern zum Beispiel gibt es häufig nur noch befristete Teilzeitstellen, neulich habe ich sogar von befristeten Viertelstellen gehört. Wie sollen junge Mediziner davon leben? Das gilt auch für andere Branchen, den Wirtschaftsbereich zum Beispiel, der seinen Mitarbeitern ein unglaubliches Tempo abverlangt. Leider geraten junge Menschen zunehmend in dieses postmoderne Schleuderprogramm.

In großen Familienunternehmen sehen wir aber noch, dass die Nachfolge zwischen den Generationen geregelt wird.

Ja, das ist die feudale Variante. Diese Strukturen gibt es noch, da spielen Loyalitätsfragen eine wichtige Rolle. Insgesamt sehe ich aber, dass die Eltern heute gar nicht mehr wissen, wozu sie ihren Kindern raten sollen - also auch nicht zum eigenen Weg. Sie sind beunruhigt von den Zukunftsaussichten ihrer Kinder, über die hohen Arbeits- und Flexibilisierungsanforderungen, mit denen ihre Kinder konfrontiert werden.

Ihre erwachsene Tochter hat das nicht abgehalten: Sie sind Psychologe, Ihre Frau ist Psychologin, Ihre Tochter ist Psychologin. Ist die gemeinsame Berufswahl für die Familie eine Bereicherung, oder gibt es manchmal Konkurrenz zwischen den Generationen?

Konkurrenz zwischen Eltern und Kindern gibt es ja nur dann, wenn ungelöste Minderwertigkeitsgefühle vorhanden sind, wenn etwa keine Ablösung in den Beziehungen vorhanden war oder narzisstische Problematiken in der Familie eine Rolle spielen. Ich bin einfach nur stolz auf meine Tochter. Sie macht ganz tolle Sachen, hat viel erreicht und ist in mancher Hinsicht schon deutlich qualifizierter als ich.

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Quelle:
SZ vom 09./10. August 2014
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