Berufsfeld Soundmarketing:Manipulation durch den Gehörgang

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Motoren müssen klingen wie eine Raubkatze auf dem Sprung: Die Autoindustrie setzt beim Vertrieb auf die Macht der Klänge. Andere Branchen sind zurückhaltender.

J. Göricke

Für die einen ist der Urknall eine Theorie über die Entstehung des Universums, für andere ist die Einführung eines Autos der "Big Bang". Wie die des neuen Audi A8 zum Beispiel, der im Dezember letzten Jahres vor Medienvertretern als ingenieurtechnisches Meisterstück, ja als Kunstwerk, zelebriert wurde: auf der - so viel Umgebung muss sein - Design Miami, einem Ableger der wichtigsten Kunstmesse der USA, wo Filmstars mit eingelegten Haien vor Kameras posieren. Und mittenmang ein nagelneues chromsilbernes Automobil, das von sich behauptet, schon beim Launch ein Klassiker zu sein. Das ist ein echter Urknaller.

Musik beeinflusst unser Leben: Hauptsache der Sound ist gut. (Foto: Stephan Rumpf)

Silber steht für coole Technik, und genau das will Audi transportieren: "Vorsprung durch Technik" heißt der Claim des Ingolstädter Autobauers. Silbern sind auch die Leuchtobjekte der Installation, die der britische Lichtkünstler Tom Dixon für die Präsentation des A8 geschaffen hat. Und silbern klingt natürlich die Musik, die den Event einleitet, ihn begleitet und von einem Höhepunkt der Inszenierung zum nächsten führt: eine Rede von Konzernchef Rupert Stadler zum Beispiel und, selbstverständlich, die Enthüllung des Automobils.

Zuständig für den Klang von Audi und der anderen Automobile des Volkswagen-Konzerns bei Unternehmensauftritten aller Art - wie Präsentationen, TV-Spots, Internet - ist Leslie Mandoki. Der erfolgreiche Musiker und Produzent (ja, der von Dschinghis Khan) hat viele Kontakte. Daher traten in Miami als Hauptacts - neben Stadler und dem Auto - auch die Jazzgrößen Al di Meola und Till Brönner auf.

Hilfe von Leslie Mandoki

Auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Verkaufsleiter-Schule in München stellte Mandoki seine Arbeit vor, nicht zuletzt um bei den Verantwortlichen in den Unternehmen für Sound Branding zu werben. Denn so sehr die visuelle Überzeugungsarbeit am Kunden erforscht und in den Marketingabteilungen der Unternehmen verankert ist, so wenig gilt das für die Musik oder andere akustische Reize und die Rolle, die sie in der Werbung und bei der Kundenbindung spielen könnten.

"Der auditive Kanal ist völlig unterbewertet", findet Diplom-Psychologe Christian Scheier, der mehrere Jahre am renommierten California Institute of Technology als Hirnforscher gearbeitet hat und heute von Hamburg aus Unternehmen bei der neuropsychologischen Markenführung berät. Musik ist aufs engste mit Emotionen verbunden. Das weiß jeder, der auch lange nach dem Liebeskummer bestimmte Songs nicht hören kann, ohne melancholisch zu werden. Und dass die Entscheidungsfindung beim Menschen eher emotional als argumentativ gesteuert wird, ist eine wesentliche Erkenntnis der modernen Neurowissenschaft. Das gilt auch für Kaufentscheidungen. Da bietet es sich für Verkaufsstrategen geradezu an, Kunden über auditive Reize auf Konsum einzustimmen.

Akustische Signale haben Vorteile

Ein Vorteil akustischer Signale ist: Man kann ihnen kaum entgehen. Fernsehzuschauer, die sich in einer Werbepause einem Buch zuwenden, kommen nicht umhin, die Klangkulisse im Hintergrund wahrzunehmen. Und da Musik auch visuelle Zentren im Gehirn aktiviert, kann eine Tonfolge die dazugehörige Bilder wachrufen. Woher aber weiß man, welche Art von Musik zum Kaufen reizt und welche womöglich abschreckt? Und welche Zielgruppe man mit einer bestimmten Art von Musik erreichen kann? "Die Kunden fragen nach einer Evaluierung", sagt Berater Scheier.

Auf der Homepage des Mineralwasserproduzenten Perrier wird das Produkt vom Geräusch eines kleinen Wasserfalls begleitet. Eine schöne Idee. Leider erinnert das Rauschen ein bisschen an eine Toilettenspülung. Untersuchungen haben gezeigt, dass unpassende Musik auch in weniger krassen Fällen die Glaubwürdigkeit einer Marke herabsetzt. Andererseits hat man herausgefunden, dass etwa Supermärkte, die ganz auf Beschallung verzichten, ihre Waren schlechter verkaufen als solche, die falsch berieseln.

Schwer zu greifen

Musik ist schwer zu greifen, zumindest mit Worten. Silberner Fahrspaß kann sich anhören wie eine klassische Rockballade von Leslie Mandoki oder wie eine futuristische, multimediale Techno-Sinfonie, wie sie die Gruppe Bauhouse für Audi geschaffen hat. Sicher ist, auch das zeigen Studien, dass im Supermarkt bei langsamer Musik mehr eingekauft wird als bei schneller. Im Restaurant sinken dagegen die Umsätze: Ist der Soundtrack langsam, lassen sich die Gäste mehr Zeit, das führt zu weniger Durchsatz. Wissenswert auch: Laufen französische Chansons im Hintergrund, wird gern französischer Wein geordert.

Faktoren wie Rhythmus, Tempo, Phrasierung, Harmonien, Modus hat der amerikanische Marketingforscher Gordon C. Bruner untersucht. Steigert sich etwa die Lautstärke bei einem Crescendo, verstärkt sich auch die emotionale Empfindung. Ein Dreierrhythmus wirkt entspannt, ein Zweierrhythmus kontrolliert. Rohrblattinstrumente machen einsam und melancholisch, Blech wird als kalt und hart empfunden.

Einziger Nachteil von Sound Branding: Es kostet. (Foto: iStockphoto)

Ob aber "kalt" immer negativ zu werten ist? Ein musikalisches Branding lässt sich nicht mit holzschnittartigen Begriffen verkaufen. Dazu ist der Vorgang des empfindenden Hörens und Assoziierens zu komplex. Einem Tonkünstler bleibt kaum etwas anderes übrig, als die Musik für sich selbst sprechen zu lassen. Dann kann sich das Belohnungssystem im Gehirn des Marketingchefs in Gang setzen - der ist ja schließlich auch nur ein Mensch - und ihn überzeugen. Das entspricht auch der praktischen Erfahrung von Leslie Mandoki, der den VW- und Audi-Vorständen - Soundmarketing ist hier hoch aufgehängt - gerne mal was vorspielt. Schließlich heißt Audi, wenn man es aus dem Lateinischen übersetzt: höre!

Mandoki hat es vergleichsweise leicht. In der Automobilindustrie ist das Soundmarketing am tiefsten verwurzelt und ausdifferenziert, sagt Berater Scheier. Hier beschäftigen sich Entwicklungsingenieure mit dem Klang klappender Autotüren, der zum Motorgeräusch und zur Klasse des Wagens passen muss. Am weitesten verbreitet: das Soundlogo. Bei Audi ist es eine kurze elektronische Tonfolge, begleitet von Schlagzeug-Geschepper, die am Ende jedes TV-Spots das auf den Punkt bringt, was auch die aufspringenden Ringe symbolisieren: die Marke. Diese feine Unterscheidung muss sein. Denn: "Ein Soundlogo ist keine akustische Untermalung, sondern konstitutives Element", sagt Mandoki.

Der Motor macht Musik

Dass auch der Motor selbst Musik macht, demonstriert ein Film, der 35 Sekunden lang den Sound eines Audi R8 in Szene setzt: tiefes Brummen, quietschende Reifen, Halleffekt. Der Klang dieses Autos, wie eine Raubkatze auf dem Sprung, geht auch jemandem, der das Autofahren nüchtern sieht, durch Mark und Bein.

Andere Branchen sind eher schweigsam. Auch beim Besuch der meisten Internetseiten fällt auf: Sie sind stumm. Dabei könnte man den Surfer zumindest durch akustische Rückmeldungen beim Anklicken bestimmter Funktionen belohnen. Kaufportale wie Amazon verzichten auf eine klingende Begleitung. Unternehmenssprecherin Christine Höger: "Bei vielen Produkten auf unserer Website kann man ohnehin reinhören oder -sehen. Darüberhinaus überlassen wir es den Kunden, welche Musik sie beim Online-Einkauf hören wollen und sehen daher davon ab, zusätzlich musikalische Untermalung anzubieten." Lufthansa-Sprecher Marco Dall'Asta befürwortet zwar Elemente, die als "Unterstützung" dienen, alles andere würde beim Buchungsvorgang womöglich stören.

Nur keine Kosten

Warum es noch hapert mit der flächendeckenden Implementierung des Soundmarketing? Christian Scheier: "Viele Entscheider gehen rein rational vor. Da hat es das Sound Branding schwer. Und in der Krise fasst man ein neues Thema, das Kosten verursacht, ohnehin nicht an."

© SZ vom 05.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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