Berufseinsteiger:"Einheitsbrei ohne Individualität"

Praktikum in Paris, Semester in London? So gewinnen Bewerber keinen Blumentopf mehr. Ein Experte sagt, was Firmen von Kandidaten erwarten.

C. Demmer

Ein Praktikum in Italien oder ein Semester an einer englischen Uni verschaffte Berufseinsteigern früher einen ordentlichen Vorsprung bei der Jobsuche. Heute lässt sich damit allein kein Blumentopf mehr gewinnen. Tobias Phleps, 39, Chief Operations Officer bei der Berliner Corporate-Identity-Agentur MetaDesign erklärt, wie die Globalisierung die Erwartungen an Hochschulabsolventen hochgeschraubt hat.

Lügen im Vorstellungsgespräch

Lügen im Vorstellungsgespräch: Zehn Fragen, auf die Personaler garantiert keine ehrliche Antwort bekommen.

(Foto: Foto: iStock)

SZ: Sie entwickeln Markenstrategien und Design für Kunden in aller Welt. Woher kennen Sie die Märkte?

Tobias Phleps: Von unseren rund 300 Mitarbeitern in Deutschland hat mit Sicherheit ein Viertel im Ausland studiert oder gearbeitet. Mit Ausland meine ich nicht nur Westeuropa, sondern vor allem Kanada, USA, China, Japan, Australien und Länder in Afrika und Südamerika. Englisch ist unsere zweite Geschäftssprache und wird zunehmend zur ersten. Allein am Standort Berlin sprechen wir mehr als 50 Sprachen. Mancher deutscher Mitarbeiter grummelt schon leise, einige Kollegen könnten kaum mehr Deutsch.

SZ: Geben Sie Bewerbern mit Auslandserfahrung den Vorzug?

Phleps: Nicht unbedingt, aber andere gibt es kaum mehr. Angehende Designer und Strategen wissen genau, dass sie im Laufe ihrer Ausbildung wenigstens ein- oder zweimal für längere Zeit im Ausland gewesen sein sollten. Wer nur sein eigenes Land kennt, begrenzt sich selbst in der Entwicklung und zeigt wenig Pioniergeist. Aber noch wichtiger ist die im Ausland erfahrene menschliche Reife.

SZ: Wofür brauchen Sie die?

Phleps: Unsere Mitarbeiter haben in den Märkten, für die sie tätig sind, gelebt und gearbeitet, studiert und konsumiert. Sie haben soziale Bindungen geknüpft und sind eine Zeitlang mit Haut und Haaren in ein fremdes Land eingetaucht. Sie wissen, wie die Menschen in ihren Märkten angesprochen werden wollen. Und sie haben im Ausland gelernt, mit neuen und schwierigen Situationen umzugehen. Davor stehen sie bei uns ständig.

Prädikatsexamen und perfekte Lebensläufe

SZ: Ein zweimonatiges Praktikum in Paris reißt Sie nicht vom Hocker?

Phleps: Könnte man so sagen. Neulich bewarb sich eine 24-jährige Marketingfrau bei uns. Sie hatte in Paris, Toronto und Tokio studiert und spricht sechs Sprachen fließend, darunter Arabisch und Japanisch. Solche Leute setzen die neuen Standards. Sie können weltweit unter attraktiven Job-Angeboten wählen und kommen überall unter, weil die Unternehmen im Gegensatz zu den Universitäten erkannt haben, welche Integrationsfähigkeit und soziale Kompetenz diese Menschen mitbringen.

SZ: Wird am Bedarf vorbei studiert?

Phleps: Die Universitäten produzieren einen Einheitsbrei und lassen keine Individualität zu. Und die Firmen legen allzu großen Wert auf Prädikatsexamen und perfekte Lebensläufe. Beides liefert den Leuten eine Schablone, wie sie zu studieren und womit sie ihre Ausbildung anzureichern haben - zum Beispiel mit diesen zwei Monaten in Paris, in denen sie allenfalls die Hauptlinien der Métro kennenlernen. Aber zu wenige Abgänger stellen grundsätzliche Fragen und wollen die Welt verändern. Das aber wird in Zukunft sehr wichtig werden.

SZ: Und entsprechend honoriert?

Phleps: Wirklich internationale Absolventen kommen nicht in erster Linie des Geldes wegen, sondern wegen der Herausforderung und der Chancen. Sie wollen ihre Individualität der Wirtschaft zur Verfügung stellen. So wie die polyglotte Marketingfrau. Sie hat sich in Berlin beworben, obwohl sie weder die Stadt kennt noch unsere Sprache spricht.

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