Berufsalltag:Konferenzkampf

Businesspeople in teleconference

Fünf Menschen sitzen am Tisch, aber mitreden können in der Konferenz viel mehr - die "Spinne" macht es möglich.

(Foto: Getty Images)

Vor 25 Jahren kam das erste Telefon auf den Markt, das eine Gruppendiskussion möglich machte. Neue Technologie kann noch viel mehr - zum Vorteil der Arbeitnehmer?

Von Katharina Kutsche

Den größten Schrecken verursacht die Spinne, wenn sie spricht. Wenn alle Menschen rund um den Besprechungstisch vergessen haben, dass da noch jemand über das Konferenztelefon mithört, der auch etwas sagen möchte. Und plötzlich eine Stimme körperlos in den Raum schallt, die für irritiertes Umherblicken sorgt und manchen Teilnehmer kurzfristig an seiner geistigen Gesundheit zweifeln lässt: Wer spricht denn da?

Für diesen Schockmoment in deutschen Unternehmen ist ein dreibeiniges Gerät in schwarzem Gehäuse aus dem Hause Polycom verantwortlich, von Büromenschen wegen seiner Form mehr oder weniger liebevoll als Spinne bezeichnet. In diesem Jahr feiert das Konferenztelefon seinen 25. Geburtstag. Seine Entwicklung ist nicht nur eine Unternehmensgeschichte. Sie zeigt auch, wie sich die Welt der Arbeit, Büros und Konferenzen im Laufe der Jahre verändert hat.

Jeff Rodman ist einer der zwei Gründer von Polycom. Von dem deutschen Spitznamen für das Telefon hat er noch nichts gehört, er nennt es stattdessen bei seinem offiziellen Produktnamen: Soundstation. Die sei vor allem fürs Büro entwickelt worden, sagt Rodman, dafür, dass sich Menschen über eine Telefonleitung verstehen können, obwohl sie durcheinanderreden und sich unterbrechen. Sie fange Stimmen genauer ein als ein normales Telefon. Und sie lasse zu, dass sich Menschen auf das Sprechen konzentrieren können, ohne auf die Technik achten zu müssen.

Das Telefon blendet nervige Geräusche wie Papierrascheln aus

Rodman gründete Polycom 1990 in San Francisco mit seinem Kollegen Brian Hinman. Beide kennen sich damals bereits aus dem Gründerteam von Picture Tel, einer Firma für Videokonferenzanlagen. Hinman und Rodman wollen deren Technik weiterentwickeln. Sie beginnen mit den Augen ihrer Kunden auf Gerät und Funktion zu schauen und stellen fest, dass die Tonübertragung schlechter ist als die Qualität der Bildsequenzen. Ein Phänomen, das als "rattled paper syndrome" beschrieben wird, das nervige Geräusch raschelnden Papiers, das mehrfach verstärkt in den Ohren der Besprechungsteilnehmer knistert, wenn jemand neben dem Telefon durch seine Notizen blättert.

Das Problem: Viele Telefone geben nicht nur die relevanten Töne in ihrem Umkreis wieder, sondern alle. Rodmans Team experimentiert und stellt fest, dass es die besten Ergebnisse erzielt, wenn es drei Mikrofone im gleichen Winkel voneinander in den Raum richtet, daher die Spinnenform. Der letzte Schritt ist die Konfiguration der Mikrofone, dabei hilft ein Buch über Lautsprechersysteme, das Rodman mal für 95 Cent erstanden hatte. Die Lautsprecher, die der Billigratgeber beschreibt, sind in einer Hülle eingefasst, aber durch Schallräume getrennt - der Durchbruch für einen besseren Ton, sagt Rodman: "Wenn du erst einmal das Problem erkannt hast, findest du auch die Lösung."

Im Jahr 1992 kommt die erste Soundstation auf dem Markt und wird ein Erfolg für das Unternehmen mit damals 50 Mitarbeitern: 1,4 Millionen Dollar Umsatz im ersten Jahr. Das Konferenzsystem lässt Menschen zur gleichen Zeit sprechen, unterdrückt Echos und vermeidet Rückkopplungen. Außerdem kann das Telefon seine Umgebung "managen", so Rodman, kein Rauschen der Klimaanlage, kein Geflüster am anderen Ende des Tisches.

Seitdem verbindet die Sprech-Spinne Büroarbeiter weltweit. Sitzt sie auf dem Tisch, kann sich jeder in eine Besprechung einwählen, wenn er Zugang und Passwort kennt. Unternehmen, die Büros in anderen Städten oder anderen Ländern unterhalten, binden Mitarbeiter in Konferenzen ein, die sie sonst nur nachträglich über Inhalte und Ergebnisse informieren konnten.

Ein Nachteil bleibt: Auch wenn Kollegen per Tischtelefon an Besprechungen teilnehmen, sind sie körperlich nicht präsent. Das mag denen helfen, die von zu Hause arbeiten und im ballonseidenen Sportanzug vor dem Telefon lümmeln. Doch der Mensch reagiert eben nicht nur auf Sprache und Inhalt, sondern schaut seinem Gesprächspartner gern ins Gesicht.

Je besser die Technik, desto mehr Besprechungen?

Der nächste logische Schritt: Polycom steigt im Jahr 2001 in den Videomarkt ein. Mithilfe neuer Bildtechnik vernetzt das Unternehmen etwa Ärzte und ihre Patienten. In den Folgejahren passen Rodman und sein Team die Technik weiter an.

Die digitale Arbeitswelt von heute sieht anders aus. Menschen wickeln Geschäfte in Kaffeebars ab, arbeiten in Großraumbüros oder zu Hause. "Das bringt neue akustische Herausforderungen", sagt Rodman: Geschirrgeklapper, Gespräche am Tisch nebenan und gegenüber, spielende Kinder oder bellende Hunde. All das muss ausgeblendet werden. Und natürlich gibt es viel Konkurrenz auf dem Markt der Konferenztechnik. Skype for Business etwa, einen kostenlosen Instant-Messaging-Dienst, mit dem Menschen per Audio- und Videoübertragung kommunizieren können - kostenlos zwar, aber nicht datensicher.

Unternehmen arbeiten heute weniger mit klassischer Maschinenproduktion. Sie setzen auf Dienstleistung und Kooperation, und das auf internationaler Ebene. Mitarbeiter organisieren ihre Arbeit in Projekten, die Schritt für Schritt und im Team erledigt werden. Das macht den Markt für digitale Arbeitssysteme und Konferenztechnologien lukrativ und fordert Hersteller und Kunden heraus.

Arbeitnehmer allerdings auch: Je besser die Technik, desto mehr Besprechungen? Schon jetzt klagen viele Mitarbeiter über zu viele oder unnütze Konferenzen. Studien zufolge verlieren Büroarbeiter und ihre Vorgesetzten dadurch bis zu ein Fünftel ihrer wöchentlichen Arbeitszeit. Allerdings weisen Experten auch darauf hin, dass gerade kollaborative Systeme - solche, die Kollegen von unterschiedlichen Orten an den gleichen Dateien und Projekten arbeiten lassen - Besprechungen effizienter machen können.

In neueren Geräten steckt auch ein bisschen Nostalgie

So bietet etwa der Druckerhersteller Ricoh interaktive Whiteboards an: Tafeln, die bis zu 20 Teilnehmer aus aller Welt zusammenschalten, deren Gespräch aufzeichnen und Notizen speichern. Gesteuert wird die intelligente Tafel mittels Spracherkennung aus dem Hause IBM, deren künstliche Sprachintelligenz Watson im Whiteboard verbaut ist. Vor wenigen Wochen gab Ricoh zudem die Einführung einer neuen Software für sein kabelloses Videokonferenzsystem bekannt, die Konkurrenz schläft nicht.

Auch Polycom setzt auf Kollaboration. "Nutzer wissen manchmal vor einer Konferenz nicht, welche Technik sie brauchen", sagt Jeff Rodman. Das neueste Modell Trio verbindet daher drei Funktionen: Audio-, Video-Telefonie und Interaktion mit einem Laptop, damit Besprechungsteilnehmer Dokumente hin- und herschicken können.

Die meisten Kunden des amerikanischen Unternehmens sind immer noch Geschäftsleute. Und die schätzen es, wenn sie in den neuen Funktionen der Spinnen-Telefone etwas Bekanntes entdecken. "Die dreieckige Form hat sich akustisch bewährt - und die Kunden mögen sie", sagt Rodman. "Daher erinnern auch die neuen Produkte immer noch an die dreibeinige Konferenzspinne, die Polycom vor 25 Jahren erstmals auf den Markt brachte."

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