Süddeutsche Zeitung

Berufsalltag:Die Kunst des Klatsches

Tratschen ist verpönt, doch jeder macht mit. Manchmal ist es auch unverzichtbar, wenn man weiterkommen will. Wann wird es zu viel? Wie setzt man sich zur Wehr?

Von Kristin Kruthaup/dpa

Dem einen ist der Klatsch das Salz in der faden Kantinensuppe, dem anderen vergeht dabei der Appetit: Tratsch ist aus der Arbeitswelt kaum wegzudenken. "Hast du schon gehört?" So geht es meistens los. "Kollegin A ist schwanger." "Kollege B hat ein Verhältnis mit Kollegin C aus der Nachbarabteilung." "Und sag es keinem weiter, aber: Kollege Y hat einen ganz schwierigen Sohn. Der steht jetzt vor Gericht wegen Vandalismus." Keine Frage: Klatsch macht aus den langweiligsten Mitarbeitern schillernde Figuren. Doch ist Klatsch immer schlecht? Wie wehrt man sich gegen Klatsch über die eigene Person? Und wie erfährt man überhaupt davon?

Klatsch zu definieren, ist gar nicht so leicht: Wo endet er? Und wo fängt das Gerücht oder sogar Mobbing an? "Klatsch ist unspezifischer als ein Gerücht", sagt Coach Regina Michalik. Sie hat ein Buch zum Thema Intrigen geschrieben. Klatsch sei quasi eine Art Smalltalk, ein Gerücht richte sich dagegen gezielt gegen eine Person - und werde als Wahrheit verkauft. "Klatsch sind negative Informationen über das Privatleben einer Person, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind", ergänzt der Soziologe Christian Schuldt. Er hat früher für ein Boulevardmagazin geschrieben und später ein Buch zum Thema Klatsch veröffentlicht.

Das Wort stammt aus dem 18. Jahrhundert. Damals wuschen die Frauen auf öffentlichen Plätzen und tauschten den neuesten Tratsch aus, während die Wäsche auf das Waschbrett klatschte, erklärt Birgit Althans, Professorin an der Leuphana-Universität Lüneburg. Sie hat eine Kulturgeschichte des Klatsches veröffentlicht. Aus dieser Zeit stammen auch Redewendungen wie "Schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit waschen" oder "jemanden durchhecheln" oder "Klatschbasen" und "Klatschtanten".

Auch wenn Führungskräfte ihn nicht gerne sehen, weil er Arbeitszeit frisst: Tratsch habe durchaus positive Funktionen, sagt Althans. Er helfe dabei, in stressigen Situationen Druck abzulassen und sich von eher langweiligen Routineaufgaben abzulenken. Wenn es bei der Arbeit stressig wird, sorge Klatsch oft für Entspannung. Er könne zur Verbrüderung der Mitarbeiter führen.

Und er schweiße die Klatschenden zusammen, ergänzt Autor Schuldt: "Er ist etwas Böses, das Gutes tut." Wer gemeinsam über Dritte redet, fühle sich miteinander eng verbunden. Und nebenbei würden bei solchen Gesprächen die Werte ausgehandelt, die in einer Gruppe gelten. Wird über eine Affäre des Kollegen getuschelt, wird damit auch deutlich, dass Affären vom Team nicht akzeptiert, sondern verurteilt werden.

Trotzdem ist auch klar: Der Grat zwischen Klatsch und Mobbing ist schmal, eine rote Linie schnell überschritten. "Klatsch zeugt mitunter auch von einem geringen Selbstbewusstsein von demjenigen, der klatscht", erklärt die Psychologin Juliane Dreisbach. Er diene auch dazu, sich über andere zu erheben. Und für denjenigen, den er trifft, sei er alles andere als angenehm. Und noch eins komme hinzu: In Zeiten, in denen immer mehr Privates in sozialen Netzwerken veröffentlicht wird, müsse Klatsch tendenziell immer krasser werden, sagt Dreisbach. Die Informationen müssten häufig schon sehr intim sein, um als Klatsch dienen zu können. Sonst hat der Betroffene den Inhalt nicht selten schon selbst ins Netz gestellt.

"Wer als Berufseinsteiger neu in eine Firma kommt, sollte ruhig ein bisschen aus seinem Privatleben erzählen."

Sich beim Thema Klatsch ganz herauszuhalten, ist jedoch häufig keine gute Idee. Man isoliere sich im Team, sagt Schuldt. In der Folge bekommen Berufstätige viele Informationen nicht mehr mit. Und sie würden auch selbst leichter zum Gegenstand von Klatsch, weil sie außerhalb der Gruppe stünden und zum Außenseiter würden.

Wer als Berufseinsteiger neu in eine Firma kommt, sollte deswegen ruhig ein bisschen aus seinem Privatleben erzählen, rät Coach Michalik. Das verhindert von Anfang an, dass Gerüchte entstehen, weil es so wenig Informationen über einen gibt. Ansonsten sollte man beim Gerede über Kollegen genau hinhören. Wer gut im Beobachten ist, wird schnell heraushaben, was in der Gruppe toleriert wird und welche Werte in der Abteilung gelten. Selbst sollte man sich als Berufsanfänger mit Klatsch über Dritte zurückhalten, schließlich hat man die Vertrauensbasis der Kollegen noch nicht.

Was aber ist, wenn über einen selbst geredet wird? Wer gut integriert ist, über den wird in der Regel wenig geredet, sagt Schuldt. Und wer über ein enges Netzwerk verfügt, hat auch eher einen Freund, der einem Gerüchte über die eigene Person steckt. Erfährt man davon, gibt es unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten.

In einigen Fällen sei es sinnvoll, das Gerücht zu ignorieren, sagt Michalik. Denn eins sollten sich Berufstätige klarmachen: Setzen sie sich dagegen zur Wehr, spitzt sich die Situation häufig zu - und am Ende bleibe immer irgendetwas hängen. Trotzdem werde es Situationen geben, in denen man reagieren muss, weil das Gerücht einem sehr schadet.

Das kann zum Beispiel sein, wenn über einen Kollegen gesagt wird, dass er zu viel trinkt. Hier sollte man im ersten Schritt überlegen: Wer profitiert davon, dass es dieses Gerücht gibt? Das helfe dabei, den Urheber des Gerüchts auszumachen. Dann kann man denjenigen zur Rede stellen - oder man wendet sich direkt an den Vorgesetzten, wenn es ein sehr schädliches Gerücht ist.

Am Ende ist es mit dem Klatsch im Arbeitsleben ein bisschen wie mit dem Salz in der Suppe. Ein bisschen davon lässt sie besser schmecken. Doch wer zu stark würzt, versalzt die Suppe.

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Quelle:
SZ vom 01.07.2017
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