Beruflicher Neuanfang:Warum sich Migranten selbständig machen

Serdar Yildirim in der Großmarkthalle in München, 2015

Serdar Yildirim vertreibt mit seiner Firma Micro Frucht Lebensmittel in ganz Europa. Für seine unternehmerischen Leistungen wurde Yildirim 2015 von der Stadt München ausgezeichnet.

(Foto: Natalie Neomi Isser)
  • Viele Migranten machen sich selbständig.
  • Zum einen sind Menschen, die einen räumlichen Neuanfang gewagt haben, risikofreudiger. Zum anderen ist die Gründung oft der einzige Weg in die Berufstätigkeit.
  • Es gibt Beratungs- und Finanzierungsmöglichkeiten, doch diese sollten noch besser auf die Bedürfnisse der potenziellen Gründer abgestimmt werden.

Von Christiane Kaiser-Neubauer

An Motivation mangelt es meist nicht. Groß ist der Wunsch, eine Perspektive für die Zukunft aufzubauen. "Ich bin wirklich erstaunt, wie früh einige Flüchtlinge zu uns kommen. Sie sind erst wenige Monate in Deutschland und wollen sofort loslegen", sagt Rainer Aliochin, Geschäftsführer des Ausbildungsrings Ausländischer Unternehmer. Besonders attraktiv für viele Neuankömmlinge ist der Aufbau eines Unternehmens.

Wer sich zum völligen Neuanfang fern der Heimat entschließt, sieht die Firmengründung als Chance und nicht als Wagnis. Bedingung für das Vorhaben ist jedoch eine Aufenthaltsgenehmigung mit Erlaubnis zur selbständigen Tätigkeit. "Bei Personen mit Migrationshintergrund gründet die erste Generation mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit ein Unternehmen wie die zweite Generation.

Die Gründe liegen zum einen in den besseren Chancen der Kinder auf dem Arbeitsmarkt, zum anderen in der größeren Risikoneigung jener, die persönlich eine Wanderungserfahrung haben", sagt René Leicht, Leiter des Instituts für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim.

Wenig Vertrauen in öffentliche Stellen

Seit Beginn der Neunzigerjahre hat sich die Zahl selbständiger Migranten hierzulande auf 709 000 beinahe verdreifacht. Unternehmer mit ausländischer Herkunft sichern 2,5 Millionen Jobs. Mittelfristig könnte der Flüchtlingszuzug zu einem deutlichen Anstieg von Selbständigen führen. Vorausgesetzt, es gibt umfangreiche Unterstützungsleistungen für die Zielgruppe.

Gründungswillige Flüchtlinge benötigen wegen ihrer fehlenden Systemkenntnisse intensivere Begleitung als deutsche Gründer. Sie haben jedoch wenig Vertrauen in öffentliche Stellen. "Viele Gründer gehen aus Unsicherheit nicht zu Beratungen von Industrie- und Handelskammern und Banken. Sie suchen lieber Unterstützung in ihren Communities, auch wenn sie bereits lange hier leben", sagt Aliochin.

Vielerorts funktioniert der Austausch zwischen Kammern und Migrantenverbänden sehr gut. Mehrsprachige Kurse und Veranstaltungen zu Ausbildungsanerkennung, Gewerberecht und Förderungen gibt es längst nicht nur in den großen Ballungszentren. Dennoch brauche es laut Aliochin deutlich mehr kostenlose Beratungsangebote. "Mehr und bessere Leistungen würden zu nachhaltigeren Unternehmensgründungen führen", ist er überzeugt. Und Leicht meint: "Die Beratungsstellen müssen sich auf höher gebildete Personen einstellen, die andere Ansprüche haben und somit auch andere Angebote brauchen."

Auch deutsche Unternehmen können profitieren

Denn in der Gruppe der Neuankömmlinge erwarten Experten auch gute Fachkräfte. Entscheidend für ihre berufliche Zukunft ist die Frage der Anerkennung ausländischer Qualifikationen. "Ein Grund für die hohe Selbständigkeitsdichte bei Migranten ist, dass viele keine Möglichkeit haben, auf dem Arbeitsmarkt eine Beschäftigung zu finden", sagt Gülay Demirci, geschäftsführende Gesellschafterin der Dut Mikrofinanz. Wer keine Anerkennung erhält oder keine Ausbildungsnachweise erbringen kann, weil staatliche Stellen in der Heimat nicht mehr existieren, weicht oft in die Selbständigkeit aus.

Diese Unternehmer können der heimischen Wirtschaft von großem Nutzen sein. "Wer kommt, hat Beziehungen in die Region, spricht die Sprache und kann mit neuen Technologien umgehen. Qualifikationen, die für deutsche Unternehmen mit Geschäft im Nahen Osten interessant sind", sagt Leicht. Vorhersagen über die Qualifikationen der Flüchtlinge sind zwar schwierig. Traditionell gründen Migranten aber vor allem in den Branchen Gastronomie, Handel und einfache Dienstleistungen. Doch das Bild wandelt sich.

Die Finanzierung ist die größte Herausforderung

Es gibt einen deutlichen Anstieg bei höher qualifizierten Unternehmern und freien Berufen. Die größte Herausforderung für Gründer in Deutschland ist die Finanzierung ihrer Vorhaben. Ein Problem, das sich bei Unternehmern mit ausländischer Herkunft verschärft. Migranten und besonders Flüchtlinge gründen oft mit sehr geringem Kapitaleinsatz. "Banken haben nur wenig Interesse, Kleinunternehmen zu finanzieren. Bei Darlehenssummen unter 30 000 Euro ist ihnen der Aufwand zu groß und der Ertrag zu gering", sagt Demirci.

Die Darlehen der Förderbanken verfehlen meist die gewünschte Wirkung, da die Antragstellung über Geschäftsbanken erfolgt. "Die Banken sind auf dem Weg in die Selbständigkeit der Flaschenhals. Man sollte das Hausbankprinzip überdenken und einen direkten Zugang zu den Fördermittel der KfW ermöglichen", sagt Aliochin.

Flüchtlinge und viele Migranten haben oft kaum Eigenmittel und Sicherheiten und damit auch keine Chance auf eine Kreditzusage. Alternativ zu Bankkrediten erhalten Gründer bei Mikrofinanzierern leichten Zugang zu Kleindarlehen. Doch Risiken bleiben. "Mikrokredite sind als Finanzierung für Gründer nur bedingt geeignet. Da die Rückzahlung bereits nach dem ersten Monat beginnt, wird die Liquidität von Anfang an belastet", sagt Demirci.

Viele Gründer suchen daher Hilfe bei Familie und Freunden. "Es gibt genügend gut prosperierende Unternehmen, die ohne staatliche Unterstützungsleistungen gegründet wurden", meint dagegen Semir Fersadi, Referatsleiter Finanzierung der IHK München. Die Selbstorganisation der Communities in Bayern funktioniere etwa sehr gut. Auch die ersten Geschäftsgründungen von Flüchtlingen werden auf die eigene Bevölkerungsgruppe als Kunden abzielen.

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