Berufe im Fernsehen:Schöne heile Fernsehwelt

Ärzte retten Menschenleben im Fünf-Minuten-Takt und Komissare fangen nach 90 Minuten jeden Schurken: Wie das Fernsehen unsere Berufsbilder beeinflusst.

Birgit Fritz

Ärzte retten Menschenleben im Fünf-Minuten-Takt. Anwälte halten heroische Plädoyers vor Gericht. Kriminalbeamte kommen dem Bösen in maximal 90 Minuten auf die Schliche. Gerichtsfilme, Krankenhaus-Serien und Krimis sind Fiktion - doch der vermeintliche Alltag auf dem Bildschirm prägt die Vorstellung der Zuschauer von bestimmten Berufen.

Cloony Emergency Room, dpa

George Cloony in Emergency Room: Leben retten im Fünf-Minuten-Takt.

(Foto: Foto: dpa)

Wissenschaftler der Universität Löwen in Belgien kamen bei einer Umfrage unter Schülern zu dem Ergebnis, dass Berufswünsche und Fernsehgewohnheiten eng zusammenhängen. So wollten zum Beispiel Jugendliche, die regelmäßig eine Serie über Fallschirmspringer sahen, viel eher eine militärische Laufbahn einschlagen. Auch eine Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) belegt, dass sich Berufswünsche bei einem Fünftel der Jugendlichen durch Medien ergeben.

Es wimmelt von Werbern und Designern

Fiktion und Realität der Arbeitswelt liegen allerdings weit auseinander. Das IAB ließ vor ein paar Jahren die Darstellung von Berufen im deutschen Vorabendprogramm untersuchen. In 65 Prozent der Filme kommt die Arbeitswelt nur am Rande vor, es wird nicht über berufliche Themen gesprochen. Bei der Hälfte nur Arbeitsmittel oder Berufskleidung gezeigt.

In der Welt der Soap-Operas sind fast 89 Prozent Dienstleistungsberufe, gut neun Prozent in der Fertigung und 1,5 Prozent technische Berufe. Vor allem Werber, Designer, Künstler, Kellner und andere Gastronomie-Beschäftigte tummeln sich in der täglichen Serienwelt.

Die Realität sieht hingegen so aus: Nur etwa 65 Prozent der Beschäftigten arbeiten in der Dienstleistungsbranche, 25 Prozent in der Fertigung und mehr als sechs Prozent im technischen Bereich.

"Verschiedene Studien zeigen, dass in TV-Serien das Realitätsbild verzerrt ist und bestimmte Berufsgruppen überrepräsentiert sind", sagt Constanze Rossmann, die über den Einfluss des Fernsehens auf die Realitätswahrnehmung ihre Doktorarbeit geschrieben hat. Vor allem prestigeträchtige Berufe wie Ärzte und Anwälte sind in Serien beliebt.

Berufe als Begleiterscheinung

Nach Studien des Instituts für empirische Medienforschung (IFEM) in Köln sind bei den fünf meistgenutzten Fernsehprogrammen ARD, ZDF, RTL, Sat 1 und ProSieben Berufe in der Ordnungs- und Sicherheitsbranche, in den Medien und im Gesundheitswesen am häufigsten. Dagegen sind Handwerk- und Industrieberufe nahezu bedeutungslos.

Berufe sind in Fernsehserien eher Begleiterscheinung oder Folge der Story. Probleme des Berufslebens wie geringe Bezahlung bei hoher Arbeitsbelastung werden kaum thematisiert. Auch über nötige Abschlüsse und Qualifikationen informieren die Sendungen nur selten.

"Wenn man betrachtet, welche Berufe die Helden haben und welche die Gegenspieler, kommt man einigen Klischees näher", sagt Udo Michael Krüger vom IFEM. Es ist erstaunlich, wie locker und entspannt der Berufsalltag in fiktionalen Sendungen zuweilen erscheint.

Kaffeekränzchen im Kreis der Familie

Beispiel Telenovelas: Angestellte in Führungspositionen oder Firmenchefs blättern in halbleeren Ordnern, gehen zum Mittagessen nach Hause und sind für das Kaffeekränzchen schon wieder im Kreis der Familie anzutreffen. Ärzte sind oft allwissend, so dass auch mal der Allgemeinmediziner im Operationssaal einspringt.

Serien schaffen und bestätigen Klischees, indem sie eher einseitige und realitätsferne Alltagswelten zeigen. "Die Fernsehunterhaltung hat ihre eigenen Gesetze der Berufsrollen und ihrer Klischees, die von den Genres und der Unterhaltungsfunktion bestimmt werden", sagt Krüger. Es würde die Produktionskosten sprengen, wenn man sämtliche beruflichen Sachverhalte auf ihre Plausibilität überprüfe und Berater hinzuziehe.

Auf der nächsten Seite: Warum Mediziner beim deutschen Publikum hoch im Kurs stehen.

Schöne heile Fernsehwelt

Stereotypisiert und idealisiert

Dagmar Ludewig vom Deutschen Ingenieurinnenbund hat den Rundfunkanstalten vor einiger Zeit vorgeschlagen, mehr Ingenieurinnen im Fernsehen auftreten zu lassen. Sie glaubt, dass dadurch mehr Frauen den Ingenieursberuf für sich entdecken würden. Ein Beleg hierfür kommt aus Belgien. Nachdem vor wenigen Jahren eine Serie über Innenarchitekten im dortigen Fernsehen ausgestrahlt worden war, stiegen die Anmeldungen für das Technikstudium.

Beim deutschen Fernsehpublikum sind gegenwärtig Mediziner-Serien wie "Grey's Anatomy" über junge Assistenzärzte in Seattle oder "Der Bergdoktor", der in einem Tiroler Dorf praktiziert, beliebt. Constanze Rossmann führte eine Studie zur Darstellung von Medizinern in Krankenhaus-Serien und ihren Einfluss auf das Arztbild von Patienten durch.

Sie durchleuchtete unter anderem die Ärzte von "Emergency Room" und das Team von "In aller Freundschaft". Das Ergebnis ist klar: Mediziner werden stereotypisiert und idealisiert. Immer arbeiten sie in einem großen, städtischen Krankenhaus oder in einer Kleinstadtpraxis und widmen sich mit viel Einfühlungsvermögen den Patienten.

"Die Ärzte in Serien sind alle überaus kompetent, geradezu unfehlbar", sagt Rossmann. "Sie heilen fast alle Patienten und hören sich die privaten Probleme an. Das steht im starken Gegensatz zu dem, was Ärzte wirklich leisten können."

In den acht untersuchten Krankenhaus-Serien ergaben sich weitere Realitätsdiskepanzen: Der Anteil der leitenden Ärztinnen ist höher als in der Realität, nahezu alle Ärzte waren sehr attraktiv, ehrlich und freundlich. Aspekte wie Arbeitsbelastung, Personalmangel, Finanznot und Schweigepflicht wurden kaum oder gar nicht thematisiert.

Ein schlecht gelaunter TV-Arzt

Für die Pilotstudie wurden auch Patienten bei der Ein- und Auslieferung in Krankenhäusern befragt. "Die Nutzung von Krankenhaus-Serien hat eine positivere Bewertung von Krankenhausärzten zur Folge", sagt Rossmann.

Vielseher bewerteten das medizinische Personal nach persönlicher realer Erfahrung im Krankenhaus negativer als zuvor. "Neuere Serien wie Dr. House wandeln das Bild ein wenig. Denn Dr. House ist ein schlecht gelaunter Arzt. Aber auch er ist besonders kompetent", sagt Rossmann.

Die jungen Ärzte von Grey's Anatomy machen auch mal Fehler. "Aber die Botschaft bleibt die gleiche: Ärzte sind Halbgötter in Weiß." Das führe zu utopischen Vorstellungen vom Arztberuf - auch was die Zeit angeht, über die Mediziner frei verfügen können. "Der Faktor Zeit wird häufig falsch gezeigt, gerade in deutschen Serien", sagt Rossmann.

Andererseits seien Serien, die realitätsnah sind, erwiesenermaßen weniger erfolgreich. "Die Zuschauer wollen eine heile Welt und suchen keine Realitätsnähe." Deshalb werden Tatort-Kommissare, Ärzte und Anwälte auch weiterhin spannende Fälle lösen, die nur entfernt etwas mit der Realität zu tun haben.

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