Süddeutsche Zeitung

Beruf: Zeugnisschreiber:Ich kenn dich nicht - aber ich bewerte dich

Profischreiber verfassen wasserdichte Beurteilungen - über Menschen, die sie noch nie gesehen haben. Der Beruf boomt, viele Personaler sind mit dem Schreiben von Arbeitszeugnissen überfordert.

T. Krieger

Welcher Personaler schreibt schon gern Zeugnisse? Genau, kaum einer. Das ist die Stunde der Spezialisten. Ihre Mission: Zeugnismuffel unter den Human-Resources-Verantwortlichen zu entlasten. Ihr Job: Zeugnisse schreiben für Menschen, die sie nicht kennen.

Eine von ihnen ist Jennifer Herbert aus Friedrichsdorf bei Frankfurt. "Gerade kleine Firmen sind oft damit überfordert, wasserdichte Zeugnisse zu schreiben", sagt sie. "Weil es nicht zu den Routinearbeiten in der Personalabteilung gehört, ist es günstiger, schneller und einfacher, den Job auszulagern."

Und bei großen Unternehmen? Besonders schnell muss es gehen, wenn dort Massenentlassungen anstehen und viele Zeugnisse auf einen Schlag fällig werden. Schließlich wollen sich die Betroffenen zügig auf eine neue Stelle bewerben. Auch dann kommen Profi-Schreiber wie Jennifer Herbert ins Spiel.

Auf den ersten Blick eine befremdliche Dienstleistung: Ein Zeugnis verfassen für Menschen, die man nie getroffen hat - geht das überhaupt? Dabei muss man bedenken, dass auch die Verantwortlichen in den Personalabteilungen großer Konzerne nicht jeden Mitarbeiter kennen. Und der direkte Vorgesetzte alle relevanten Informationen über Aufgaben, Betragen, persönliche Stärken und Eigenschaften auf einem Beurteilungsbogen übermittelt - oft nach Notenschlüssel. Herbert und ihre Kollegen gießen diese dann in die üblichen Floskeln "zur vollsten Zufriedenheit", "stets einwandfrei" oder "zu unserem großen Bedauern". Sprachlich nicht immer preisverdächtig, aber rechtlich unangreifbar.

Bevor der Auftrag unter Dach und Fach ist, müssen die Anbieter die Datenschutzerklärung der Firma unterschreiben. "Damit verpflichten wir uns, die Daten der Mitarbeiter nicht weiterzugeben und nach Projektabschluss zu löschen", sagt Birgit Kallenbach von Move Service in Frankfurt. Neben den Angaben im Beurteilungsbogen erhält sie danach Namen und Geburtsdatum der Mitarbeiter. "Allerdings wird das Geburtsdatum zunehmend gestrichen, wegen des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes." Lebenslauf oder Informationen über Abmahnungen und Fehltage bleiben unter Verschluss.

Bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hält man die Auslagerung der brisanten Informationen zumindest für bedenklich. Sprecher Jan Jurczyk räumt aber ein, dass das Bundesdatenschutzgesetz die sogenannte Auftragsdatenverarbeitung ausdrücklich vorsehe. Ähnlich ist es in der externen Lohnbuchhaltung seit vielen Jahren üblich. "Der Arbeitnehmer muss jedoch darüber unterrichtet werden, dass seine Daten von anderen Stellen weiterverarbeitet werden. Dies muss entweder die Personalabteilung oder der externe Dienstleister übernehmen", sagt Jurczyk.

Auch in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs können die Profi-Schreiber sich über mangelnde Aufträge nicht beklagen. Bei Jennifer Herbert ist das Geschäft stark gewachsen, viele Unternehmen strukturieren sich neu, fusionieren, tauschen ihre Führungskräfte aus. "Es ist viel Bewegung im Markt", sagt sie. Ähnlich beurteilt das auch Hans-Uwe Dahmen, der 60 Prozent der Umsätze in seiner "Zeugnisfabrik" in Duisburg mit Zwischenzeugnissen bestreitet.

Ein Zeugnis kostet zwischen 50 Euro für die einfache Ausführung und 350 Euro für Führungskräfte auf Englisch inklusive Karriereberatung, wie es die Firma Leaderspoint in Düsseldorf anbietet. Die Anbieter müssen nicht fürchten, dass ihr Geschäftsmodell wackelt. Angestellte haben einen gesetzlichen Anspruch auf ein Arbeitszeugnis. Und das wird auch so bleiben. Dennoch mehren sich die Stimmen, die an der Bedeutung des Dokuments zweifeln, weil es in seinem engen Korsett standardisierter Formulierungen zunehmend austauschbar wird.

Zu den Kritikern gehört Coach Markus Väth aus Nürnberg, der Personalfachleute und Manager berät. "Die Wichtigkeit hat abgenommen, denn Arbeitgeber wissen, dass nichts Nachteiliges im Zeugnis stehen darf", sagt er. Die entstandenen Codes seien heiße Luft, wer die Bewerbung prüfe, könne nie wissen, ob die Beschreibung der Realität entspreche.

Väth empfiehlt Jobsuchenden, zusätzlich Arbeitsbeispiele und Referenzen beizulegen. "Referenzen haben eine viel persönlichere Dimension als ein Zeugnis", so Väth. Drei Punkte seien hier wichtig: In welchem Bereich hat der Referenzgeber mit dem Bewerber gearbeitet? Was hat ihm fachlich imponiert? Was menschlich gefallen?

So lange Referenzen die Ausnahme bleiben und es keine verpflichtenden Vorschriften dafür gibt, sind ehrliche Beurteilungen möglich. Langfristig hält Zeugnis-Ghostwriter Hans-Uwe Dahmen aber auch hier Anpassungen an das deutsche Arbeitszeugnis für möglich. Vielleicht wird das eines Tages eine neue Einnahmequelle für ihn sein.

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Quelle:
SZ vom 18./19.12.2010/holz
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