Dieser Artikel ist Teil des Schwerpunktes Waffen in Deutschland . Zu diesem Thema haben die Volontäre - die angehenden Redakteure - der Süddeutschen Zeitung eine komplette Ausgabe der SZ am Wochenende produziert. An diesem Mittwoch folgen Beiträge zum Thema "Wie die Deutschen schießen".
Raketen? Raketen ist nicht ganz das richtige Wort, Raketen sind dumm im Vergleich zu den Flugkörpern, die Harald Buscheks großer Stolz sind: Diese Flugkörper, mit dem Siegel der süddeutschen Waffenschmiede Diehl Defence darauf, haben ein eigenes Gehirn, sie gucken aus scharfen, hochauflösenden Augen, sie haben blitzschnelle Reaktionen; und wenn sie vom Boden aus abgefeuert werden, lassen sie Flugzeuge und Helikopter am Himmel in Feuerbälle aufgehen, notfalls nach einer kurzen, auch kurvenreichen Verfolgungsjagd. Die Kunst von Harald Buschek, 48, besteht darin, Geräte vom Gewicht mehrerer Lastwagen zu konzipieren, auf denen diese Flugkörper angeordnet sind wie Orgelpfeifen.
Raketen, das waren einmal Geschosse, die nach dem Prinzip "Fire and forget" in die Luft gefeuert wurden: Sie machten sich selbständig, und sie machten selbständig ihre Fehler. Die Flugkörper hingegen, die Buschek heute baut, können vom Boden aus so lange kontrolliert werden, bis sie aufprallen, noch bis zur letzten Sekunde können sie innehalten und zurückgepfiffen werden, und wenn sie durch den Wind zu weit von ihrer vorgegebenen Route abkommen, zerstören sie sich von selbst. Mit solchen Waffen kann eine vorrückende Armee ihre Macht absichern. Wer diese Armee aber ist, wohin sie marschiert und mit welchem Recht? Ob sie ihre Feuerkraft zum Mord einsetzt oder für das glatte Gegenteil davon: für den Schutz bedrängter Zivilisten? Harald Buschek hat darauf dann längst keinen Einfluss mehr. Er weiß, dass seine Kunst eines Tages ihre tödliche Wirkung entfalten könnte. Alles andere - ist Hoffnung.
Also, ein schwieriger Beruf?
"Eigentlich nicht", sagt Buschek. Er wirkt sanftmütig, ein bisschen wie ein großer Junge, er trägt eine schöne rote Krawatte, und er kann mit großer Begeisterung und geradezu musikalischer Gestik erklären, wie er seine Konstruktionen immer effizienter, intelligenter, präziser macht. Mit offenen Armen lobt Buschek das große Team, mit dem er hier im baden-württembergischen Überlingen "Systeme" entwickeln darf, auf einem großen Firmencampus mit viel Glas und Grün. Er macht feine kleine Punkte mit den Fingern, wenn er die "Fähigkeitslücken" beschreibt, mit denen Kunden zu ihm kommen. Und er führt beide Hände freundlich zusammen, wenn er erzählt, wie dann "kreative Lösungen" entstehen.
In ganz Deutschland war kein anderer großer Waffenhersteller bereit, einen Entwickler wie Buschek vor das Mikrofon zu lassen. Das macht die Frage umso interessanter, ob dieser Stil wohl branchentypisch ist. Buscheks Produkt heißt wie ein Sportwagen, "Iris-T SL", und das Gespräch darüber klingt, als sei es tatsächlich einer. Irgendwo zwischen den druckreifen Sätzen, die Harald Buschek im sonnigen Firmenrestaurant mit Blick über den Bodensee formuliert, schafft er es, mit perfekten Tischmanieren ein Dreigängemenü zu verzehren.
Die Ethik des Waffenbauers? Buschek fragt freundlich und ernsthaft zurück, was sich sein Gegenüber denn jetzt an tiefschürfenden Antworten erhoffe. "Schauen Sie: Das sind Fragen, mit denen wir uns gar nicht befassen."
Gut, ein Beispiel. "Kreative Lösungen", wie Buschek sagt - ob die automatisch gut sind? Kreativ war auch die Erfindung der Streubombe, eines Sprengsatzes, der in kleine Sprengsätze zerfällt. Kinder werden neugierig, wenn sie die bunten Plastikstückchen auf dem Boden sehen, sie sehen aus wie Spielzeug. Buscheks Arbeitgeber Diehl zog 2009 gegen einen Journalisten vor Gericht, weil der fälschlicherweise behauptete, auch Diehl stelle ähnliche Waffen her. Das Unternehmen spricht von Submunition, und es bekam recht.
Oder die Handgranate DM51, die Diehl im Sortiment hat: Um einen Sprengkörper sind kleine Metallsplitter platziert. Bei der Explosion fliegen sie mehrere Meter durch die Luft. Kreativ. Muss man seine Ingenieurskreativität nicht eigentlich ständig zügeln, wenn man Waffen baut?
Buschek sagt: Es hänge alles von den Wünschen des Kunden ab, den Armeen in Europa, Amerika oder Arabien, die ein bestimmtes "Schutzbedürfnis" an ihn herantragen. Ethisch könne man sich entweder lange grämen oder eben alles auf diese einzige Frage reduzieren: Wer ist der Kunde und was hat er vor? Die Unterscheidung zwischen unanständigen Kunden und anständigen werde in Deutschland glücklicherweise zentral getroffen, durch den Staat, und Buschek sagt auch: "Mit den Leuten, die mir diese Verantwortung abnehmen, möchte ich nicht tauschen." Er sagt: abnehmen, nicht: teilen.
Buschek zählt die Regularien auf, die in Deutschland bestimmen sollen, dass Waffen nicht in die falschen Hände geraten. Er lobt den deutschen Rechtsstaat. Er sagt, dass die Bundeswehr eine Armee sei, um deren demokratische Werte und defensiven Charakter man sich nicht sorgen müsse. Dasselbe gelte für die US-Armee, weshalb man auch sie mit Feuerkraft versorgen könne. Natürlich, räumt er ein, sei nie auszuschließen, dass auch einmal etwas danebengeht. Dass die Amerikaner in einen Krieg ziehen, den man nicht für legitim hält, dass ein arabisches Regime Streit vom Zaun bricht, mit einem Nachbarn oder mit der eigenen Bevölkerung. Dass die Bundeswehr einen schrecklichen Fehler begeht.
Letztlich, sagt Buschek, sei es immer eine Abwägung: der Nutzen, den der Ingenieur stiftet, gegen die fatalen Fehler, an denen er seinen Anteil haben wird. Das klingt dann plötzlich doch nach einer recht großen Frage, die der Entwickler mit sich herumträgt, auch wenn es zwischen Spargelröllchen und Bodenseekulisse nicht so wirken will.
Grafik: Rüstungsmanager reisen mit Merkel & Co.
Von allen wichtigen Büros des Firmencampus aus hat man einen Blick über den See, hinüber zur Stadt Konstanz auf der anderen Seite. Kirchtürme wie kleine Streichhölzer. Eine andere Welt. Konstanz ist eine Studentenstadt. In Konstanz regiert ein grüner Oberbürgermeister. Es regiere, wie der Chef von Harald Buschek mitteilt, eine linke Kultur-Schickeria: alle sehr selbstgerecht, eine Diskussion lohne da nicht immer.
Diesseits des Bodensees hingegen, wo neben der Waffenschmiede Diehl noch der Kampfjet-Hersteller Cassidian und der Panzermotorenbauer Tognum sitzen, laufen die Diskussionen anders, auch an den Schulen. Wenn Buscheks siebenjährige Tochter fragt, was Papa in der Arbeit mache, dann sagt er: "So wie Silvesterraketen. Aber noch größer."
Buschek vermutet, dass sie in ein paar Jahren schwierigere Fragen stellen könnte. Doch dann werde sie auch alt genug sein, um eine schwierigere Antwort zu vertragen, eine Antwort, so komplex wie die Welt: Es gibt böse Menschen auf der Welt, und um diese davon abzuhalten, dass sie einem wehtun, muss man sich schützen. Dies ist die komplexe Antwort.
Als Buschek zum ersten Mal mit Raketen in Berührung kam, schrieb er gerade seine Doktorarbeit in den USA, die Nasa hatte sein Talent für Aerodynamik entdeckt und ließ ihn für gutes Geld Algorithmen schreiben, um Astronauten schneller nach Hause zu bringen. Bis einmal ein Auftrag der US-Armee kam. Es ging um die Steuerung von Kampfhubschraubern. Und wie reagiert ein junger Mann von nicht einmal 30 Jahren auf diese Bitte? Ein junger Deutscher zudem, der gerade erlebt, wie die USA den ersten Irak-Krieg führen, wie die Gewalt im Nahen Osten eskaliert, wie Saddam Hussein sich in einem Bunker aus deutscher Produktion verschanzt hält, wie er Israel mit Raketen beschießt und zudem mit Giftgas bedroht, auch dieses teilweise hergestellt mit deutscher Ingenieurskunst?
Der Flugkörper denkt mit
Es ist eine Zeit, in der sehr präsent ist, was Ingenieure anrichten können - und auch, wie durchlässig das deutsche Exportrecht sein kann. Wie er darauf reagiert habe, fragt Buschek zurück. Gar nicht besonders. Er erzählt von den technischen Herausforderungen. Die seien hochinteressant gewesen.
Es gibt eine technische Innovation, auf die Harald Buschek persönlich stolz ist, in Fachzeitschriften für Wehrtechnik wird sie gerade mit großer Anerkennung besprochen: Neuerdings können sich Flugkörper noch während des Fluges neue Informationen, die für einen Abbruch der Mission sprechen könnten, selbständig vom Boden holen. Technisch ist das ein Kunststück, und humanitär bedeutet es: Fatale Fehler könnte man so künftig besser vermeiden.
Heißt das, Buschek hat viel Geld in eine neue technische Entwicklung gesteckt, die eher für weniger als für mehr Schlagkraft sorgt? Ach was, sagt er. Diese Innovation war nicht seine Idee, sie war eben der Wunsch von Seiten eines Kunden, der Bundeswehr. "Dann geben wir natürlich unser Bestes."