Beruf Schuldnerberater:"Es gibt Leute, die kaufen jeden Mist"

Ein dickes Auto, eine übertrieben luxuriöse Wohnung und teure Reisen: Wenn Menschen um jeden Preis mithalten wollen, landen sie beim Schuldnerberater.

J. Osel

Peter Zwegat, ein Mittfünfziger mit dem Aussehen eines Finanzbeamten und kantiger Berliner Schnauze, hat sich binnen kürzester Zeit zu einer Fernseh-Kultfigur entwickelt. "Raus aus den Schulden" heißt seine wöchentliche DokuSoap beim Privatsender RTL. Darin besucht Zwegat Familien, um deren Schuldenberge zum Schmelzen zu bringen - mit enormem Erfolg bei den Einschaltquoten. Mögen die Verbindlichkeiten noch so hoch und die Lage schier ausweglos sein, Zwegat geht mit hochgekrempelten Ärmeln ans Werk.

Beruf Schuldnerberater: Peter Schubert: Der Münchner ist seit 20 Jahren Schuldnerberater.

Peter Schubert: Der Münchner ist seit 20 Jahren Schuldnerberater.

(Foto: Foto: Robert Haas)

An einem Flip-Chart moniert er anfangs streng das Einnahmen-Ausgaben-Verhältnis, und kaum laufen die Fernsehkameras, geschieht Wunder um Wunder: Gläubiger verzichten urplötzlich auf ihre Forderungen, der neue Job für den Schuldner kommt wie aus dem Nichts, und sogar die verfeindete Schwiegermutter räumt ihr Sparkonto, um bei der Entschuldung mitzuhelfen. Im besten Fall schlichtet Zwegat noch einen Ehekrach, bevor er - sein Köfferchen unter dem Arm - fröhlich die Familie verlässt. Für diese hat soeben ein neues Leben begonnen - ohne Gläubiger im Nacken.

Gecastete Klienten

Mit der Realität eines Schuldnerberaters habe die Fernsehsendung nur wenig zu tun, sagt Peter Schubert. Die Klienten seien vermutlich gecastet und die Gläubiger unter dem Druck der Kameras entgegenkommend. "Meine Arbeit ist wohl nicht einmal halb so spannend." Er muss es wissen: Seit 20 Jahren ist Schubert als Schuldnerberater für die Caritas in München im Einsatz und hat diese Einrichtung mit aufgebaut.

Ein paar Gemeinsamkeiten kann der Münchner schließlich doch erkennen. Er habe zwar kein Flip-Chart, aber die Gegenüberstellung von Ausgaben und Einnahmen steht auch bei seiner Beratung am Anfang. "Die Karten müssen auf den Tisch, damit der Aha-Effekt kommt", meint Schubert.

Armut und Überschuldung

Und auch bei der Ausbildung gibt es Ähnlichkeiten mit dem TV-Entschulder. Zwegat ist Sozialpädagoge, Schubert diplomierter Theologe und Pädagoge. "Es ist für Schuldnerberater sinnvoll, eine soziale Ausbildung zu haben", sagt er. Vorgeschrieben ist das allerdings nicht für einen Beruf, der angesichts zunehmender Armut und Überschuldung von Privathaushalten derzeit einen Boom erfährt wie nie zuvor.

Anfang der achtziger Jahre wurden in Deutschland erste Schuldnerberatungsstellen im Rahmen der sozialen Arbeit eingeführt, seitdem ist die Nachfrage stark gewachsen. Heute arbeiten laut Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung bundesweit in mehr als tausend Stellen etwa 1700 Berater. Mit der Einführung des Privatinsolvenzverfahrens mit anschließender Restschuldbefreiung im Jahr 1999 sind die Anforderungen an die Mitarbeiter erheblich gestiegen - vor allem im juristischen Bereich. Schuldnerberater haben in der Regel ein abgeschlossenes Studium der Sozialarbeit, Pädagogik, Wirtschafts- oder Rechtswissenschaften.

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"Es gibt Leute, die kaufen jeden Mist"

Lange Wartezeiten

Da Schuldnerberatung eine Pflichtaufgabe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ist, findet sie meist in Einrichtungen des öffentlichen Rechts, der Städte und Gemeinden, in kirchlicher Trägerschaft oder durch Verbände der freien Wohlfahrtspflege statt. Auch Kanzleien und private Anbieter gibt es - diese sind allerdings in der Regel nicht kostenlos.

Auch unseriöse Anbieter drängen in das Geschäftsfeld, locken beispielsweise mit unkomplizierten Sofortkrediten, die sich im Nachhinein als überteuert erweisen und die Lage nur verschlimmern. Verbraucherschützer warnen vor diesen Geschäftemachern, die oftmals mit bunten Anzeigen werben. Zulauf erhalten diese Anbieter dennoch. Denn weil die öffentlichen Stellen dem Andrang kaum gerecht werden, sind die Wartezeiten oft lang.

Hochbetrieb im Wartezimmer

Peter Schubert von der Caritas ist aktuell ausgebucht bis Ende Mai, sehr dringende Fälle, in denen etwa ein Wohnungsverlust bevorsteht, zieht er ausnahmsweise vor. Durchschnittlich 90 bis 100 Fälle betreut er pro Jahr, in der Münchner Caritas-Stelle sind es insgesamt etwa 300. Wobei neben den drei hauptberuflichen Kräften auch Ehrenamtliche eingesetzt werden - "für die schöneren Fälle", wie Schubert sagt, also Klienten, denen das Wasser nicht ganz so bis zum Halse steht und die weniger als zehn Gläubiger haben. Die harten Brocken bleiben bei Schubert.

Im Wartezimmer der Caritas-Stelle herrscht Hochbetrieb. Termin reiht sich an Termin, für Hausbesuche bleibt selten Zeit. Ein Mann platzt herein und fragt nach neuen Schuhen - er wird an die Kleiderkammer verwiesen. Auch sonst gibt es einen heißen Draht zu den Kollegen im Haus - bei Wohnungsverlust oder Drogenproblemen hält man nicht nur die Schulden im Blick.

Am Rande der Armut

Aktuell bearbeitet Schubert eine 300.000 Euro-Aufgabe. Nach dem Fall der Mauer hatte seine Klientin zusammen mit ihrem Mann in Ostdeutschland in Bauprojekte investiert - und bei der Bank dafür gebürgt. Der Gatte starb an einem Herzinfarkt. Die Frau wusste nicht genau, wofür sie gebürgt hatte, die Sache stieg ihr schnell über den Kopf. Seither ist die 60-Jährige nicht mehr auf die Beine gekommen und lebt von Hartz IV.

Alles, was sich verwerten ließ, hat Berater Schubert mittlerweile berücksichtigt: restliches Vermögen, Immobilien, Bürgschaften der Familie. Inzwischen ist die Klientin heillos zerstritten mit den Verwandten, lebt am Rande der Armut, der Gerichtsvollzieher muss immer wieder tatenlos abziehen - es gibt schlichtweg nichts zu holen bei ihr. "Die Frau schämt sich fürchterlich und kann eigentlich nicht direkt etwas dafür", sagt Schubert. Als letzter Weg bleibt nun die Privatinsolvenz: damit die Frau wenigstens im Alter halbwegs sorgenfrei ihr Leben bestreiten kann.

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"Es gibt Leute, die kaufen jeden Mist"

Die Schwelle sinkt

Die harten Fälle aus Schuberts Kartei haben sich in der Regel verspekuliert oder als Selbständige "irgendetwas in den Sand gesetzt", zwei Millionen Euro war die Rekord-Schuld, mit der es Schubert in 20 Jahren zu tun hatte. Selbst wenn es oftmals Tränen in seinem Büro gebe, Schuberts Motto lautet: professionelle Distanz zu wahren. "Ich bin da eher handwerklich orientiert", meint der Schuldnerberater. Auch wenn manche Fälle einfach nur ärgerlich sind, weil sich die Klienten unverantwortlich verhalten haben: "Es gibt Leute, die kaufen jeden Scheiß, ohne zu überlegen" - erst recht, da durch Raten und Kreditangebote von Autohäusern, Reiseanbietern oder Elektromärkten die Schwelle zur Verschuldung immer mehr sinke.

Derzeit berät Schubert auch eine junge Familie, die "immer und überall mithalten wollte": ein Auto, das ein bis zwei Nummern zu groß fürs Budget ist, eine übertrieben luxuriöse Wohnungseinrichtung oder teure Reisen. Irgendwann werde dann die Kostenlawine zur Schuldenfalle. "Früher wurde der Status über das Sozialgefüge und den Beruf bestimmt. Heute scheinen Statussymbole wichtiger zu sein. Wer will, kann wie der große Maxe auftreten"', sagt Schubert kritisch.

Sind die Klienten so hoch verschuldet, dass überhaupt kein Ausweg in Sicht ist, läuft Schuberts Arbeit meist auf eine Privatinsolvenz zu. Gibt es Lichtblicke, beginnt der Papierkrieg: Klarheit schaffen, Gläubiger anschreiben, Vergleiche ermöglichen - kurz: Lösungen finden, die für Schuldner und Gläubiger machbar und akzeptabel sind. In Schuberts Büro stapeln sich Akten und Ordner. Einen Tag pro Woche verbringt er ausschließlich mit dem mühsamen Schriftverkehr mit Gläubigern. Im Fernsehen, beim prominenten Berater Zwegat, gibt es derlei nicht zu sehen.

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