Berliner Universitäten:Arm, aber schlau

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In Berlin tröstet man sich über die Armut damit hinweg, dass man sexy sei - und schlau. Die Unis sind attraktiv für Studenten und Wissenschaftler aus aller Welt - noch.

C. Burtscheidt und T. Schultz

In Berlin tröstet man sich über die Armut der Stadt damit hinweg, dass man zumindest sexy sei - und schlau. Die Universitäten sind attraktiv für Studenten und Wissenschaftler aus allen Weltregionen, in Berlin forschen viele renommierte Professoren. Und doch leiden sie seit Jahren unter der prekären Haushaltslage; mehr als 70 führende Forscher aller Fachrichtungen appellierten vor kurzem an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), den Hochschulen in den kommenden Jahren jährlich 175 Millionen Euro mehr zu geben. Das, sagen sie, würde gerade so reichen, um die steigenden Kosten zu decken.

Bildungsstreik in Berlin: Die Universitäten in der Hauptstadt mussten in der Vergangenheit drastische Sparrunden bewältigen. (Foto: Foto: ap)

Mit flotten Sprüchen geärgert

Rückenwind gibt ihnen der Bildungsstreik der Studenten, der vergangene Woche Zehntausende auf die Straße trieb. An diesem Montag und Dienstag können Wowereit und der Senat beweisen, wie viel ihnen die Wissenschaft wert ist: Sie treffen sich zur Haushaltsklausur; dort entscheidet sich, welche Spielräume es für die Uni-Etats noch gibt.

Als der frühere Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) Ende April zur Bundesbank wechselte, schöpfte man an den Hochschulen die Hoffnung, nun könnte vielleicht alles leichter werden, auch für den Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD). Sarrazin hatte eisern gespart und die Berliner mit flotten Sprüchen geärgert. Arm, aber schlau? Bayerische Schulabbrecher wüssten mehr als Berliner mit Abschluss, frotzelte Sarrazin. Aber als er ging, rief er den Berlinern zu: "Ihr werdet mich noch vermissen!"

In Schulen regnet es durchs Dach

Der Glaube, Sarrazins Nachfolger Ulrich Nußbaum (parteilos) werde freigebiger sein, ist tatsächlich schnell verflogen. Zu einer ersten Machtprobe kam es mit der Charité, der Uni-Klinik, die Humboldt-Universität und Freie Universität (FU) gemeinsam betreiben. Vorige Woche ließ der Finanzsenator den Charité-Chef Karl Einhäupl wissen: Bis Herbst müsse er ein Gesamtkonzept vorlegen, ansonsten übernehme das der Senator. Einhäupl reagierte empört: Ein Konzept liege doch längst vor.

Entzündet hat sich der Streit an einem Bauprojekt. Seit langem ist klar, dass ein Charité-Gebäude in Berlin-Mitte saniert oder neu gebaut werden muss. Die Sanierungskosten wurden zunächst auf 129 Millionen Euro geschätzt, neue Berechnungen erwarten 260 Millionen Euro; ein Neubau könnte 347 Millionen kosten. Nußbaum weigert sich, so viel zu genehmigen, er will nur 159 Millionen Euro für eine Renovierung ausgeben, gestreckt auf vier Jahre und für alle vier Charité-Standorte. Er könne der Charité kein schönes Krankenhaus bauen und den Steuerzahlern erklären, warum es in den Schulen durchs Dach regne, sagt der Senator. Auch ins Klinikum regne es herein, kontert Einhäupl. Und überhaupt dürfe man Schulen und Hochschulen nicht gegeneinander ausspielen.

Auf der nächsten Seite: Warum man an der FU und der Technischen Universität Zöllners "Preismodell" noch mit Skepsis betrachtet.

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175 Millionen Euro ohne Gegenleistungen

Für Nußbaum ist der Streit eine gute Gelegenheit, sich als harter Brocken und konsequenter Sparer zu zeigen - und so auf der anderen Seite Forderungen des Bildungssenators Zöllner nach höheren Uni-Etats nachzugeben. Zöllner will ein neues Finanzierungsmodell durchsetzen, das den Hochschulen etwa 140 Millionen Euro mehr im Jahr in Aussicht stellt. Gebunden ist der Zuwachs allerdings an bestimmte Leistungen wie höhere Studentenzahlen und eingeworbene Forschungsprojekte.

Selbst wenn die Unis das nicht schaffen und beim Status quo bleiben würden, hätten sie nach seinem Modell 110 Millionen Euro zusätzlich, verspricht Zöllner. "Mehrbelastungen müssen ausgeglichen werden, dazu stehe ich", sagt er und verweist unter anderem auf einen auslaufenden Tarifvertrag, der die Unis im kommenden Jahr zu höheren Gehaltszahlungen zwingen wird. Der Forderung nach 175 Millionen Euro ohne Gegenleistungen kann und will Zöllner jedoch nicht folgen. Er kämpft nun an zwei politischen Fronten, mit dem Finanzsenator auf der einen und den selbstbewussten Uni-Chefs auf der anderen Seite. Die Ansprüche der Charité könnten da als erstes geopfert werden.

Den Leistungsvorgaben ausgeliefert

An der FU und der Technischen Universität betrachtet man Zöllners "Preismodell" noch mit Skepsis. Der Plan, von globalen Zuschüssen abzurücken und etwa zwei Drittel der Mittel an Leistungen zu koppeln, empfinden viele als Rückkehr zu einer staatlichen Detailsteuerung. Zöllner hingegen sieht einen Zugewinn an Autonomie für die Unis und betont, sein Modell sei "im Prinzip nach oben offen". Soll heißen: Wenn alle besser werden, bekommen auch alle Unis mehr Geld. Bei der sogenannten leistungsbezogenen Mittelvergabe, die es in verschiedenen Varianten bundesweit gibt, hat oft nur der relativ Beste Vorteile, auch wenn sich alle gesteigert haben.

Vor allem an der FU gibt es Widerstände, FU-Präsident Dieter Lenzen möchte sich nicht den Leistungsvorgaben des Senators ausliefern. Der Präsident der Humboldt-Universität, Christoph Markschies, zeigt sich deutlich offener. Zöllner habe "frischen Wind gebracht", und zum ersten Mal seit Jahren sei nun zumindest ein nennenswerter Aufwuchs der Mittel in Sicht, sagt Markschies. Selbst wenn der Wunsch nach einem Plus von 175 Millionen Euro nicht vollständig erfüllt werde, sei Zöllners Konzept "vertretbar". In der Wirtschaftskrise seien höhere Ausgaben schwer durchsetzbar. Markschies versteht aber auch, dass viele Studenten und Wissenschaftler misstrauisch auf die Vorlagen des Senats reagieren: "Was ist nicht schon alles versprochen worden!" Und dann habe es Sparrunden gegeben. In Berlin, sagt Markschies, sind die Verwundungen groß.

© SZ vom 22.6.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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