Bericht des Berufsverbands Deutscher Psychologen:Arbeit, die krank macht

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Ängste, Depression, Burn-out: Ihr Job macht immer mehr Menschen psychisch krank. Psychologen haben untersucht, welche Ursachen das hat - und erhoben, wer besonders gefährdet ist.

Sarina Märschel, Berlin

Die Zeit rennt davon, der Vorgesetzte nörgelt, die Firma droht mit Arbeitsplatzabbau: Kaum jemand, der nicht über Stress im Job klagt. Und die meisten klagen zu Recht.

Mitarbeitern macht es zu schaffen, wenn sie keinen Sinn in ihrer Tätigkeit sehen und Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Manche belastet es so sehr, dass sie krank werden. (Foto: Foto: Getty Images)

Der Bericht des Berufsverbandes Deutscher Psychologen (BDP) zur psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz ist alarmierend: "Die Arbeit intensiviert sich, es herrscht ein höherer Zeit- und Arbeitsdruck. Die Belastungen verschieben sich von körperlichen hin zu psychischen", fasst Thomas Rigotti, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Uni Leipzig, die Beobachtungen zusammen.

Die Autoren, die ihren Bericht am Dienstag in Berlin vorgestellt haben, diagnostizieren eine wachsende psychische Belastung der Arbeitnehmer durch diese Veränderungen in der Arbeitswelt: Berufstätige kommen gereizt nach Hause, können abends und am Wochenende nicht mehr abschalten. Auf Dauer macht das krank.

Zwischen 2001 und 2005 stieg der Anteil von Verhaltens- und psychischen Störungen an den Ausfalltagen um 59 Prozent. Damit geht mehr als jeder zehnte Fehltag auf psychische Störungen zurück. Vor allem bei 20- bis 30-Jährigen nahmen psychische Erkrankungen in den vergangenen Jahren rapide zu.

Was macht krank?

"Die modernen Feinde der Gesundheit sind Vertrauensverlust und Flexibilitätsanforderungen", sagt Thomas Rigotti. Er führt als Beispiel die Videoüberwachung von Mitarbeitern an, wie sie der Discounter Lidl durchgeführt hat. "Dabei ist Vertrauen der Kleb- und Treibstoff von Beziehungen, auch von Arbeitsbeziehungen."

Im Zeitalter der Globalisierung gehört Flexibilität wie selbstverständlich zu vielen Stellenprofilen. Doch häufig überfordere der Anspruch die Arbeitnehmer: Wohnortwechsel, Fernbeziehung, Wochenendarbeit, Überstunden - Arbeit diktiert die Bedingungen für Freizeit und Privatleben. Der Mensch muss sich anpassen, doch das funktioniert auf Dauer nicht bei jedem.

Die Ursachen für die Erkrankungen liegen den Autoren des Berichts zufolge auch in Zeit- und Erfolgsdruck, in mangelnder Wertschätzung und defizitärem Führungsverhalten. Mitarbeitern mache es außerdem zu schaffen, wenn sie keinen Sinn in ihrer Tätigkeit sehen und Angst um ihren Arbeitsplatz haben.

Im zweiten Abschnitt: welche Berufsgruppen besonders von psychischen Erkrankungen betroffen sind.

Lokführer und Mediziner gefährdet

Besonders gefährdet sind Lehrer, Ärzte und Lokführer. 24 Prozent der Lehrer werden frühpensioniert - die Hälfte davon aufgrund von psychischen Erkrankungen. Die Ursache dafür liege häufig in der fehlenden Balance zwischen Können, Sollen und Wollen, fasst Helmut Heyse, Experte für Lehrergesundheit, seine Analyse zusammen. Viele Pädagogen würden sich außerdem mit ihrer Aufgabe überidentifizieren. Hätten sie aber nur noch Schule im Kopf, sei das der Gesundheit wenig zuträglich.

Auch um die psychische Gesundheit von Medizinern steht es nicht gut: Mindestens 20 Prozent der Ärzte leiden an einem Burn-out-Syndrom - eine Folge der beruflichen Überforderung und mangelnden Stressbewältigung. Bei Medizinerinnen ist die Suizidrate im Vergleich zur Gesamtbevölkerung fünf Mal höher.

Lokführer gehören aufgrund von Schockerlebnissen zur Risikogruppe: Jeder Zugchef erlebt während seines Berufslebens laut Statistik zwei Unfälle, meist Suizide. Unter diesen Erlebnissen leidet er ein Leben lang: Das dadurch ausgelöste psychische Trauma ist kaum zu überwinden.

Arbeitsplatzverlust macht depressiv

Nicht nur Arbeit kann krank machen, sondern auch Arbeitslosigkeit. Eine Studie der Gmünder Ersatzkasse stellte eine vierfach erhöhte Sterblichkeit bei Menschen fest, die länger als zwei Jahre arbeitslos waren. Der Einwand, dass kranke Menschen eher arbeitslos werden, stimmt zwar - Arbeitslose werden laut Metastudien aber auch häufiger krank: "Sie sind besonders anfällig für psychische Störungen", sagt Psychologieprofessor Brähler. Besonders groß sei die Gefahr, depressiv zu werden.

Nach Schätzungen des BDP werden depressive Verstimmungen bereits im Jahr 2020 nach Herzerkrankungen an zweiter Stelle in der Liste der Krankentage stehen. Muss das so kommen? Die Vertreter des Berufsverbandes Deutscher Psychologen halten viele psychische Erkrankungen für vermeidbar. Neue Arbeitsbedingungen verlangten neue Fähigkeiten. Und die könne man zumindest teilweise trainieren.

Außerdem könnten Strukturen in Unternehmen gesundheitsfördernd gestaltet werden. Allerdings müssten die Firmen dazu die Probleme ihrer Mitarbeiter ernst nehmen. Davon sind die meisten Konzerne noch weit entfernt: "Viele Unternehmen wissen bislang leider gar nicht, wie es den Mitarbeitern geht", bedauert Julia Scharnhorst vom BDP. Gründe für Fehlzeiten würden bislang häufig nicht einmal erhoben - geschweige denn, dass die Ursachen bekämpft würden.

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