Berufswechsel und Quereinstieg:Umweg zum Traumjob
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Von Felicitas Wilke
Im Grunde waren es ihre heiratsfreudigen Freunde und Verwandten, die Christina Glaser zum Umdenken bewegten. Gebacken habe sie zwar schon immer gerne, sagt die 25-Jährige, doch als sie sich für Hochzeiten im Freundeskreis an immer anspruchsvollere Tortenkreationen wagte, wuchs der Gedanke in ihr, das Hobby zum Beruf zu machen. Wenn Glaser Teig rührt, Früchte schnippelt und aus buntem, zuckrigem Fondant Rosen und Schleifen formt, "dann entdecke ich bei mir eine Geduld, die ich sonst eigentlich nicht habe". Glaser studiert Englisch und Informatik fürs Lehramt. Doch nach Ende ihres Studiums in anderthalb Jahren will sie eine Ausbildung dranhängen - zur Konditorin.
Es gibt keine Statistik darüber, wie viele Deutsche jedes Jahr den Sprung in eine neue Branche wagen. Dass es vielen Menschen ähnlich geht wie Christina Glaser, lässt aber die Vielzahl von Beratern und Coaches erahnen, die im Internet dafür werben, Menschen zu einem neuen Traumjob zu verhelfen.
Lebensabschnittsjob statt klassischer Lebenslauf
Andrea Gutmann ist eine von ihnen. Vor einigen Jahren kündigte sie ihren Job als Personalchefin in einem internationalen Konzern und machte sich mit ihrer Beraterfirma selbständig. "Ich hatte selbst das Gefühl, dass das noch nicht alles gewesen sein kann", sagt sie. Gutmann wagte den Schritt in die Selbständigkeit und machte ihre berufliche Sinnsuche zur neuen Aufgabe.
"Klassische Lebensläufe werden heute durch Lebensabschnittsjobs ersetzt", ist Gutmann überzeugt. Einige Jahre lang seien viele im gelernten Job zufrieden, aber viele Menschen kämen früher oder später an den Punkt, etwas Neues machen zu wollen. Für die Personalfachfrau hat das zwei Gründe: Einerseits wandele sich der Arbeitsmarkt heute viel schneller als früher, einige Berufsbilder verschwinden mit der digitalen Revolution, neue kommen hinzu. Andererseits sehen Gutmann zufolge viele Menschen in ihrem Job nicht mehr nur den bloßen Broterwerb. "Heute sind wir auf der Suche nach der beruflichen Erfüllung", sagt sie.
"Etwa die Hälfte kommt mit konkreten Vorstellungen"
Auch zur Agentur für Arbeit kommen immer mehr Menschen, die zwar einen Job haben, sich aber in eine neue Richtung orientieren wollen. "Gerade Kollegen, die geisteswissenschaftliche Berufe betreuen, haben mehrmals die Woche mit solchen Fällen zu tun", sagt Olga Saitz, die bei der Agentur in München als akademische Arbeitsvermittlerin arbeitet.
Manche Umsteiger haben einen Burn-Out hinter sich, andere wollen präventiv reagieren - und wiederum andere fühlen sich schlicht im falschen Job. Es ist und bleibt das Kerngeschäft der Arbeitsagenturen, Arbeitssuchenden zu helfen. Daher können die Umsteiger, die noch einen festen Job haben, nicht auf finanzielle Unterstützung wie einen Gründerzuschuss hoffen. Auf Beratung aber schon.
Mit den Umsteigewilligen macht Saitz zunächst einmal eine Situationsanalyse. "Etwa die Hälfte kommt mit konkreten Vorstellungen zu uns, in welche Richtung es gehen soll", sagt sie. Aus der Qualifikation der Menschen, den persönlichen Stärken und Schwächen sowie den eigenen Zielen leiten Saitz und ihre Kollegen Empfehlungen ab. "Wenn es sehr langwierig ist, die notwendige Qualifikation zu erlangen oder die Jobaussichten schlecht sind, dann raten wir auch mal ab", sagt sie.
Auch Andrea Gutmann warnt ihre Kunden, wenn sie das Gefühl hat, dass sie sich verrennen: "Manche Menschen würden sich gerne selbständig machen, aber nicht jeder ist dafür gemacht", sagt die Beraterin. Dann rate sie dazu, Selbstbestimmtheit anders zu erlangen, zum Beispiel in einem kleinen Team.
Gutmann will sich in der Beratung vom Lebenslauf der Ratsuchenden lösen. "Wir gehen mit den Kunden auf die grüne Wiese", erklärt sie. Die Beraterin klopft mit den Umsteigern Interessen und Stärken, aber auch das eigene Wertesystem ab. Nicht immer rät Gutmann zum Jobwechsel.
So gewann eine Frau die Freude an ihrer Arbeit zurück, indem sie vom Land in die Stadt zog und in ihrer Freizeit mehr Kultur genießen konnte. In einem Großteil der Fälle empfiehlt die Beraterin den Ratsuchenden aber einen Wechsel. Aus einer Bankerin wurde eine Physiotherapeutin, aus einem Frühstückskellner ein Biobauer. "Oft sind die Menschen gefangen in ihren Lebensläufen", stellt Gutmann fest. Um zu erfahren, was überhaupt möglich ist, könne der Blick von außen hilfreich sein.
Auch einige Ältere wagen den Wechsel
Es sind nicht nur junge Leute wie Christina Glaser, die daran zweifeln, den richtigen beruflichen Weg eingeschlagen zu haben. Die Menschen, die zu Andrea Gutmann oder Olga Saitz in die Beratung kommen, sind oft erfahrene Arbeitnehmer. "Ich habe immer mehr Kunden jenseits der 50 oder 60", sagt Gutmann. Man müsse realistisch sein, "auf dem klassischen Arbeitsmarkt sinken mit steigendem Alter die Chancen, eine Stelle zu finden". Einige Ältere wagten aber noch mal einen wohlgeplanten Wechsel, den Schritt in die Selbständigkeit oder fänden eine Lehrtätigkeit, berichtet die Beraterin.
Einige Unternehmen setzen jedoch ganz bewusst auf altersgemischte Teams und bieten erfahrenen Quereinsteigern eine Chance. Sabine Keller drückte im Alter von 51 Jahren noch mal die Schulbank und machte bei der ING Diba eine Ausbildung zur Bankassistentin. Nach der Trennung von ihrem Mann wollte die einstige Kunstgeschichtestudentin, Hausfrau und Büroangestellte einen Neuanfang und wurde auf das Angebot der Bank aufmerksam.
"Es war schon anstrengend, sich wieder ganz neu in ein Thema einzuarbeiten", sagt die heute 54-jährige Mutter von vier Kindern. Ein Jahr lang lernte sie in einer Klasse mit anderen 50-plus-Azubis Theorie und Praxis im Bankgeschäft kennen. Seit zwei Jahren ist sie jetzt fest im Bereich der Baufinanzierung angestellt. "Es hat sich gelohnt, noch mal etwas komplett anderes zu machen", sagt Keller.
Quereinstieg schrittweise
Bank-Azubi Keller stieg direkt Vollzeit in die neue Ausbildung ein. Es gibt aber auch andere Modelle, sagt Beraterin Gutmann. Manchmal funktioniere der Quereinstieg schrittweise, indem man zum Beispiel parallel stundenweise im alten Job arbeitet und für die neue Aus- oder Fortbildung büffelt.
Christina Glaser hat vor einigen Wochen ein Praktikum in einer Konditorei absolviert und fühlt sich seitdem in ihrem Traum bestärkt, Konditorin zu werden. Ihr Studium will sie trotzdem noch abschließen. "Vielleicht kann ich irgendwann beides verbinden und neben der Arbeit in der Konditorei an der Berufsschule lehren", sagt Glaser. Menschen etwas beizubringen, mache ihr schließlich Spaß. Nur Informatik und Englisch müssten es nicht sein. Lieber, wie man die perfekte Torte backt.