Berater als Strippenzieher:Zahlen zählen, sonst nichts

Wer bekommt das Budget, wer steigt auf, wer muss gehen? Wenn Chefs sich vor Entscheidungen drücken, engagieren sie Berater.

Von Dietmar Fink und Bianka Knoblach

Es ist ein weitverbreitetes Missverständnis: Unternehmensberater, so hört man oft, seien die heimlichen Strippenzieher im Schattenreich der deutschen Wirtschaft. In ihren fein gesponnenen Netzwerken dirigieren sie die wichtigsten Konzerne der Republik, und ihre Seilschaften sorgen dafür, dass in den Chefetagen die entscheidenden Führungspositionen auch in Zukunft immer wieder mit ihren Gefolgsleuten besetzt werden.

Logo Roland Berger

Roland-Berger-Logo: Menschen in der Organisation sind eine Gefahr für die Berater.

(Foto: Foto: dpa)

Möchte man hierin zumindest ein Körnchen Wahrheit finden, dann muss man es wohl unter der Rubrik "Es war einmal" suchen. Denn wenn überhaupt, dann galten die besagten Strukturen nur für einige auserwählte Berater: die McKinsey-Legende Herbert Henzler etwa oder den Grandsenior der deutschen Beraterzunft, Roland Berger. Letzterer hat sich mittlerweile aus dem Berateralltag zurückgezogen. Und auch das einst so solide McKinsey-Netzwerk ist grobmaschiger geworden. Das Ende der Deutschland AG, die zunehmende Einflussnahme angelsächsischer Private-Equity-Firmen und ein immer schnelleres Personalkarussell mit einer immer kürzeren Regentschaft von Vorständen und Aufsichtsräten machen es heute schwer, stabile Strukturen aufzubauen.

Und so müssen sich nun auch die ganz Großen der Branche mit einer Tatsache abfinden, die nicht nur für die vielen kleinen Berater seit jeher zur bitteren Realität gehört: Nicht sie ziehen die Strippen, nein - sie werden gezogen. Gezogen und gedrückt, gerade so, wie es sich für die Zwecke des Auftraggebers am besten eignet.

Geschickte Manipulation

Bevor wir auf diesen leidigen Punkt zurückkommen, wollen wir uns kurz einem zweiten Irrglauben zuwenden: Die Methoden der großen Berater gelten als objektiv und unantastbar. Sie arbeiten ausschließlich auf der Basis harter Fakten. Und Fakten, diese Meinung ist in der Branche weit verbreitet, sind letztendlich immer quantifizierbar. Zahlen zählen, sonst nichts. Und so schätzt man Nenner, schätzt man Zähler und rundet das Ergebnis auf die dritte Stelle hinter dem Komma. Wer Fakten so versteht, läuft Gefahr, ein ganz entscheidendes Faktum zu übersehen: den Mensch.

Zugegeben, diese Erkenntnis ist nicht neu. Doch wenn es in der Wirtschaft menschelt, dann meist mit Phrasen wie "Betroffene zu Beteiligten machen" oder literarisch feinsinniger: "Wenn du ein Boot bauen willst, dann trommle nicht die Menschen zusammen und gib ihnen Holz, Hammer und Nägel, sondern erzähle ihnen von der Weite des Meeres."

Schön und gut. Doch die Menschen in einer Organisation sind nicht nur bemitleidenswerte Geschöpfe, die sich nach einer artgerechten Haltung sehnen und sich durch eine geschickte Manipulation letztendlich doch in die gewünschte Richtung lenken lassen. Die Menschen in einer Organisation sind vor allem eines: Sie sind eine Gefahr. Eine Gefahr für Berater, die befürchten müssen, für persönliche Zwecke instrumentalisiert zu werden und sich zwischen den Fronten, die von rivalisierenden Karrierewegen gezogen werden, aufzureiben.

Denn Organisationen sind keine Kästchen auf einem Blatt Papier. Organisationen sind die reale Heimat heftiger Auseinandersetzungen, heimlicher Absprachen und Mauscheleien, gefährlicher Spiele mit wechselnden Spielern, Strategien, Regeln, Bündnissen und Koalitionen. Bereits in den siebziger Jahren sahen Forscher der Harvard Business School in rivalisierenden strategischen Initiativen, die um die Aufmerksamkeit und die knappen Ressourcen des TopManagements buhlen, den wesentlichen Antrieb für das Vorankommen eines Unternehmens.

Auf der nächsten Seite: Welche Machtkämpfe im Schatten der Projekte schwelen.

Zahlen zählen, sonst nichts

So kann es kaum verwundern, dass Berater nicht immer ohne Hintergedanken beauftragt werden. Im Schatten ihrer Projekte schwelen oft grundlegende Machtkämpfe, und die Beteiligten versuchen mit allen Mitteln, die externen Experten auf ihre Seite zu ziehen. Nicht jeder bekennt sich dabei offen zu seinen Zielen und Interessen. Man schafft vielmehr Fakten, ohne eine Möglichkeit zur Prüfung oder Diskussion. Der Berater wird mit angeblich objektiven Informationen versorgt, die die eigene Position stützen und die der Gegenseite schwächen. Denn man braucht ihn, um kritische Entscheidungen durchzusetzen und um unbequeme Konsequenzen zu vertreten. So schützt man sich selbst, vor allem dann, wenn man mit der eigenen Initiative scheitert, vor einem persönlichen Ansehensverlust im Kreise seiner Kollegen.

Feigheit vor dem Freund ist nicht selten das Motiv, um einen Berater zu engagieren. Wer bekommt das Budget, wer wird befördert, wer muss gehen? Es sind unliebsame Entscheidungen wie diese, vor denen sich so manch gestandene Führungskraft nur allzu gerne drückt. Und so engagiert sie den Unternehmensberater als Schiedsrichter, als Zünglein an der Waage. Als Handlanger für die dunkle Seite des eigenen Ichs.

Im Hintergrund vieler Beratungsprojekte geht es nicht um die Sache, was immer die Sache auch sein mag, sondern um den Rangplatz der persönlichen Bedeutsamkeit. Nicht darum, wer Recht hat, sondern vielmehr darum, wer Recht bekommt. Ein Berater, der sich an den objektiven Fakten orientiert, kann diese für ihn banalen Probleme häufig nicht verstehen. Sie erwecken bei ihm allenfalls den Eindruck einer unerklärlichen Inkompetenz. Doch gerade hierin liegt eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Die Gefahr, manipuliert und benutzt zu werden.

Um nicht missverstanden zu werden: Es gibt viele gute Gründe für den Einsatz von Beratern. Routine und Betriebsblindheit etwa, mangelnde fachliche Expertise, Zeit- und Ressourcenengpässe, wirtschaftliche Schieflagen oder bloße unternehmerische Neugier. Objektiv betrachtet bergen Berater ein phantastisches betriebswirtschaftliches Potential. Doch wer ist schon objektiv, wenn es um die eigene Karriere geht?

Professor Dietmar Fink ist Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Managementforschung (DGMF) in Bonn und Professor für Unternehmensberatung an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg.

Bianka Knoblach ist Prokuristin der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management und Beratung (WGMB) in Bonn.

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