Bekämpfung des Fachkräftemangels:Bloß nicht über Zuwanderung reden

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"Die stärkste Bedrohung für Wohlstand und Wirtschaft in Deutschland": Um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, müssen Arbeiter aus dem Ausland angeworben werden. Das will die Bundesregierung aber nicht laut sagen - um CSU und Gewerkschaften nicht zu verprellen.

Roland Preuß und Claus Hulverscheidt

Die Bundesregierung fasst das Thema immer noch mit spitzen Fingern an, das wird schon am Titel deutlich: "Konzept Fachkräftesicherung" ist das Papier aus dem Arbeitsministerium überschrieben - das Reizwort Zuwanderung sucht man vergebens. Wochenlang haben das Kanzleramt und die beteiligten Ministerien um den Inhalt gerungen, an diesem Mittwoch soll das 32 Seiten starke Werk nun endlich vom Kabinett verabschiedet werden. Anschließend will Kanzlerin Angela Merkel im brandenburgischen Schloss Meseberg darüber mit Spitzenvertretern von Arbeitgebern und Gewerkschaften beraten. Ihr Ziel: Auf die Erfordernisse der Wirtschaft eingehen, ohne die Wähler durch allzu viele unpopuläre Zuwanderungsforderungen zu verschrecken.

(Foto: SZ Grafik)

Den Zahlen des Arbeitsministeriums zufolge geht es um nicht weniger als die Leistungskraft der deutschen Wirtschaft: Das Potential an Menschen im arbeitsfähigen Alter dürfte bis zum Jahr 2025 um 6,5 Millionen sinken, das sind mehr Bürger als heute im ganzen Bundesland Baden-Württemberg arbeiten. Der Fachkräftemangel sei auf mittlere Sicht "die stärkste Bedrohung für Wohlstand und Wirtschaft in Deutschland", sagt die federführende Ministerin Ursula von der Leyen (CDU).

Diesen absehbaren Mangel will die schwarz-gelbe Koalition vor allem durch heimische Kräfte beheben - allen voran durch Frauen. Wegen fehlender Kinderbetreuung oder anderer Hürden arbeiten viele gut ausgebildete Mütter heute nicht. 1,2 Millionen von ihnen ließen sich für den Arbeitsmarkt gewinnen, prognostiziert die Bundesregierung. Durch die längere Lebensarbeitszeit - Stichwort: Rente mit 67 - die Wiedereingliederung von Arbeitslosen sowie eine geringere Zahl von Schul- und Ausbildungsabbrechern sollen weitere 1,6 bis 2,6 Millionen Fachkräfte hinzukommen. Dennoch bleibt bis 2025 ein Minus von etwa drei Millionen Menschen.

Woher die kommen sollen, ist nach wie vor umstritten: Die FDP will mit Hilfe eines Punktesystems und einer niedrigeren Einkommensschwelle als bisher deutlich mehr Fachkräfte aus dem Ausland anwerben; Generalsekretär Christian Lindner mahnte am Dienstag noch einmal zur Eile. Kanzlerin Merkel dagegen tritt auf die Bremse, zusammen mit der CSU hat sie durchgesetzt, dass in dem jetzt fertigen Konzept nur die Koalitionsvereinbarung wiederholt wird: Dort werden Prüfaufträge vergeben, die Klarheit darüber bringen sollen, wie der Regelungsdschungel beim Thema Fachkräftezuwanderung gelichtet werden kann.

Neben der FDP ist das auch den Arbeitgebern zu wenig: Sie dürften beim Spitzentreffen der Kanzlerin und ihrer wichtigsten Minister mit den Sozialpartnern am Mittwoch im Meseberger Gästehaus der Regierung weitergehende Forderungen stellen.

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Maria Holzmüller

Von der Leyen immerhin sandte am Dienstag, rechtzeitig vor Beginn des Treffens, ein wichtiges Signal an die Wirtschaft aus: Sie wies die Bundesagentur für Arbeit an, ab sofort auf die sogenannte Vorrangprüfung für Elektro-, Maschinenbau- und Fahrzeugbauingenieure sowie Ärzte zu verzichten. Das bedeutet: Die Arbeitsagenturen müssen bis auf weiteres nicht mehr testen, ob für eine freie Stelle ein Arzt aus Deutschland oder einem anderen EU-Staat zur Verfügung steht, ehe ein Mediziner aus dem übrigen Ausland eine Arbeitserlaubnis erhält. In den genannten Akademikerberufen gibt es bereits jetzt je nach Region einen merklichen Arbeitskräftemangel (siehe Grafik). Sollte diese Entwicklung auf weitere Berufsgruppen überschwappen, will von der Leyen entsprechend reagieren.

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Mit dieser vorsichtigen Öffnung sehen sich die Kanzlerin und ihre Arbeitsministerin vorerst auf dem richtigen Kompromisspfad, denn die Interessen ihrer Gesprächspartner am Mittwoch liegen weit auseinander. Auf der einen Seite stehen die FDP, das Bundeswirtschaftsministerium und die Arbeitgeber, die noch mehr Zuwanderung wollen. Dem kommt Merkel nach, ohne dabei die Unternehmen aus der Pflicht zu entlassen, sich auch im Inland um mehr qualifiziertes Personal zu bemühen - etwa durch bessere Regeln für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auf der anderen Seite greift sie die unterschiedlichen Bedenken der CSU, des Innenministeriums und der Gewerkschaften auf. Letztere etwa verbinden mit dem Begriff Zuwanderung vor allem Lohndumping und Ausbeutung.

Dass jetzt zunächst nur die Vorrangprüfung für wenige Berufsgruppen wegfällt, heißt nicht, dass es dabei bleiben muss. Noch vor der Sommerpause wollen die Partei- und Fraktionschefs der Koalition ihre Marschroute für den Herbst festlegen, vom Euro bis zur Vorratsdatenspeicherung. Im Rahmen dieses großen Basars wird auch das Thema Fachkräftemangel wieder auf den Tisch kommen - inklusive Gehaltsschwellen für Zuwanderer und Punktesystem.

© SZ vom 22.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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