Keine Jobs für Lehrer:Dringend gebraucht, nirgends gewollt

Absurde Situation: Von 750 neu ausgebildeten Gymnasiallehrern werden im Februar nur 250 übernommen - gleichzeitig fallen überall Stunden aus, weil Lehrer fehlen. Warum eigentlich? Schuld ist nicht nur der Schweinezyklus.

Tina Baier

Fast überall in Bayern fehlen Lehrer: Schüler an Realschulen und Gymnasien leiden unter großen Klassen und Unterrichtsausfall. Auch an den Volksschulen könnte man mehr Lehrer gebrauchen, etwa um soziale Nachteile einzelner Kinder besser ausgleichen zu können. Gleichzeitig stehen viele qualifizierte Lehrkräfte auf der Straße. Nur 250 von 750 jungen Gymnasiallehrern, die ihr Referendariat absolviert haben, werden im Februar vom Staat übernommen. Im Sommer hatte es die Grundschullehrer hart getroffen, bei denen 614 von 2200 Bewerbern eine Stelle bekamen. Die Hintergründe.

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Bayerische Schulen beklagen sich über einen Mangel an Lehrkräften, trotzdem kann Kultusminister Ludwig Spaenle nicht mehr Referendare einstellen.

(Foto: dapd)

Bedarfsplanung

Das Kultusministerium verweist auf seine Lehrerbedarfsprognose, die Studienanfängern vorhersagt, wie die Einstellungssituation für Lehrer sein wird, wenn sie mit dem Studium fertig sind. Bei der Berechnung wird unter anderem berücksichtigt, dass die Schülerzahlen rückläufig sind, weil immer weniger Kinder geboren und deshalb auch weniger Lehrer gebraucht werden.

Dass die Einstellungssituation 2011 schwierig werden könnte, haben die Prognosen vorhergesagt. Trotzdem ist es zu einfach, den jungen Lehrern, die jetzt auf der Straße stehen, vorzuhalten, sie hätten eben die Prognosen genauer studieren sollen. Denn die Signale aus dem Kultusministerium sind durchaus widersprüchlich. Ständig wird betont, dass in Zukunft mehr Ganztagsklassen angeboten werden sollen und dass die Schüler intensiver und individueller gefördert werden müssen. Der Schluss vieler Studienanfänger, dass dafür auch mehr Lehrer eingestellt werden, ist logisch.

Schweinezyklus

Auch eine perfekte Bedarfsplanung könnte das Problem nie ganz lösen. Einer der Hauptgründe ist der sogenannte Schweinezyklus, ein Modell, das entwickelt wurde, um zu erklären, warum die Preise für Schweinefleisch stark schwanken, weil es auf dem Markt immer entweder zu viel oder zu wenig davon gibt.

Der Schweinezyklus lässt sich auf den Arbeitsmarkt übertragen: Wenn Lehrer gesucht werden, steigt die Zahl der Studienanfänger. Sie drängen nach mehreren Jahren auf den Arbeitsmarkt, was zu einem Überangebot führt. Außerdem können die Bedarfsprognosen nie ganz stimmen. Denn es ist nicht genau vorhersehbar, wie viele Schüler nach der Grundschule auf welche weiterführende Schule wechseln. In diesem Schuljahr beispielsweise haben sich 3500 mehr Schüler an den bayerischen Realschulen eingeschrieben als vorhergesagt.

Gesucht: Mathe und Latein

MINT-Fächer

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Trotz Lehrermangel wird ein Großteil der Referendare in Bayern keine Anstellung finden.

(Foto: dpa)

Lehrer ist nicht gleich Lehrer. Vor allem am Gymnasium kommt es auf die Fächerkombination an. Während es beispielsweise mehr als genug Sozialkundelehrer gibt, haben Bewerber, die Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften studiert haben (MINT-Fächer), nach wie vor gute Einstellungschancen.

Auch Lateinlehrer gibt es viel zu wenige. Von den 250 Bewerbern, die jetzt in den gymnasialen Schuldienst übernommen werden, haben nach Auskunft des Kultusministeriums mehr als 150 eine Fächerkombination mit Mathematik oder Latein und Biologie/Chemie.

Doch das reicht bei weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken. Allein in Mathe fehlen im laufenden Schuljahr 300 Lehrer. Das Ministerium stellt also insgesamt weniger Lehrer ein, als gebraucht werden. Es wollte sich jedoch nicht ausschließlich auf Mathematiklehrer beschränken, um Absolventen mit anderen Fächerkombinationen, aber sehr gutem Notendurchschnitt nicht abweisen zu müssen.

Aushilfslehrer

Weil offensichtlich nicht genug Geld zur Verfügung steht, um regulär mehr Lehrer einzustellen, entsteht eine absurde Situation: Fertig ausgebildete Lehrer stehen auf der Straße; gleichzeitig müssen Schulen sogenannte Aushilfslehrer einstellen, weil ihnen das Kultusministerium keinen Lehrer mit der passenden Fächerkombination zur Verfügung stellen kann. Die Rektoren suchen sich dann auf dem freien Markt Mathematiker oder Informatiker, die sie mit zeitlich befristeten Verträgen einstellen; sie aktivieren Pensionäre oder lassen stundenweise Referendare unterrichten, die mit ihrer Ausbildung noch gar nicht fertig sind. Das Geld, um diese Lückenfüller zu bezahlen, bekommen sie vom Kultusministerium.

Etwa 3000 Aushilfslehrer sind nach Auskunft des Philologenverbands in diesem Schuljahr an bayerischen Gymnasien beschäftigt. Der Vorteil für das Kultusministerium: Aushilfskräfte haben in der Regel befristete Verträge, die einfach nicht mehr verlängert werden, wenn die Lehrer nicht mehr gebraucht werden. Der Nachteil für die Schüler: Nicht alle Aushilfslehrer sind schlecht, trotzdem sind es Menschen, die nicht für den Lehrerberuf ausgebildet sind.

Endlich weniger Schüler

Doppelter Abiturjahrgang

Derzeit gibt es nach Auskunft des Philologenverbands nicht einmal das Geld, um Aushilfslehrer einzustellen. Offensichtlich rechnet das Kultusministerium damit, dass sich ein Teil des Problems im Frühjahr von selbst löst. Denn dann macht der letzte Jahrgang des neunstufigen Gymnasiums Abitur. Die Lehrer, die die G-9-Schüler unterrichtet haben, haben dann wieder Kapazitäten frei.

Geburtenschwache Jahrgänge

Eine ähnliche Überlegung könnte die Ursache für die grundsätzliche Zurückhaltung des Kultusministeriums bei der Einstellung von Lehrern sein, unabhängig vom akut fehlenden Geld. Schon jetzt machen sich an den Grundschulen die geburtenschwachen Jahrgänge bemerkbar. Die Klassen werden quasi von selbst kleiner, weil weniger Kinder eingeschult werden. In einigen Jahren wird das auch an den weiterführenden Schulen so sein.

Unterrichtsausfall

Bis dahin nimmt man im Kultusministerium offenbar eine Durststrecke in Kauf, in der es vermehrt zum Ausfall von Unterricht kommen wird. Schon jetzt fällt an den Gymnasien nach Angaben des Kultusministeriums etwa drei Prozent des Unterrichts ersatzlos aus. Der Philologenverband geht sogar davon aus, dass neun bis zehn Prozent der Stunden ausfallen. An den Realschulen sind es nach Angaben des Ministeriums 1,3 Prozent, nach einem Prüfbericht des Bayerischen Obersten Rechnungshofs aber 3,6 Prozent. Auch an den Volksschulen, in denen nach Angaben des Kultusministeriums etwa ein Prozent des Unterrichts ausfällt, dürfte der Unterrichtsausfall in Wahrheit höher sein.

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