Bagatellkündigung:Im Müll gewühlt, Job weg

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Eine Reinigungskraft wurde entlassen, weil sie Pfandflaschen aus dem Abfall gefischt haben soll. Der Fall ging vor Gericht.

Maike Brzoska

Erst ging es um Pfand-Bons im Wert von 1,30 Euro, dann um sechs Maultaschen - nun sorgt ein neuer Fall einer umstrittenen Kündigung für Aufsehen.

Finger weg! (Foto: Foto: iStock)

Einer Reinigungskraft aus dem schleswig-holsteinischen Oldesloe wurde gekündigt, weil sie von ihrem Arbeitsplatz Pfandflaschen mitgenommen hatte, die offenbar zumindest teilweise im Müll lagen. Die schwerbehinderte Frau klagte gegen ihre Entlassung. Am Donnerstag erklärte sich ihr Arbeitgeber bereit, seiner ehemaligen Mitarbeiterin rund 10.000 Euro Abfindung zu zahlen.

Im Sommer 2008 hatte die heute 62-Jährige das Leergut in einem Toom-Baumarkt eingesammelt und mitgenommen. Bei Toom war sie vom Reinigungsunternehmen Bockholdt als Putzkraft eingesetzt worden.

Der Marktleiter beobachtete sie beim Einsammeln der Flaschen und stellte sie zwei Tage später zur Rede. Die Reinigungskraft gab zu, Leergut mitgenommen zu haben, das in Müllcontainern und unter Regalen lag. "Das waren Flaschen, die sonst im Müll gelandet wären", sagt Frank Fiedler, der Anwalt der Oldesloerin. Die Bockholdt-Gruppe kündigte der Mitarbeiterin, die seit 1987 im Unternehmen arbeitete.

Wie hoch war der Pfandbetrag?

Der Wert der Flaschen und wo genau diese gelegen haben, ist zwischen den Parteien strittig. Ein Bockholdt-Sprecher sagt, dass das Leergut nicht nur im Müll gelegen habe, sondern auch in Pflanzenkübeln. Insgesamt habe Leergut im Wert von 90 Euro gefehlt. "Das ist keine Bagatelle mehr."

Im Arbeitsvertrag stehe ausdrücklich, dass auch geringwertige Gegenstände nicht mitgenommen werden dürften - auch kein Müll und keine Pflanzenableger. Wegen fehlenden Vertrauens könne die Mitarbeiterin nicht weiterbeschäftigt werden.

Fiedler, der Anwalt der beschuldigten Mitarbeiterin, spricht hingegen davon, dass seine Mandantin dem Unternehmen unbequem geworden sei und deswegen habe gehen müssen. "Meine Mandantin ist zu 80 Prozent behindert und kann nicht mehr jede Arbeit übernehmen."

Das Arbeitsgericht Lübeck gab der Klägerin im Herbst 2009 in erster Instanz recht. Im Urteil hieß es, die aus dem Müll genommenen Pfandflaschen seien kein schwerwiegender Verstoß gegen die Bestimmungen des Arbeitsvertrags. Deswegen hätte die Bockholdt-Gruppe ihre Mitarbeiterin zunächst abmahnen müssen.

Erst wenn sich solche Vorfälle wiederholt hätten, wäre eine Kündigung angemessen gewesen. In dem Urteil steht weiter, dass "weniger schwerwiegende Verstöße als die Mitnahme von so gut wie wertlosen Gegenständen nicht denkbar sind".

Häufung von Fällen

Fälle, bei denen langjährigen Mitarbeitern wegen mehr oder weniger kleinen Vergehen gekündigt wurde, sorgten in den vergangenen Monaten immer wieder für Aufsehen. Mal war es eine Pflegekraft, die ein paar Maultaschen gegessen hatte, die weggeschmissen werden sollten. Ein anderes Mal kündigte ein Supermarkt seiner Mitarbeiterin, weil sie fremde Pfand-Bons im Wert von 1,30 Euro eingelöst hatte.

Solche Rechtsstreitigkeiten sind allerdings nichts Neues. "Neu ist, dass die Gesellschaft die Kündigungen als unangemessen empfindet", sagt der Stuttgarter Arbeitsrechtler Stefan Nägele. Früher habe gegolten: Wer eine Straftat begeht - und sei sie noch so klein - muss mit den Konsequenzen rechnen. Heute sähen das viele nicht mehr so strikt, sagt Nägele.

Wer etwa seinen Arbeitgeber täusche, ohne es zu wissen, dem gewähre die Gesellschaft inzwischen eine zweite Chance. Nägele hält deshalb auch die Entscheidung des Lübecker Gerichts für richtig, dass eine Abmahnung statt der Kündigung angemessen gewesen wäre. "Wir akzeptieren Regelübertretungen heute leichter."

© SZ vom 19.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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