Für die Richter des Bundesarbeitsgerichts ist dieser Fall nichts Besonderes. Im Wesentlichen juristische Dutzendware, wenn man so will, denn ähnliche Fälle haben sie immer wieder - aber für weite Teile der Öffentlichkeit ist gerade dies das Entscheidende: dass "Emmely" eben kein Einzelfall ist, sondern nur der bekannteste in einer Serie von Kündigungsfällen wegen einer Bagatelle. Sie alle scheinen Beleg dafür zu sein, dass in der Wirtschaft zunehmend das Recht des Stärkeren gilt, dass es für das uralte Sprichwort "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen" noch nie so viel Bestätigung gab wie heute.
Im vergangenen Jahr hat es neben "Emmely" vor allem zwei Fälle gegeben, die bundesweit bekannt geworden sind. In Konstanz wurde eine 58-jährige Altenpflegerin fristlos gekündigt, weil sie sechs für den Müll bestimmte Maultaschen an sich genommen hatte. Und beim Baugewerbeverband in Dortmund sollten zwei Sekretärinnen gehen, weil sie insgesamt vier Brötchenhälften und eine Frikadelle von einem Büfett genommen hatten. Beide Fälle bescherten den jeweiligen Arbeitgebern einige Wochen Ruhm, wenn auch von der eher unerwünschten Sorte.
Schließlich einigten sie sich mit ihren Arbeitnehmerinnen: Bei der Altenpflegerin und der einen Sekretärin wurde aus der fristlosen jeweils eine fristgemäße Kündigung, und sie erhielten eine Abfindung; die zweite Sekretärin durfte sogar zurück in ihren Job. Weitere Fälle: Eine Metallfirma in Oberhausen feuerte einen Mitarbeiter, weil er sein Handy am Arbeitsplatz auflud. Schaden: 0,00014 Cent. In Remscheid musste eine Supermarktverkäuferin gehen, weil sie Damenbinden im Wert von 59 Cent aus dem Regal nahm. Und in Hannover entließ die Caritas eine schwerbehinderte Pflegehelferin, weil sie eine Portion Teewurst aus der Heimküche gegessen hatte.
Der Verdacht allein reicht aus
Die Bagatellfälle lösen auch deshalb Empörung aus, weil mit ihnen oft ein anderes Phänomen einhergeht: die Kündigung aus Verdacht. Weil Vertrauen die Grundlage jedes Arbeitsverhältnisses ist, akzeptieren die Arbeitsgerichte fristlose Kündigungen oft selbst dann, wenn es nur einen dringenden Verdacht, nicht aber einen Beweis gibt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert daher, die bloße Verdachtskündigung künftig per Gesetz auszuschließen - er wehrt sich dagegen, dass die schärfste Strafe im Arbeitsverhältnis, die Kündigung, verhängt werden kann, "selbst wenn das Fehlverhalten nicht beweisbar ist", wie die DGB-Arbeitsrechtlerin Martina Perreng sagt.
Ähnlich sehen es zwei der drei Oppositionsparteien im Bundestag. Die SPD hat im Januar dort einen Gesetzentwurf eingebracht, in dem sie verlangte, bei Bagatellfällen müsse grundsätzlich eine Abmahnung reichen. "Die Abmahnung rügt", sagt die SPD-Abgeordnete Anette Kramme, "sie bringt regelmäßig Nachteile beim beruflichen Fortkommen." Die Linke wiederum will noch weiter gehen, sie liegt bei dem Thema auf DGB-Linie. Auch sie brachte einen Gesetzentwurf ein, mit dem Ziel, Kündigungen aus Verdacht generell für unwirksam zu erklären. Der Arbeitgeber müsse die Schuld des Arbeitnehmers beweisen - nicht aber letzterer seine Unschuld.