Bachelor und Master:Gut gedacht - schlecht gemacht

Das Ziel des Bologna-Prozesses sind selbständig arbeitende Studenten, doch die neuen "Module" lassen ihnen oft zu wenig Freiräume.

Patrick Becker

Gängige (Vor-)Urteile über den Bologna-Prozess, der die neue Studienstruktur mit Bachelor und Master an die deutschen Hochschulen bringt, lauten: Das Studium sei zu verschult, die Universität verkomme zu einer nutzenorientierten Denkfabrik und verabschiede sich vom Humboldtschen Bildungsideal. Ein radikales Zeichen für die Ablehnung der Reform hat jetzt der Mainzer Theologe Marius Reiser gesetzt: Er gab seine Professur aus Protest zurück. Doch garantierten die alten akademischen Freiheiten wirklich eine gute Bildung?

Vorlesung, AP

Das Rückgrat der Bildungsvermittlung war früher die Vorlesung: Der Professor doziert, die Studenten schreiben mit.

(Foto: Foto: AP)

Das Rückgrat der Bildungsvermittlung war früher die Vorlesung. Ein Professor trat auf, stellte das Thema vor, gab seine Gliederung bekannt und begann zu dozieren. Sowohl die Fragen als auch die Antworten kamen meist nur von ihm. Den Studenten blieb oft nur die Aufgabe, das alles zu lernen und in einer Abschlussprüfung wiedergeben zu können. Ist das Bildung?

Auch die Auswahl der Vorlesungen unterlag selten der angeblichen Freiheit der Studierenden, sondern war durch die Prüfungsordnung vorgegeben. Die Freiheit war darauf beschränkt, die Veranstaltung nicht zu besuchen und aus Skripten der Kommilitonen und aus Büchern zu lernen. In Vorlesungen, die die Prüfungsordnung nicht ausdrücklich vorschrieb, waren Studierende eher selten zu finden.

Woher kommen die vielen Klagen?

In kulturwissenschaftlichen Fächern wurden Seminare angeboten, in denen die Situation etwas besser war: Hier konnten sich die Studenten ein Thema aussuchen und es in Hausarbeiten und Referaten selbst bearbeiten. Dennoch konnte man sich fragen, ob Bildung nicht noch mehr verlangt. Warum stellen eigentlich vor allem die Dozenten die Fragen? Warum überlegen sich die Studenten nicht selbst, was sie interessiert und herausfordert?

Die Hochschulreform hat selbstdenkende Akademiker zum Ziel. Prüfungen sollten nicht nach dem Frage-Antwort-Muster ablaufen, sondern den Prüflingen Räume zur Präsentation ihres Könnens geben. Nicht bloßes Wissen steht im Vordergrund, sondern das eigenständige Denken und Können. In diesem Sinne wird im Zuge des Bologna-Prozesses von Kompetenzen gesprochen, die Studierende unter Beweis stellen sollen.

So gesehen will der Hochschulumbau genau das verwirklichen, was vielerorts vermisst wird: echte Bildung. Woher kommen dann die vielen Klagen?

Oft wird den neuen Studiengängen Überregulierung vorgeworfen. Warum aber werden Studienordnungen entworfen, die jede Veranstaltung und jede Leistung festlegen, die jede Kreativität erdrücken? Mit der Idee von Bologna hat das gerade nichts zu tun. Die Studienordnung soll zwar Transparenz schaffen, es muss daher angegeben werden, welche Kompetenzen vermittelt werden und wie viel Energie von den Studierenden erwartet wird.

Kontrollwahn statt Kreativität

Deshalb muss sie die zu erbringenden Leistungen darstellen und im System der Kreditpunkte (Credit Points) abbilden. Dabei gibt es aber einen Spielraum, der über den früheren eher noch hinausgeht. Es werden Modultitel festgelegt, das sind die großen Themen, um die sich das Studium dreht. Das sollte kein Problem darstellen, denn es wäre fragwürdig, wenn Studenten nicht einmal wüssten, welche groben Inhalte ihr Studiengang umfasst.

Es soll zweitens festgelegt werden, welche Kompetenzen ein Modul vermittelt. Auch das ist nur recht und billig, schließlich wollen Studenten wissen, in welche Richtung sie ihr Studium führt. Und schließlich ist anzugeben, welche Leistungen die Studenten erbringen sollen. Das kann auch vage bleiben, obwohl es sinnvoll sein mag zu überlegen, ob in einem Modul eher eine Hausarbeit angefertigt, ein Essay geschrieben oder ein Referat gehalten werden soll (oder alles zusammen).

Wenn Studienordnungen noch mehr festlegen, etwa die zu besuchenden Veranstaltungen im Einzelnen, hat das nichts mehr mit Bologna, sondern (zumindest in kulturwissenschaftlichen Fächern) nur noch etwas mit Kontrollwahn zu tun. Die Studenten sollten die Module zum Teil selbst wählen können und auch innerhalb der Module Optionen haben. Und auch dass jede Veranstaltung eines Moduls einzeln abgeprüft wird, ist gerade nicht der Sinn eines Moduls.

Um zu gelingen, braucht diese Reform mehr Personal

Ziel der Hochschulreform sind selbständige Studenten, die eigenverantwortlich recherchieren, nachdenken und formulieren können. Das lernt man nur dann, wenn man Inhalte nicht einfach vorgesetzt bekommt. Nicht mehr das Vorlesen ist gefragt, sondern das Begleiten der Studenten beim eigenständigen Arbeiten. Das erfordert eine völlig andere Hochschuldidaktik - und Zeit.

Wenn eine Vorlesung von 1000 Studierenden besucht werden soll, ist das nur eine Frage der Raumgröße und der Technik. Im neuen System muss in kleinen Arbeitsgruppen gearbeitet werden. Die Förderung des einzelnen Studierenden ist erklärtes Ziel der Hochschulreform.

Um zu gelingen, braucht diese Reform mehr Personal und damit Geld. Sie ist nicht kostenneutral, wie manche staatliche Stelle wohl geglaubt hat. Der entstandene Frust liegt zu einem großen Teil auch daran: Es fehlt an Personal und an (Seminar-)Räumen. Ein anderer Teil des Frustes entsteht, wenn es auf Seiten der Ministerien und auf Seiten der Professoren, die die neuen Studienordnungen entwerfen und umsetzen, am Verständnis für den Geist der Hochschulreform fehlt.

Patrick Becker ist Geschäftsführer einer Akkreditierungsagentur für Katholisch-theologische Studiengänge (AKAST). Sie hat ihren Sitz in Eichstätt.

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